Finderglück
17. So A: Mt 13, 44-46
I
Franz von Assisi und sein Ordensbruder Masseo trafen sich einmal vor der Stadt draußen. Sie beschlossen, miteinander zu essen, weil in ihrer Nähe gerade eine Quelle entsprang und daneben ein schöner breiter Stein lag. Auf den legten sie ihr Brot, das sie geschenkt bekommen hatten.
Bruder Masseo, sagte Franz, wir sind eines so großen Schatzes gar nicht wert – und die Worte wiederholte er mehrere Male. Da erwiderte Masseo: Wie kann man da von einem Schatz reden, wo so viel Armut ist und es an den nötigsten Dingen fehlt? Hier ist kein Tischtuch, kein Messer, kein Fleischbrett, keine Schüssel, keine Hütte, kein Tisch, kein Diener, keine Magd zum Auftragen.
Da sagte Franz: Das gerade ist es, was ich für einen großen Schatz halte: Was hier ist, ist durch Gottes Güte bereitet, wie zu sehen ist, am Brot, das uns geschenkt wurde, am Steintisch, der so herrlich ist, an der Quelle, die so klar sprudelt. Und darum will ich, dass wir dies alles lieb gewinnen von ganzem Herzen.
II
Das Unverhoffte ihres Fundes, will Franz sagen, das ist das eigentlich Beglückende an ihm. Das lässt ihn nicht nur entdecken, was Masseo übersieht: Wie etwas scheinbar Unauffälliges ein Schatz sein kann. Sondern mehr noch: Für Franz werden das klare Quellwasser, der tischförmige Stein, das bisschen Brot zum Gleichnis der Güte Gottes, weil er alles als geschenkt empfindet, als gratis gegeben. Um das zu erleben, braucht man freilich die richtigen Augen dafür.
III
Ich glaube, diese Augen sind auch nötig, um die Gleichnisse des heutigen Evangeliums zu verstehen. Jesus bringt seinen Jüngern mit ihnen das Reich Gottes nahe. Reich Gottes ist der Name für das, was geschieht, wenn nichts mehr zwischen Gott und einem Menschen steht. Wenn der es darum wieder aushalten kann mit sich und anderen, wenn er trotz manch Bitterem und Schwerem irgendwie froh sein und getröstet seine Tage leben kann. Wer wünschte sich das nicht?! Wie finden wir dieses Gottesreich? Jesus sagt:
Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein. Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker. – Das Reich Gottes – heißt das – ist ein Glücksfall. Man kann es nicht machen. Man kann es nur finden. Aber: Es liegt schon bereit. Mitten im Ackerfeld unseres Lebens. Es kommt uns im Grunde auf halbem Weg entgegen. Und wenn ich es gefunden habe und voller Freude bin darüber, werde ich mich um diesen Schatz kümmern – im Grunde alles daransetzen, was ich habe, um ihn für mich und für immer zu gewinnen. Das ist dann die zweite Hälfte des Weges sozusagen, die ich selber einzubringen habe. Freilich könnte eine, einer den Schatz auch liegenlassen. Gezwungen wird niemand. Was einer tut, hängt davon ab, was für Augen er hat. Solche wie Franz oder solche wie Masseo. Masseo war, was er da sah – die Quelle, der Stein, das Stück Brot – selbstverständlich gewesen, nicht der Rede wert, eigentlich zu gering, als dass er es eines Blickes für würdig fand. Franz entdeckte mit seinen Augen den Schatz an und in den einfachen Dingen, die er als Geschenk empfand.
So ist es auch mit dem Gottesreich: Es kommt nicht von oben, von außen zu unserem Leben hinzu. Wir finden es im Leben selber und an ihm. Wie auch anders! Das Gottesreich entdeckt, wer anfängt, die vielen Spuren der Güte und Sorge Gottes um ihn in seinem Werktag zu entdecken. Dass ich in der Früh wieder aufwache; dass mir der erste Kaffee schmeckt, manchmal – so sei’s denn – auch die erste Morgenzigarette; ein blauer Himmel – oder auch das Rauschen des Regens, ein Lächeln von jemand, ein gutes Wort, ein Essen, das mir mundet, ein Sonnenuntergang, der Sternenhimmel, die Ruhe der Nacht. Alles Dinge, die wir nicht selbst machen und uns verdanken – die uns, wenn wir sie denn wahrnehmen, geschenkt sind.
V
Wer sie wahrnimmt, wird sie als Schatz empfinden – wie Franz. Wird staunen über den, der all das gibt, wird ihm danken dafür – und hat damit angefangen, das Gottesreich zu finden. Denn er wird gewiss werden, in der Hand dessen geborgen zu sein, der ihm alles gönnt und es gut mit ihm meint.
