Verkünder werden

13. Sonntag A: Mt 10,37-42

I.

Vor einigen Wochen, am Pfingstsonntag, hat der Bischof vorne im Dom 10 junge Männer zu Priestern geweiht. Durch Gebet und Handauflegung wurden sie in Dienst genommen, um künftig einmal als Vorsteher von Gemeinden zu wirken. Die Frohe Botschaft sollen sie verkünden, Menschen in ihren Hoch- und Krisenzeiten begleiten, in der Feier der Sakramente die Gläubigen in das Christusgeheimnis einführen und jedem, der sie fragt, Rechenschaft geben über den Grund der Hoffnung, die sie selber beseelt.

Gewiss ist das Sakrament der Priesterweihe wie jede Gnade Geschenk Gottes. Und doch fällt auch Gnade einem nicht vom Himmel in den Schoß. Vielmehr setzt Gnade die menschliche Natur voraus, um wirksam werden zu können, wie schon der Hl. Thomas von Aquin wusste. Oder in der Sprache von heute gesagt: Jeder Priester muss gewisse Voraussetzungen mitbringen, um den ihm übertragenen Dienst recht auszuüben. Natürlich gilt das auch von jeder Frau und jedem Mann, die als Laien in den Dienst der Verkündigung treten. Aber an der Gestalt der Priester wird das Problem dieser Voraussetzungen wohl auf besonders markante Weise sichtbar.

II.

Denn worin eigentlich die wirklichen Voraussetzungen für die Ausübung des kirchlichen Dienstes unter den Bedingungen unserer Gegenwart bestehen, darüber geht im Grunde schon mehrere Jahrzehnte ein Streit, der gerade in letzter Zeit - statt gelöst - durch Denkverbote schlicht unterdrückt worden ist. Dabei hat gerade der vielbeklagte und von ein paar hierarchischen Geisterfahrern zynisch geleugnete Priestermangel seine tiefste Ursache darin, dass in der Kirche und in der Theologie flächendeckend die Konturen des priesterlichen Berufsbilds abhanden kamen, weil eben jene Voraussetzungen unklar sind. Und wer lässt sich auch gern auf so Verschwommenes ein - außer er hat sich ein paar Gedanken gemacht darüber, was er eigentlich selber will. Die mühsam unter der Decke gehaltenen Diskussionen um Zölibat und Frauenordination sind lediglich Oberflächensymptome, die nur deshalb ein so ausgezacktes Profil gewinnen, weil sich an ihnen die Suche nach dem spezifisch Priesterlichen als letztem Strohhalm festmacht. Und beides taugt nicht dafür. Denn beides verfügt weder über eine theologische Begründung noch über einen geistlichen Zeichencharakter.

Die alberne These, die die derzeitigen Zugangsbedingungen zur Ordination darauf zurückleitet, dass Jesus beim Abendmahl nur Männer um sich sammelte, wird ja hoffentlich bald für allemal vom Tisch sein und so den Blick darauf freigeben, dass der Zwölferkreis nicht die Sammlung eines neuen Volkes Gottes, sondern die Neusammlung des Volkes Gottes symbolisiert, aus deren Scheitern die Kirche hervorging, bei deren Entstehen Frauen offenkundig die grundlegende Rolle spielten - von der apostola apostolorum (so nennt Thomas von Aquin die Maria von Magdala) über die anderen Osterzeuginnen, bis zur ersten europäischen Christin, der Purpurhändlerin Lydia in Philippi, die nach ihrer und ihres Hausgesindes Taufe den Paulus und seine Begleiter in ihr Haus lud und so zur ersten Gemeindevorsteherin und unserer Stammutter im Glauben wurde. Beim Zölibat ist die Sache noch einfacher: Es hat ihn faktisch immer gegeben (seit Paulus). Notwendig ist er nicht (sonst könnte es keine unierten Ostkirchen mit verheirateten Presbytern oder konvertierten ehemaligen evangelischen oder anglikanischen Pastoren mit Frauen und Kindern geben, die Mutter Kirche allemal willkommen waren). Und den angeblichen besonderen Zeichencharakter, der die Erfüllung des Daseins von jenseits dessen, was es jetzt gibt, erwartet, hat der Zölibat längst eingebüßt - dafür sorgt die Vielzahl derer, die heute gerne Singles sind. Der Rest ist Ideologie.

