Oster-Ort
A: Lk 24,13-35
Viele in Deutschland kennen Wolf Biermann, Liedermacher aus der ehemaligen DDR. Vor Jahren wurde er dort ausgewiesen wegen seiner aufsässigen Lieder. Die Machthaber ertrugen sie nicht, weil sie zu wahr waren. Wolf Biermann glaubt nicht an Gott. Als man ihn einmal fragte, welche biblische Geschichte ihn am meisten berühre, antwortete er: "Das Beste an der Bibel finde ich die Auferstehung Jesu... der Teil der Leidensgeschichte also, der offensichtlich gelogen ist. Der enthält für mich die tiefste Wahrheit." Und dann erzählte Biermann vom Besuch einiger Pfarrer aus dem Westen, als er noch in Ostberlin wohnte. Da war einer, erinnert sich Biermann, der wollte sich sympathisch machen, indem er mir etwas sagte, von dem er glaubte, dass es mir gefällt. Es war nämlich die Rede auf die Auferstehung gekommen, und er sagte: "Na ja, Herr Biermann, das ist ja so eine Sache, das mit der Auferstehung. Da sind wir ja längst darüber hinweg." – So redete dieser praktische Pfarrer... – "Ich geriet" – erzählt Biermann – "in einen gedämpften Wutanfall über diesen Menschen ... Ich hielt ihm eine Predigt darüber, warum nach meiner unchristlichen Meinung die Auferstehung Jesu der wichtigste Teil der Leidensgeschichte ist. Wer die Auferstehung preisgibt, der ist von Gott und allen guten Geistern verlassen."
Utopie Auferstehung
Eine doppelt verkehrte Welt, diese Episode, von der Biermann erzählt. Er, der Atheist, verteidigt die Auferstehung gegen einen sogenannten aufgeklärten Pfarrer, gegen einen, dem aufgetragen wäre, für die Wahrheit des Evangeliums einzustehen. Und zugleich nennt der Liedermacher das, was er verteidigt und was ihm das Wichtigste an der Bibel scheint "... den Teil der Leidensgeschichte, der offensichtlich gelogen ist". Das ist ein zweifacher Widerspruch. Unfug ist Biermanns Äußerung trotzdem nicht. Er stellt sich damit nur in die Reihe derer, die davon Zeugnis geben, dass das, was Auferstehung meint, dem Menschen unabhängig von Religion und Denkungsart ins Herz geschrieben ist. Mir reichen die beiden Hände nicht, um Ihnen große Denker aufzuzählen, die überzeugt waren, dass es so etwas wie Auferstehung geben muss, wenn der Mensch es in diesem seinem irdischen Leben soll aushalten können – ohne dass sie an das Evangelium geglaubt hätten. Auferstehung, das Gerettetwerden gerade gescheiterten, abgebrochenen, unabgegoltenen Daseins, das Bewahrtwerden all dessen, was ein Mensch mit seinen besten Kräften gelebt und erlitten hat - Auferstehung als Gedanke, der für menschliches Dasein unaufgebbar, aber nichtsdestoweniger utopisch ist. Utopisch heißt wörtlich: Ohne Ort im Leben und der Welt, wie sie sind.
Ich glaube, die Situation der beiden Emmausjünger aus dem heutigen Evangelium war diesen modernen Gedanken gar nicht so fern. Sie wanderten nach Emmaus zurück, bitter enttäuscht. Ihre ganze Hoffnung hatten sie an Jesus gehängt. Ein wort- und tatmächtiger Prophet war er in ihren Augen gewesen. Einer also, dem sie zutrauten, die wirkliche Wahrheit über Gott und die Welt und das Leben zum Vorschein zu bringen. Und dann haben ihn die offiziellen Autoritäten wegen dem, was er sagte und tat, erledigt. Das leere Grab erwähnen sie nur noch beiläufig, weil ihnen das auch nicht weiterhilft. "Wir hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen würde", sagen sie. Aber wenn er, dieser Jesus, die Dinge schon nicht zum Guten zu wenden vermochte, wer dann überhaupt? Was er sagte und was er tat, war halt auch nur eine Utopie. Eine Vision vom Leben, wie es sein sollte, ohne dass es jemals so werden würde.
