Geteilter Glaube, geteiltes Leben

Zum Ghana-Exchange-Project: systematisch (KSHG, Petrikirche)

I
Schon seit Jahrzehnten gibt es Partnerschaften zwischen Gemeinden des Bistums Münster und Gemeinden in den fünf Bistümern Tamale, Yendi, Navrongo-Bolgatanga, Wa und Damongo im Nordteil Ghanas. Dann kam eine Partnerschaft zwischen der hiesigen KSHG und der Studierendengemeinde Saints Peter & Paul Parish in Tamale hinzu. Und vor ziemlich genau zehn Jahren wurden diese Beziehungen in eine nochmals andere Dimension geweitet: ein Exchange Program, also Austausch-Programm zwischen der Katholisch-Theologischen Fakultät der WWU Münster und der theologischen Fakultät der nordghanaischen Bistümer, dem St. Victor‘s Major Seminary und dem St. Augustine Millenium Seminary in Tamale.

II
Der damalige Erzbischof von Tamale, Gregory Kbiebaya, kam bei einem seiner Münster-Besuche an unsere Fakultät und schlug vor, auch Kontakte zwischen der Münsteraner Fakultät und seiner Priesterausbildungsstätte in Tamale zu knüpfen: In St. Victor‘s und St. Augustine studieren ausschließlich Priesteramtskandidaten und Ordensleute, weil man in Ghana keine hauptamtlich tätigen Laien mit vollem Theologiestudium kennt. Ich habe mir dann im nächstfolgenden Forschungsfreisemester dieses Anliegen zu eigen gemacht und im WS 2004/05 in Tamale eine Gastprofessur in Philosophie angetreten.

III
Es war eine völlig neue Welt: Nach 14-stündiger Busfahrt über Schotterpisten kam ich nach St. Augustine, eine weitläufige Bungalowananlage mitten in der Savanne. Subsahara-Klima im Januar, der Hochphase der Sommerzeit, mit 40-45 °C, kein fließendes Wasser, dafür fast täglich Staubsturm und nachts Mücken ohne Ende. Oft Stromausfall, kein Internet. Später erfuhr ich: Meine Kollegen dort hatten eine Wette abgeschlossen, wie lange ich wohl bleiben würde. Aber ich blieb das ganze Semester, weil ich tief beeindruckt war von den Studierenden, den Kollegen, den sogenannten einfachen Menschen auf den Dörfern, in die ich kam, von den muslimischen Theologen, die ich kennenlernte – Tamale ist eine weitgehend muslimische Großstadt mit ca. 300 000 Einwohner, darunter ca. 11 000 Katholiken und eben die theologische Fakultät. Und genauso beeindruckt war ich von der Art, wie Menschen dort leben und ihren Glauben feiern, von der Vielfalt ihrer Riten und Kulturen, von der Begegnung mit den Ancient Religions, also den vorchristlichen und vormuslimischen Religionen, die in Ghana (wie überall in Afrika) hoch vital sind. Und ich war bezaubert von diesem Land. Darum blieb ich nicht nur, sondern war gewiss, wieder zu kommen. Und zugleich damit reifte der Gedanke, diese Erfahrung auch Studierenden unserer Fakultät zu ermöglichen. So kam es bereits ein Jahr später, 2006, zum ersten dreiwöchigen Blockseminar mit 24 Münsteraner Studierenden in Ghana: Magic Africa 1.0.

IV
In wenigen Wochen, am 14. August, startet Magic Africa 5.0. Das Seminar gehört fast schon zu den Klassikern unseres Lehrangebots. Denn es hat sich als ein einmaliger Lernort vielfältiger Perspektiven für künftige Theologinnen und Theologen, aber auch Studierende anderer Fächer, die dem christlichen Glauben verbunden sind, etabliert. Im Kern sind es sechs Perspektiven, in denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tiefe Erfahrungen machen:

