Was den Tabor wahr macht
2. Fastensonntag A: Mt 17,1-9
Jawlenskis Ikonen
Zu den größten Malern dieses Jahrhunderts gehört der Russe Alexeij Jawlenski, der etliche Jahre seines Lebens in Deutschland verbracht hat und 1941 in Wiesbaden gestorben ist. Jawlenski hatte - als der älter wurde - eine schlimme Krankheit befallen: je länger, je mehr wurden seine Arme, besonders die Ellbogen und die Handgelenke von einer Lähmung befallen. Dennoch verlor Jawlenski nicht seinen leidenschaftlichen Willen zur Kunst. Jeden Morgen ließ er sich von seiner Frau beide Hände mit einem Gürtel zusammenbinden und den Pinsel dazwischenstecken. So malte er - obwohl gefesselt wegen seiner und durch seine Krankheit - hunderte von Bildern. Aber was für Bilder! Auf den ersten Blick schauen sie alle gleich aus: der dunkle Rand ringsum, ein ebenso dunkler vertikaler Strich in der Mitte, ein unterbrochener horizontaler in der oberen Hälfte des Bildes auf endlos wechselnden Hintergrundfarben. Wer diese Bilder still eine Weile auf sich wirken läßt, macht eine verblüffende Entdeckung: Sämtliche dieser Bilder, die mit ihren Licht- und Farbkontrasten nur ein letzter trotziger Protest des Künstlers gegen die Ohnmacht zu sein scheinen, lassen in letzter Reduzierung auf das Wesentliche ein menschliches Gesicht erkennen. Der Maler zeichnete dem farbigen Grund den senk- und den waagerechten Strich in Kreuzesform so ein, daß ein Antlitz aufscheint - ein Antlitz von solcher Strahlkraft, daß einem die Bilder nicht mehr aus dem Kopf gehen. Jawlenski selber hat diese Werke „Mediationen“ genannt. Fachleute heute sprechen von Ikonen. So hat uns Jawlenski Christusbilder geschenkt, die zum Kostbarsten gehören, was die wahrlich überreiche Kunst dieses Jahrhunderts hervorgebracht hat.
Verklärungsbilder
Dass diese einfachen Bilder einen so beeindrucken können, das kommt daher, dass da ein Mensch mit dem allerletzten Mittel, das ihm bleibt - nämlich ein Kreuz zu zeichnen -, dass er damit ein Gesicht von solchem Ausdruck und solchem Frieden zur Erscheinung kommen lässt, dass man davor verweilen mag, weil dieses Antlitz einem selber zutiefst Frieden schenkt. Mir will scheinen, Jawlenskis Christus-Ikonen sind fast so etwas wie ein bildgewordener Kommentar zum heutigen Evangelium von der Verklärung des Herrn.
Von innen erhellt
Wir sind da bei Jawlenskis Bildern Zeugen, wie aus Armseligem auf unbegreifliche Weise Wunderbares aufleuchtet. So Ähnliches muss den Jüngern auf dem Berg der Verklärung widerfahren sein. Seit sie Jesus begleiteten, hatten sie erlebt, dass von ihm etwas Faszinierendes ausstrahlte: Damals, als er sie aufforderte, mit ihm zu gehen und sie - Warum eigentlich? - alles stehen und liegen ließen. Genauso, wenn Leute, von denen das keiner erwartete, seinetwegen ihr ganzes Leben umkrempelten, wie der berüchtigte Zachäus etwa. Oder wenn Kranke einzig durch sein Wort oder seine Gegenwart gesund wurden an Leib und Seele. Hinter all dem ahnten die Jünger ein tiefes Geheimnis in Jesu Leben. Und in einer Stunde intensivster Gemeinschaft, da er sie eigens beiseite nahm, da fällt es Petrus, Jakobus und Johannes wie Schuppen von Augen und sie erkennen: in dem, was dieser Jesus sagt und tut, ist Gott selbst so unmittelbar gegenwärtig, dass nur ein einziges Wort noch diese Nähe auszudrücken vermag. Und dieses Wort heißt: Sohn. Weil er so ist, wie er ist, muss er Gottes Sohn sein.Diese Einsicht ist so überwältigend, wie nur eine gottgeschenkte Einsicht überwältigend sein kann. Genau deshalb legt Matthäus der Stimme aus der lichten Wolke - dem Sinnbild des unbegreiflichen Daseins Gottes - die Worte in den Mund: das ist mein geliebter Sohn.
Aber das ist noch nicht alles. An Jesu Seite sehen die Jünger in diesem Augenblick tiefer Einsicht auf einmal auch Mose und Elija. Mose steht in der Bibel immer stellvertretend für den Bund Gottes mit seinem Volk am Sinai und Elija für Gottes Ringen um diesen Bund in der Sendung der Propheten. Zwischen beiden nun sehen die Jünger den Herrn. Das will sagen: Von ihnen her fällt Licht auf sein Geheimnis, das sie so intensiv spüren, aber immer noch nicht kennen. Mose und Elija sprechen mit Jesus. Sie gehören also zusammen. Er ist sogar die Mitte von Mose und Elija: In dem, was er sagt und tut und wie er lebt, da erfüallen sich der innerste Sinn der Gebote des Bundes, die Umkehrrufe und die Verheißungen der Propheten. Beides hatte Gott ja einzig dazu gegeben, dass das Dasein des Menschen wieder so werde, wie es von Anfang an gemeint war. In diesem Jesus beginnt sich diese Absicht Gottes jetzt nun endgültig zu verwirklichen.