Weder das Mann-Sein noch das Zölibatär-Sein also geben dem spezifisch Priesterlichen Profil. Um wieviel weniger dann erst das, was viele Diözesen unter dem Obertitel "Pastoralplan" diesbezüglich feilbieten: dass einer sozusagen naturwüchsige Managerqualitäten mitbringt und sich als Mehrzweckwaffe einsetzen lässt. Längst kein Geheimnis mehr ist, dass, wer mit 30 zwei und mit 33 vier Pfarrgemeinden zu betreuen hat, mit 40 im Grab liegt oder verheiratet ist.

Wem sollte man verdenken, dass er angesichts eines solchen Berufsbildes spontan sagt: "Nein danke, für mich nicht!" Entschuldigen Sie, dass ich an diesem Punkt in das Sprachspiel meines Faches - der Philosophie - falle, aber anders kann ich es eigentlich gar nicht sagen. Was dem Ganzen fehlt, ist - die Metaphysik. Die Metaphysik des geistlichen Amtes. Und nur so etwas wie die - bin ich überzeugt - kann jemand dafür begeistern, sich auf so etwas wie die Priesterweihe ehrlich einzulassen. Die richtige Metaphysik, versteht sich. Damit fragen Sie natürlich, worin denn die besteht, eine solche adäquate Metaphysik des Amtes. Sie haben das Recht auf eine Antwort. Ich versuche es. Die Metaphysik des Amtes fängt so an, wie jede Metaphysik seit Sokrates anfängt - mit einer Erzählung.

III.

Ich meine das Stück aus der Aussendungsrede des Matthäusevangeliums, das wir soeben gehört haben. Die nennt ja unmittelbar einige Voraussetzungen für den Botendienst im Namen Jesu – freilich solche, die so sperrig sind, dass man sich an ihnen buchstäblich abarbeiten muss, und die ganz anderen Kalibers sind als die amtlich propagierten.

Die erste: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. Schockierend möchte man im ersten Moment fragen, ob denn Lieblosigkeit einen erst zur Verkündigung befähige. Doch nicht von der Regung der Gefühle ist hier die Rede, sondern von der Gebundenheit an andere. So wie die Elternliebe untrennbar ist von der Bindung eines Menschen an seine eigene Herkunft, so hat die Liebe der eigenen Kinder immer auch zu tun mit der eigenen Zukunft. Beide Verbindungen sind darum verknüpft mit der Suche nach Sicherheit und Bestand des eigenen Daseins. Das macht den natürlichen Charakter der Eltern- wie Kindesliebe aus. Wer aber sich selbst vor allem anderen festmacht in denen, von denen er herkommt, und in denen, die ihn einmal tragen werden, weil sie selber von ihm herkommen, der kann nicht begreifen, was Jesus meint und wer er ist, sagt das Evangelium. Hat er doch gepredigt und gelebt, dass es einen einzigen wirklichen Grund unseres Daseins nur geben kann: die grundlose Sympathie Gottes für uns, dem der Mensch ohne weitere Garantieforderung traut. Bote Jesu zu werden, setzt eben diesen Abschied von allen natürlichen Sicherungen des Daseins voraus: abgenabelt von der Herkunft und ohne besorgte Fixierung auf die Träger der eigenen Zukunft, gleichsam freischwebend, nur ich selber seiend im Gottvertrauen: das ist die erste Voraussetzung der Jüngerexistenz. Bezeichnenderweise spricht dieses Herrenwort nicht davon, dass die Liebe zu Mann und Frau einen Menschen nicht Verkünder werden lassen könnte – logischerweise, weil eben diese Beziehung nichts mit natürlicher Sicherheit zu tun hat, sondern selber in ihrer Zerbrechlichkeit nur in Gottvertrauen gelebt werden kann. Ein bisschen Aufmerksamkeit auf die leisen Töne des Evangeliums führt die Zölibatsdiskussion der letzten 300 Jahre schlicht, aber gründlich ad absurdum.