Der Schlüssel
So klagen sie einem, der sich ihnen auf dem Weg angeschlossen hat. Der aber pflichtet ihnen nicht bei noch tröstet oder beschwichtigt er sie. Stattdessen fängt er an, von der Schrift zu reden. Die ganzen Glaubensgeschichten, die dort stehen, angefangen von Mose, also den ersten fünf Büchern der Bibel, über alle Propheten bezieht er auf das, was mit Jesus geschehen ist. So Verschiedenes diese Geschichten erzählen mögen, so haben sie doch eine gemeinsame heimliche Mitte: dass Gott der Treue ist, der Treue in allem, sogar dort noch, wo sein Volk sich abwendet von ihm. Der "Ich-bin-für-euch" heißt er, wie eine der wichtigsten Geschichten erzählt, die von Mose handelt. Jesus ist vor dem Kreuz nicht geflohen und ist gestorben, wie er gestorben ist, weil er diesen Gottesgeschichten vertraute. Weil er überzeugt war, dass, wenn Gott der Treue ist, dieser Gott ihn auch noch im letzten Ende, im Sterben nicht fallen lassen wird. Ja sogar: dass dieses Sterben seine Botschaft vom treuen Gott endlich so glaubwürdig machen wird, dass gerade durch dieses Sterben Menschen Gott endlich als Gott wiedererkennen, und das heißt: jene Erlösung finden, von der die beiden Emmausjünger gesprochen haben. Wer sich tief genug ins Wort der Schrift hineinbegibt, wird erkennen, dass Jesus nicht verloren, sondern von Gott gerettet, dass er auferstanden ist.
Was der Unbekannte da sagte, muss Kleopas und den anderen Jünger tief berührt haben. Darum drängen sie den anderen, dass er bei ihnen bleibe. Man kann sich denken, warum: Sie wollten noch mehr hören von ihm, mehr von dem, was sie die Ereignisse vom Karfreitag in ganz anderem Licht sehen ließ. Und wirklich bleibt er bei ihnen. Sie halten Mahl, er bricht ihnen das Brot. Diese Geste trifft sie im Innersten. Ist sie doch das Erinnerungszeichen, das er den Seinen beim Abendmahl geschenkt hatte. Ein Zeichen das gar nichts anderes tat, als ihnen zu versichern: So wie Brot, von dem man lebt, bin ich für euch. Denn ich bin der Ich-bin-da-für-euch in Menschengestalt. Der geheimnisvolle Gottesname aus der Dornbuschgeschichte des Mose hatte in ihm ein menschliches Antlitz bekommen. Das unbegreifliche Geheimnis begegnete in ihm auf Du und Du, um gleichsam aus nächster Nähe zu versichern: Es ist wahr: Gott ist der Ich-bin-da-für-euch. Darum gehört dieser Jesus, in dem sich Gott so als der Treue offenbar macht und mitteilt, schon immer und für immer untrennbar zu Gott. Und das heißt: Er ist und bleibt mitsamt dem Kreuz der Lebendige. Als den beiden Jüngern das aufgeht, sahen sie ihn nicht mehr, sagt das Evangelium. Natürlich: Auch im nächsten Nahekommen bleibt Gott Geheimnis, über das Menschen nicht verfügen.
Österliche Veränderung
Aber trotz dieser Unverfüglichkeit ist durch Ostern etwas völlig anders geworden in der Welt: Die Hoffnung, die Menschen beseelt, so sehr, dass sie wider ihr eigenes Denken und Glauben an ihr festhalten wie ein Wolf Biermann - diese Hoffnung ist seit dem Ostermorgen nicht mehr utopisch, ortlos. Sie hat einen Ort im Leben bekommen: Im Wort Gottes und im Brotbrechen, also der Feier der Eucharistie. Wo Menschen sich hineinziehen lassen in die Gottesgeschichten, wo sie das Gedächtnis des Herrn begehen und dann miteinander so umzugehen versuchen, wie es diesem heiligen Tun entspricht, da erfahren sie - oft gebrochen und in Gleichnissen nur, aber wirklich - dass nichts umsonst ist, was sie aus Gottvertrauen tun wie Jesus. "Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?" Da geht ihnen auf, dass sie unverlierbar von Gott gehalten sind mitsamt dem Dunklen in ihrem Leben und sogar dessen Ende. In der Schrift und vom Altar her begegnen sie dem Auferstandenen, um sich von ihm sagen zu lassen: "Mein Weg ist auch der eure. Seid einander Zeugen dafür! Und freut euch über mich und über Gott." Das tun wir jetzt.