Was Gott uns zutraut

Fest der Hl. Familie B: systematisch

I
Gerade vor drei Tagen haben wir die Heilige Nacht gefeiert, Gottes Kommen ins Fleisch des Menschenlebens, ins Niedrige, Vergängliche, oft Angeschlagene. Und wie gut, dort unten, ganz unten auch unseren Gott zu wissen! Bis hinab in die dunklen Keller dessen, was Leben heißt. Und bald werden wir noch einmal Weihnachten feiern: An Dreikönig, offiziell heißt das: Erscheinung des Herrn. Da wird klar, dass gerade am Sich-Kleinmachen Gottes seine Größe, seine Herrlichkeit am Hellsten aufstrahlt. Denn ein Gott, der sich das leisten kann, sich so klein zu machen wie ein Kind zwischen Tieren im Stall und dennoch Gott bleibt – wie groß muss der sein! So groß, dass ihn auch noch die Fernsten suchen, sofern sie nur Suchende sind, wie die Weisen, die dem geheimnisvollen Stern folgen.

II
Zwischen diesen beiden Weihnachtsfesten liegt so etwas wie ein Hochplateau der Weihnachtlichkeit. Da befinden wir uns gerade. Und diese Tage laden wie von selbst dazu ein, ein bisschen auszumalen, was denn alles dazu gehört, dass Gott sich nicht gescheut hat, uns Menschenkindern auf Augenhöhe zu begegnen. So ist auch das heutige Fest der Heiligen Familie entstanden. Fromme Seelen haben sich da vorgestellt, wie denn das gewesen sein könnte nach der dramatischen Geburt in Bethlehem in Nazareth. Wie das Kind aufgewachsen ist, wie der Jesus-Bub dann dem Vater in der Zimmerer-Werkstatt half (naive, nein, nicht bloß naive, sondern auch sprechende Bilder dazu finden Sie hier in unserer Josefs-Kapelle), wie er sich dann Stück für Stück abnabelt und seine so sehr eigenen Wege geht, dass ihn die eigene Verwandtschaft für verrückt erklärt und aus dem Verkehr zu ziehen versucht.

III
Um all das, so interessant und aufschlussreich es sein mag, soll es jetzt nicht gehen, sondern um das Thema Familie – und wenn nicht heute, am Fest der Heiligen Familie, wann dann sollte davon die Rede gehen in einer Predigt! Viele von Ihnen haben wohl wahrgenommen, dass es zu diesem Thema im vergangenen Oktober eine Bischofssynode in Rom gab. Eine Zusammenkunft von Kirchenführern, die es bis in die Schlagzeilen der Tagespresse schaffte, weil dort Unglaubliches geschah und Dinge auf den Weg gebracht wurden, die die interessierten Gläubigen noch sehr beschäftigen werden, weil diese Synode im Herbst 2015 ihre Fortsetzung finden wird. Das Unglaubliche dabei war, dass endlich wieder einmal – nach fast 50 Jahren – in unserer Kirche auf höchster Ebene offen und kontrovers diskutiert wurde. Dass sichtbar wurde, wie da zwischen verschiedenen Richtungen um den rechten Weg und den rechten Glauben gekämpft wird.

Die Themen, die alles andere überblendeten, waren die Fragen, wie denn mit wiederverheirateten Geschiedenen und mit homosexuellen Paaren umzugehen sei. Da toben seitdem Kämpfe. Auf beiden Seiten übrigens deutsche Kardinäle: auf der einen, der suchenden Seite, Walter Kardinal Kasper, der einst Professor in Münster und Tübingen war, später Bischof des Bistums Rottenburg-Stuttgart, danach Kardinal in Rom mit Zuständigkeit für die Beziehung zu den anderen christlichen Kirchen, auf der anderen, der mauernden Seite, Gerhard Kardinal Müller, einst Professor in München, dann unselige zehn Jahre Bischof von Regensburg und nunmehr – noch von Papst Benedikt – ernannter Chef der Römischen Glaubenskongregation, der sich in den letzten Wochen wie ein Rottweiler Gottes aufführt, offen gegen Papst Franziskus agitierend. Unerträglich in Ton und Form. Aber so kennen wir Regensburgerinnen und Regensburger ihn ja.

Der Zwischenbericht der Synode suchte zunächst Wege zu öffnen. Ein Teil der Bischöfe wütete dermaßen dagegen, dass der Schlussbericht der Synode eher blass blieb und das Bisherige zu zementieren suchte. Papst Franziskus schwieg dazu eisern. Er sieht klar, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher in der katholischen Moralverkündigung. Und er ringt um Wege, wie er denn die Mehrheit der Bischöfe und Kardinäle überzeugen könnte, dass man nach neuen Wegen suchen müsse, ohne die alten Ideale aufzugeben.