Nur unter dem Vorzeichen eines solchen Finderglücks bekommt übrigens auch so etwas wie die Taufe von Kindern einen tiefen Sinn. Wenn Eltern ein Kind zur Taufe bringen, weil ihnen das Wort „Gott“ nicht gleichgültig ist, weil ihnen das Evangelium Jesu Christi etwas bedeutet und weil sie glauben, dass es diesem jungen Leben gut tut, von Anfang an in die Welt der christlichen Sinnbilder, der Bräuche und Gebete hineinzufinden, dann tritt dem, was ein Kind den Eltern abverlangt, noch etwas ganz Anderes an die Seite. Dann hat ihnen ihr Kind nämlich etwas zu schenken, was sie sich nicht selber geben oder nehmen können. Denn für glaubende Menschen ist ein Kind zugleich ein lebendiges Gleichnis für jene Mitte der Botschaft Jesu.
An einer Stelle im Markus-Evangelium hören wir, wie Eltern Kinder zu Jesus bringen, dass er sie segne. Das war damals üblich. Eltern haben ihre Kinder gesegnet oder haben, wenn sie ihn trafen, den Rabbi um den Segen gebeten. Kein Wunder, dass sie das auch bei dem etwas seltsamen, aber so faszinierenden Prediger aus Nazaret tun. Die Reaktion seiner Jünger freilich war genauso typisch: Kinder zu haben, war zwar wichtig, aber als sie selbst gegolten haben sie nichts. Sie standen an unterster Stelle auf der gesellschaftlichen Skala. Auch hatte man viele Kinder. Starb eins, wie damals an der Tagesordnung, hatte man bald wieder ein neues. Und mit religiösen Belangen, dem Wichtigsten, was es für Israel gab, hatten sie erst recht nichts zu tun. Der Grund ist klar: Kinder können noch keine Gebote und Verbote einhalten und darum vor Gott auch noch keine Verdienste erwerben. Darum möchten die Jünger unbehelligt bleiben von den Plappermäulern und Schreihälsen, die die Leute Jesus zum Segnen bringen, möchten den Freiraum für das ihnen Wichtigste schützen – sie, die doch schon so viel von dem erahnen, was der Prediger aus Nazaret meint, wenn er vom Gottesreich spricht. Oder zu ahnen meinen.
Denn ausgerechnet in dieser Situation bekommen sie regelrecht eine Lektion erteilt. Jesus wehrt ihr Tun unwillig ab und stellt – wieder einmal – die Verhältnisse auf den Kopf: Hindert die Kinder nicht zu mir zu kommen, denn Menschen wie ihnen gehört das Himmelreich, sagt er. Einfach durch die Weise, wie Kinder vom Wesen sind, versinnbilden sie, was es heißt, ins Gottesreich einzutreten, also in ein unverbogenes, vertrautes Du auf Du mit Gott zu finden. Und wie sind Kinder? Neugierig sind sie und staunen können sie. Sie lassen sich überraschen, und alles ist für sie voller Geheimnis. Nichts halten sie für unmöglich und Wunder gelten ihnen als das Normalste von der Welt (zur Not der Eltern zumeist). Sie wissen, dass sie klein sind und haben kein Problem damit. Sie sind, wie sie sind, und allein das schon weckt ihr Vertrauen, einfach gemocht zu sein. Das Sich-und-anderen-etwas Vormachen, das Taktieren und Privilegien-Schaffen, das kennen die ganz Kleinen nicht. Wenige Jahre später ist das anders, da haben sie es längst von den Großen gelernt.
VI
Aber so wie bei den ganz Kleinen, – wie die sich in ihrer Welt bewegen und zu den Eltern stehen – so, sagt Jesus, ist es mit dem Gottesreich. Wahrscheinlich tun wir uns deswegen mit dem Evangelium manchmal so schwer, weil wir es ausschließlich durch die Brille des Erwachsenseins lesen.
Darum tut uns Not, daran erinnert zu werden, dass wir zumindest manchmal wie Kinder sein müssten, damit wir begreifen, was das heißt, „Gottesreich“ und dass das ein Versprechen ist, so geheimnisvoll, aber zugleich so wirklich, wie der Christbaum mit den brennenden Kerzen, den man nur einmal im Jahr für wenige Tage sehen kann.
Den Blick für’s Gottesreich kann man übrigens sozusagen einüben: Nehmen Sie sich doch einmal am Abend Zeit, lassen die Stunden des Tages noch einmal vorüberziehen und achten Sie darauf, was alles an Gutem und Schönem Ihnen geschenkt wurde. Achten Sie auch auf die kleinsten Dinge. Sie werden staunen, wie viel es war.