Gespieltes und echtes Weihnachten

Fest Taufe des Herrn (integriert Hochfest Erscheinung) B: Mk 1, 7-11 (+ Mt 2, 1-12)

I
Für unsere Universitätsgemeinde hat es mit Weihnachten immer etwas Besonderes auf sich: An den großen Feiertagen versammeln wir uns nicht, weil so viele aus unserem Kreis gar nicht da sind. Aber den letzten Tag der Weihnachtszeit, das Fest der Taufe Jesu, also heute, feiern wir, und das immer auch mit Blick auf den Dreikönigstag, das Fest der Erscheinung des Herrn, das zweite Weihnachten, das der Ostkirche so wichtig ist. Das war gestern – und ist in diesen nördlichen Breiten leider kein Feiertag.

II
Aber was ist das heute schon, ein christlicher Feiertag? Nur eine Minderheit selbst derer, die einer Kirche zugehören, begehen solche Tage noch. Nein, keine Sorge: Ich stimme jetzt kein Lamento auf die Gegenwart und auch kein Loblied auf die angeblich guten alten Zeiten an. Denn die gab es nicht.

In der Nummer 52 der Zeitschrift „Schaubühne“ vom 25. Dezember 1913 stand folgendes Gedicht von einem gewissen Theobald Tiger:

Das Christkind kommt! Wir jungen Leute lauschen
auf einem stillen heiligen Grammophon.
Das Christkind kommt und ist bereit zu tauschen
den Schlips, die Puppe und das Lexikon.
Und sitzt der wackre Bürger bei den Seinen,
voll Karpfen, still im Stuhl, um halber zehn,
dann ist er mit sich selbst zufrieden und im reinen:
„Ach ja, son Christfest is doch ooch janz scheen!“
[…]
So trifft denn nun auf eitel Glück hienieden
In dieser Residenz Christkindleins Flug?
Mein Gott, sie mimen eben Weihnachtsfrieden…
„Wir spielen alle. Wer es weiß, ist klug.“

Das ist geschrieben vor 105 Jahren. Theobald Tiger war natürlich ein Pseudonym. Dahinter verbarg sich Kurt Tucholsky. Und der letzte Vers – „Wir spielen alle. Wer es weiß, ist klug“ – zitiert Arthur Schnitzler.

III
Spielen wir auch? Spielen wir nur Weihnachten und Frieden? Seit etlichen Jahren gibt es Raumfahrt-Expeditionen mit internationaler Besatzung. Eine der ersten dieser Mannschaften bildeten der Russe Wladimir Kowaljenko, der Araber Sultan Ben Salman Al Saud und der Syrer Mohammed Ahmad Faris. Als die Drei von ihrem Flug zurückkehrten, berichteten sie von einer unvergesslichen Erfahrung, die sie miteinander gemacht hatten: Der Araber sagte: „Am ersten Tag des Fluges deutete jeder von uns auf sein Land. Am dritten oder vierten Tag zeigte jeder auf seinen Kontinent. Ab dem fünften Tag achteten wir nicht mehr auf die Kontinente. Wir sahen nur noch die Erde als den einen Planeten.“ – Der Syrer bestätigte: „Die Erde vom Weltraum aus zu sehen, ist wunderschön, alle Grenzen zwischen den Ländern waren verschwunden.“ Und der russische Astronaut fügte hinzu: „Ich sah eine orangefarbene Wolke, die sich durch einen Sandsturm über der Sahara gebildet hatte. Sie wurde von den Luftströmungen bis zu den Philippinen getrieben. Dort ging sie als Regen nieder. Da habe ich begriffen, dass wir alle in dem gleichen Boot sitzen.“

Den Planet Erde einmal so als ganzen zu sehen, hat genügt, den Dreien allen Egoismus und alle Abgrenzungen vergessen zu machen. Auf der einen Erde die eine Menschheit – so verschieden die Völker, die Rassen sein mögen. Sie gehören vom Wesen zusammen. Das wird von bestimmten Kräften immer wieder einmal lautstark, zum Teil mit Gewalttätigkeiten, bestritten, nicht zuletzt genährt von Ängsten um das Eigene und vor dem Fremden. Dabei ist die Entdeckung der Geschwisterlichkeit der Menschen und Völker auf der einen Erde überhaupt nichts Neues. Sie wird seit 2000 Jahren vom Christentum verkündet – und verkündet auf eine Weise, die weit hinausgeht über die Anerkenntnis, dass alle im gleichen Boot sitzen. Man muss, um das zu sehen, nur darauf achten, an welcher Stelle im Evangelium erstmals Fremde auftauchen, wie sie auftreten und was über sie gesagt wird.