Natürlich ist das leichter gesagt als getan. Niemals wird die Kirche ihr altes Ideal der lebenslangen Ehe aufgeben. Klar auch und berechtigt. Aber früher sind die Leute mit circa 40 Jahren nach einem erfüllten Leben gestorben. Doch heute werden sie locker 80, 90 und nicht selten 100 Jahre alt. Und wie nimmt sich dann das lebenslange Zusammensein aus? Können das alle? Geht es überhaupt? Stellen sich da nicht ganz andere Herausforderungen, wenn die eigenen Kinder als Erwachsene aus dem Haus sind und sich dann für Vater und Mutter die Frage stellt: Und was mache ich jetzt mit mir, der oder dem Best Ager, der oder die so fit ist, noch etwas ganz Neues anzufangen?

Und natürlich auch die Frage homosexueller Partnerschaften. Mein Gott, wer kann denn was dafür, wenn er oder sie so empfindet? Sind sie oder er nicht auch Geschöpfe Gottes, genauso geliebt wie die Heten, also die Heterosexuellen? Wie mit all dem klarkommen?

IV
Doch genau da komme ich nochmals auf das heutige Fest und die Heilige Familie zurück. Viele – und auch die heutige Liturgie – tun gern so, als wäre die Szene in Nazareth die Idylle der klassischen Familiensituation, gerade so, wie man sie sich übrigens erst seit dem 18. Jahrhundert vorstellt: Vater, Mutter, Kind bzw. Kinder – der Vater werktätig, die Mutter Hausfrau, die Kinder brav. Entschuldigung: Scheiße! Hat es nie gegeben! Der Konfliktgeschichten zwischen Ehepartnern und Generationen sind Legion durch alle Jahrhunderte. Die große Literatur lebt seit Jahrhunderten eben davon. Ist ja auch nicht schlimm – nur menschlich austragen muss man sie, die Konflikte.

Das war ja auch in der sogenannten Heiligen Familie der Fall. Die war ja eine klassische Patchwork-Connection. Josef, auf ausnahmslos allen künstlerischen Wiedergaben als alter Knacker dargestellt, verlobt mit dem jungen Mädchen Maria. Und dann ist die schwanger. Aber nicht von ihm. Schon zu Zeiten, als die Evangelien verfasst wurden, höhnten Gegner des Christentums: Hoho, Heiliger Geist, sauberer Lügenschmarrn, welcher Schwachsinn! Da war doch bloß ein römischer Soldat dahinter, der das Nazarener Mädel geschwängert und das dann dem tatterigen Josef das Kindchen untergeschoben hat.

V
Wir müssen uns einfach von Klischees verabschieden, denke ich. Von dem der sogenannten Heiligen Familie sowieso. Aber auch von denen, die ansonsten in christkatholischen Hirnen so umgehen. Wir haben so viele Partnerschaften, die nach einem ersten Angang scheitern und im zweiten oder dritten Anlauf gelungen sind, wo Menschen einander Halt und Hoffnung geben und Kinder bestens aufgehoben sind. Und wo in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ein Klima entsteht, das auch für nachwachsendes Leben einen offenen Raum hat.

Ist das schlimm? Natürlich ist es ein wahnsinniges Glück, wenn sich zwei Menschen auf den ersten Anhieb zusammenfinden und dann sagen können: Ja, so ist‘s gut mit uns und wir trauen uns in eine Zukunft hinein, was auch immer die bringen mag. Nichts schöner als das! Und ich kenne – Gott sei Dank – viele, die das von sich sagen dürfen. Aber die anderen, die, die zwei-, drei-, manchmal viermal Anlauf nehmen müssen, die gibt es eben auch. Und die hat unser Gott nicht weniger lieb. Oder glauben Sie, dass der Schöpfer des Universums, der offenkundig so locker 10 hoch 11 Milchstraßen aus dem Ärmel schüttelt, – dass der die Eheschließungen seiner Gläubigen in dieser Mini-Mini-Mini-Provinz namens Katholische Kirche auf diesen Mini-Mini-Mini-Planeten namens Erde abzählt? Entschuldigung, ich glaub echt viel, aber das glaub ich nicht, das nicht. Absolut nicht. Das wäre für mich eine Gotteslästerung. Ich hätte von Gott unverantwortlich klein gedacht.

VI
Was also bleibt in unseren Fragen nach Partnerschaft und Familie? Manchen Äußerungen von Papst Franziskus entnehme ich dazu einen hilfreichen Wink: Verantwortung und Barmherzigkeit braucht es. Verantwortung auf Seiten der betroffenen Partnerschaften und der sie begleitenden Seelsorger. Und Barmherzigkeit auf Seiten der Kirche für die Betroffenen wie auf Seiten der Partnerinnen und Partner füreinander – und, ja, das auch, Verständnis und Barmherzigkeit für die Vertreter der kirchlichen Seite. Es ist und wird immer eine Gratwanderung bleiben, Ideale hoch zu halten und trotzdem dem Vielfall gelebten Lebens gerecht zu werden. Wir brauchen Ideale, um im Leben halbwegs klar zu kommen. Aber manchmal muss man sie so hoch halten, dass man unter ihnen durch kann. Da kommt dann die erstpersönliche Verantwortung ins Spiel. Unser Gott ist groß genug, dass er uns das zutraut.