Die Jünger auf dem Berg in ihrer gottgeschenkten Einsicht spüren genau das. Sie stehen da im feierlichen, beglückenden Glanz dieses Anfangs. Deshalb auch die Reaktion des Petrus, dieses nüchternen Pragmatikers: Es ist gut, dass wir hier sind - sagt er. Wenn du willst, werde ich drei Hütten bauen. Hier sind wir Zuhause, will das heißen. So ist es gut mit uns. Für ein paar Augenblicke haben die Jünger dort mit den Augen des Herzens gleichsam den Himmel geschaut, d.h. die vollendete Gemeinschaft Gottes mit dem Menschen. Durch Jesus bietet Gott diese Gemeinschaft mit ihm allen an. Diese Gabe freilich wird keinem aufoktroyiert. Sie kann von seiten des Menschen nur frei angenommen werden. Und diese Annahme erfolgte dadurch, dass der Mensch dieses Angebot Gottes gewissermaßen mit dem ganzen Gewicht seines gelebten Lebens unterschreibt: mit seinem Glück und seiner Not, mit seinem Hoffen und Freuen, mit seinen Grenzen und am Ende mit seinem Sterben sogar. In allen Geschicken und Gängen des Lebens Gott zu trauen und von ihm sich gehalten glauben, das lässt unser Menschsein seine ursprüngliche Gestalt wiedererlangen und dann in jener durch nichts eingeschränkten Vertrautheit mit Gott sich vollenden, wie der Schöpfungsmorgen sie kannte.
Doch diese durch das gelebte Leben bewährte Heimkehr des Menschen zu seinem Gott hat - so bezeugen die Jahrtausende der Heilsgeschichte - immer wieder neu und immer wieder noch einmal das Mißtrauen durchkreuzt. So sehr, dass irgendwann die Frage hat aufkommen müssen, ob denn Gottes Absicht mit uns sich überhaupt einmal erfüllen werde. Und eben darum - um dieser Absicht der Liebe willen - ist unerwartbar und unausdenkbar Gott selbst als einer von uns in seine Welt getreten, um auf menschliche Weise als erster diesen Weg der Heimkehr ganz zu gehen und so auch für uns gangbar zu machen.
Und jetzt - von daher - können Sie verstehen, warum Jesu Passion und Tod für uns Christen nicht das Ende eines Idealisten und nicht das tragische Missgeschick eines guten Menschen sind, das vor ihm auch schon die Propheten und unzählige andere erlitten haben. Seine Bereitschaft, für sein Leben mit Gott und sein Reden von Gott sogar noch mit seinem Sterben einzustehen, das hat nicht nur seine Botschaft besiegelt, sondern zugleich das Urangebot jener durch absolut nichts, nicht einmal durch den Tod begrenzten Gottesgemeinschaft ganz unterschrieben - es gibt für uns ja nichts, was mehr Gottvertrauen bezeugte als die Drangabe des eigenen Lebens. Weil Jesus auch noch in seinem Sterben am Kreuz nicht an Gott verzweifelte, sondern aus dieser letzten furchtbaren Verlassenheit zu Gott schrie, hat er den Abgrund des Misstrauens zwischen Gott und Mensch überbrückt. Auch noch in der unerbittlichsten Ohnmacht und selbst im Sterben nicht ins bodenlose Nichts, sondern in Gottes Hände sich fallen wissen, das ist die Erlösung von der Urangst um sich selbst, die den Menschen, will er sich Gott nicht anvertrauen, unentrinnbar ins Böse treibt.
Vom Tabor nach Golgota
Das aber heißt: Was auf dem Berg der Verklärung geheimnisvoll aufscheint, tritt auf der Höhe von Golgota in voller Klarheit heraus. In Jesu Ohnmacht und Sterben wird offenbar, was Gemeinschaft mit Gott in Wahrheit und letztendlich bedeutet. So ist die Verklärung gleichsam die verborgene Innenseite des Kreuzes. In der Osternacht wird sie in den Lichtern, die wir in Händen halten, sichtbar hervortreten. Die Botschaft dieser Nacht versteht aber nur, wer in diesen Wochen jetzt die Passionsgeschichte so betrachtet, dass ihm aus der Geschichte vom Leiden und Sterben des Herrn das befriedende Osterlicht zu leuchten beginnt - gerade so, wie aus Jawlenskis ohnmächtig gemalten Strichen das Antlitz des Menschen, nein: das Antlitz des Herrn aufglüht. Das ist die Vorbereitung auf Ostern, zu der uns diese Wochen rufen.