Nicht weniger missverständlich als die erste mag uns die zweite Voraussetzung der Jüngerexistenz anmuten, von der das Evangelium weiß: Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. – Wie viel Schindluder ist mit diesem Wort in der Geschichte der Kirche schon getrieben worden – so weit, dass bis heute einige verknöcherte Prälaten und manchmal auch unbedarfte Jungspunde behaupten, ein Priesterleben bestehe hauptsächlich aus Opfern; als ob auch nur ein Mensch so menschlich zu leben vermöchte und als ob nicht zum Wesen des Christentums gehöre, das Ende aller Opfer gebracht zu haben! Kreuztragen als Jünger des Herrn meint stattdessen: eingehen in die Grundform des Lebens Jesu. Und diese Grundform ist wirklich Kreuz, aber nicht als Ausdruck einer krankhaften Lust am Leiden, sondern einer Leidenschaft für das Leben: Jesus übernimmt das Kreuz als Ausdruck dafür, dass er das Gelingen seines Lebens nicht damit gleichsetzt, dass seine Pläne und Absichten sich erfüllen, sondern dass in diesem seinem Leben auch noch die Ohnmacht, die Schmerzen und der Tod sogar Platz haben, weil er Gott vertraut; so sehr vertraut, dass er auch dieses Dunkle und Lastende noch in und nicht außerhalb von Gottes Hand liegend glaubt und dass es darum am Ende sinnvoll zu ihm und seinem Leben gehören wird. Und wie auch könnte ein Verkünder seine Enttäuschungen über Menschen, sein Scheitern in der Seelsorge, seine Not auch mit der eigenen Glaubensnacht auf andere Weise menschlich und christlich bestehen als durch Teilnahme an dieser Grundform der Existenz Jesu durch sein eigenes Gottvertrauen?

Und schließlich die dritte Voraussetzung: Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren, wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen. Aus der Preisgabe des Lebens und seiner Ansprüche Leben gewinnen – die Gebildeten unter den Nichtchristen nennen das Paradox, die weniger Feinsinnigen sagen Blödsinn dafür. Beide haben aus ihrer Sicht völlig recht. Weil dieses Wort nur nachvollziehen kann, wer wenigstens ein stückweit schon vertraut geworden ist mit Jesus und seiner Weisheit. Denn nur in der Kraft mutigen Gottvertrauens kann ich es wagen, mein Leben nicht gewinnen zu wollen, also nicht Versicherungen abzuschließen, Vorräte anzuhäufen, Garantien einzufordern, dass es einmal gut ausgehe mit mir. Was passiert, wenn einer versucht, sein Leben selber zu gewinnen, führen uns nicht wenige Zeitgenossen vor: die Exzesse, die sie sich dabei – nicht selten auf Kosten anderer – im Erleben und Genießen leisten, sind dabei ja nur die spektakuläre Außenseite der Panik, die sie befällt, wenn sie entdecken, dass absolut nichts, was sie zu erringen vermochten, ihnen wirklich bestätigt, dass sie sind und Bestand haben werden. Wer sozusagen die Zeit an sich arbeiten lässt, weil er das eigene biographische Geschehen geistlich als Gottes Handeln an sich versteht, wer das ständige Wegsterben der Kräfte, Gelegenheiten und Vorteile, das dabei geschieht, annehmen kann im Vertrauen, dass es gut ist mit ihm vor Gott, der oder die wird in erster Person zeuge jener gelassenen Freiheit, die die christliche ist.

IV.

Das ist die Front, an die die Christus-Boten geschickt sind. Dorthin, wo der Streit auszufechten ist für ein Leben, das menschlich zu heißen verdient, und gegen das Misstrauen in den, dem es sich verdankt. Diesen Dienst erfüllt der Verkünder nicht mit bloßen Worten, nicht mit Geboten und Drohungen gegen die ach so böse Welt und schon gar nicht durch die Besetzung klerikaler Rollen. Verkünder wird ein Mensch erst dadurch, dass er aus Gottvertrauen – wie Jesus, sein Herr – frei und als Freier er selbst wird. Eben dies macht ihn zum Symbol, also zum lebendigen Sinnbild Jesu Christi. Und das deckt auch den hohen Anspruch der Worte, die er weiterzusagen hat, und macht sie wirksam zur Freiheit für die, die sie hören. Das ist die wahre Voraussetzung für jeden, der in den Dienst des Herrn tritt. Gebe Gott, dass die Verantwortlichen unserer Zeit darauf aufmerksam werden. Und gebe Gott, dass alle, die im Dienst des Herrn stehen – auch die 10 vom Pfingstsonntag in Münster und die Neugeweihten anderswo genauso wie die schon länger im Dienst Stehenden-, nicht zögern, das Nötige nachzuholen, wenn sie entdecken, dass ihnen an diesen Voraussetzungen noch etwas fehlt.