  • Da ist zum einen die Begegnung mit diesem rätselhaften, im Grunde auf der Berliner Konferenz von 1884 von den Kolonialmächten unter Vorsitz Otto von Bismarcks künstlich geschaffenen Kontinent, der heute noch unter den Hypotheken der Machtkalküle leidet, denen er entsprungen ist. Der Kampf um die Unabhängigkeit der ehemals britischen Kolonie gehört in Ghana, das zu den ersten selbstständig gewordenen Ländern Afrikas zählt, noch heute zum Kern der nationalen Identität.
  • Eine Schicht tiefer treffen wir auf das schrecklichste Erbe der Moderne: die Sklaverei, in deren Verlauf ca. 60 Millionen Menschen aus Afrika, speziell auch aus Ghana verschleppt wurden. Nur ein Viertel der Versklavten erreichte seine Bestimmungsorte speziell in Lateinamerika, drei Viertel starben auf dem Weg zur Verschiffung oder auf der Überfahrt. Der Besuch der Sklavensammelstellen im Norden und der Sklavenburgen an der Atlantikküste gehören zum Erschütterndsten, was uns in diesem Seminar begegnet.
  • Nicht unverbunden mit dieser Schreckensgeschichte, aber dann auch auf ganz andere Weise, beschäftigt uns in Ghana die Frage der Missionsgeschichte. Schatten- und Lichtseiten der Christianisierung mischen sich dabei bisweilen. Fragen brechen auf, die bis heute ans Tragische rühren, etwa wenn ein Mann, der gemäß der Religion seiner Ahnen mehrere Frauen geheiratet hat, nun um die Taufe bittet und dann erfährt, dass er nur Christ werden kann, wenn er die zweite und jede weitere geehelichte Frau wieder wegschickt. Aber daneben steht genauso, dass nirgends so viel für die Bildung gerade von Mädchen getan wird – ohne Rücksicht auf Religion und Konfession – als in katholischen Gemeinden und Schulen. Oder aber, dass die Kirche vehement gegen den Hexenglauben ankämpft, dem auch heute noch selbst Intellektuelle anhängen, so sehr, dass als Hexer und Hexen verfolgte Männer und Frauen in eigenen Dörfern in Sicherheit gebracht werden müssen.
  • Eng verbunden mit dem Thema Mission ist, was man heute „Inkulturation“ nennt: Wie geht und was heißt es, heute als Afrikanerin, als Afrikaner dem Evangelium zu folgen? Wie drückt sich in diesen anderen Kulturen der Glaube im Leben und in der Liturgie aus? Muss man zuerst Grieche und Römer werden, um Christ sein zu können? Oder gibt es da einen ganz eigenen Rang der afrikanischen Traditionen und Denkformen, in die das Evangelium übersetzt werden muss, genauso wie es einst vom Jüdischen ins Griechische, vom Griechischen ins Lateinische, vom Lateinischen ins Germanische etc. etc. übersetzt worden ist? Der erste einheimische Bischof in Ghana, Peter Poreku Dery, zuerst Bischof in Wa, dann Erzbischof in Tamale war als einer der Konzilsväter des II. Vatikanischen Konzils einer der Vorreiter dieser afrikanischen Inkulturation. Ich habe ihn noch persönlich kennengelernt. Ein unglaublich charismatischer Mensch. Papst Benedikt hat ihm 2006 für seine Verdienste die Kardinalwürde verliehen. 2008 während unseres Seminars Magic Africa 2.0 ist er gestorben. Bereits jetzt läuft sein Seligsprechungsprozess.
  • Weil für die katholische Theologie Vernunft und Glaube untrennbar zusammengehören, beschäftigen wir uns in Ghana vor Ort immer auch mit afrikanischer Philosophie. Für viele überraschend ist, dass die uns vertraute abendländische Philosophie in Wirklichkeit afrikanische, nämlich in Ägypten liegende Wurzeln hat. Der Einfluss dortiger Weisheitslehren auf etliche Vorsokratiker und auf Platon, der übrigens selbst eine Zeit in Ägypten weilte, ist unübersehbar. Und nicht zufällig war auch für viele spätere Philosophien bis in die Moderne hin Ägypten so etwas wie die Chiffre für die Geheimnisse der Wirklichkeit. Heutige afrikanische Philosophen wissen das und weisen darauf hin, dass es vergleichbare Traditionen genauso im Subsahara-Afrika seit je gab und bis heute gibt, auch wenn diese Philosophien meist nur mündlich in Lied-, Gedicht- oder Tanzform überliefert wurden. So machen wir uns auch auf die Suche nach Black Athena und Sokrates im Kral.
  • Aber – letzter Punkt – nicht nur auf Traditionen blicken wir, sondern auch auf die unmittelbare Gegenwart. Und haben wir zur Kenntnis zu nehmen, dass es längst wieder neue Verwerfungen gibt zwischen Afrika und der Alten Welt aus Ost, Nord und West: Da geschehen Dinge, die Verheerendes anrichten: Landgrabbing, also der Landraub, der darin besteht, dass zumal fernöstliche Großmächte riesige Ländereien aufkaufen, um Nahrungsmittel oder Bio-Treibstoffe für die eigenen Nationen anzubauen, ohne die überkommenen Rechte der einheimischen Bevölkerung, die fast nie schriftlich verbürgt sind, zu beachten. Oder die Zerstörung einheimischer Industrien etwa im Textilsektor durch den Handel mit Second-Hand-Kleidung. Und am Empörendsten: die illegale Entsorgung europäischen, speziell auch deutschen Elektroschrotts nach Ghana: Wir werden auch die größte Computerschrotthalde Afrikas in Agbobloshie, einem südlichen Stadtteil der ghanaischen Hauptstadt Accra besuchen, wo Kinder und Jugendliche PCs, Bildschirme und Handys abfackeln, um an die wertvollen Metallbestandteile zu gelangen – und dabei derart viel Giftdämpfe einatmen, dass nicht wenige von ihnen noch vor dem 20. Geburtstag sterben. Da begegnet uns das berühmte „Herz der Finsternis“ (Joseph Conrad) in brutaler Ungeschminktheit.


IV
Wenn man von sich weg ins Fremde geht, kehrt man bereichert zu sich zurück, hat schon der Philosoph Hegel gewusst. Alle, die bislang in diesem Seminar dabei waren, werden das bestätigen. Man schaut dann mit anderen Augen auf den Glauben, die Kirche, sich selbst – ganz abgesehen von den persönlichen Beziehungen und Freundschaften, die dabei entstehen. Dieses Geschenk unserer ghanaischen Freundinnen und Freunde erwidern wir dadurch, dass wir immer ein Jahr nach unserem Seminar ghanaische Studierende und Dozierende zu uns einladen, um einmal auch unser Leben zu teilen. Der eine oder andere bleibt dann auch hier, um in Münster zu studieren. Bald wird die zweite Doktorarbeit eines Studenten aus Tamale hier fertig werden. Und für diese Seite des Austausches möchte ich Sie schon jetzt um Ihre Unterstützung bitten, damit dieses Programm auch nach seinem 10. Geburtstag weitergehen kann.