Zu diesem ersten Auftritt kommt es mitten in der Weihnachtsgeschichte, wie Matthäus sie erzählt. Sterndeuter, also Wahrheitssucher, aus dem Osten kamen, sagt er, um das Jesus-Kind als den neugeborenen König der Juden zu ehren. Die da aus der Ferne kommen, die Fremden mit ihren anderen Lebensweisen, anderen Sitten, ihrem anderen Glauben – Leute also, die man ansonsten Heiden nennt: Die werden nicht als unwissend und in der Lüge befangen hingestellt, sondern der Wahrheit fähig erachtet. Obwohl fremd und anders, finden sie Zugang zu dem, was Jesus bedeutet. Sie fallen nieder, huldigen ihm und beschenken das Kind, heißt es.

Aber das ist noch nicht alles: Ihre eigentliche Spitze bekommt die Geschichte dadurch, dass die Weisen aus dem Osten im schärfsten Kontrast zu Herodes und seinen geistlichen Beratern gezeichnet werden. Sie, die Fremden, die unvertraut sind mit der Geschichte des Volkes Israel und mit seiner Hoffnung auf das Kommen eines Retters – sie machen sich auf den langen Weg, geführt einzig von einem Stern, also einer leisen, geheimnisvollen Ahnung, um diesen Retter zu suchen. Und sie finden ihn. Die jedoch, die sich in nächster Nähe zum Geschehen befinden, Herodes, der Repräsentant Israels, und die Fachleute fürs Religiöse reagieren ganz anders: Herodes erschrickt aus Angst vor einem etwaigen Konkurrenten, der ihm seine Macht bedroht. Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten wissen zwar, wo der Messias geboren werden soll, tun aber nichts dergleichen, dem Wink, der von den Fremden ausgeht, nachzuspüren. So übt Matthäus eine doppelte Kritik: Eine am Bescheidwissen über Gott und seine Pläne. Und genauso Kritik an jedem Versuch, Menschen, weil sie anderer Hautfarbe, Rasse und Herkunft sind oder eine andere Sprache sprechen, auszugrenzen. Für sie, die Fremden, ist Gott genauso Mensch geworden wie für die, die aufgrund ihrer Nähe zu den heiligen Dingen zu wissen meinen, wie alles sein wird. Das alles hat Matthäus gleich in den Anfang seiner Geschichte vom Leben Jesu hineingeschrieben. Anders gesagt: Was Gott durch Jesus kundtut, gilt von vornherein allen und für alle. Der christliche Universalismus ist kein Imperialismus, sondern ein Wir-Sagen auf menschlicher Augenhöhe im Zeichen eines Gottes, der sich dafür klein macht.

IV
An dieser Sicht der Christus-Botschaft gilt es Maß zu nehmen, heute mehr denn je. Christinnen und Christen sind verpflichtet, diesem Maß öffentlich Geltung zu verschaffen. Den Anfang dazu müssen wir freilich bei uns selber machen. Seit je stellen wir gern die Figuren der Weisen aus dem Osten, der Hl. Drei Könige, wie sie im Volksmund heißen, mit in die Krippen hinein, Figuren mit fremden Gewändern und verschiedenen Hautfarben. Das ist ein gutes Erinnerungszeichen. Freilich käme es darauf an, dass wir die Fremden, die uns im Leben auf Du und Du begegnen, genauso schätzen.

Und noch eins kommt hinzu: Im Sinnbild der fremden Gottsucher aus dem Osten klingt etwas auf, das die Christen gerade mit denen eng verbindet, die ihnen auf oft schmerzhafte und geschichtlich nicht selten tragische Weise nah und fremd zugleich sind – die Juden als die älteren Geschwister des biblischen Glaubens. Was von den Weisen gesagt wird, kennzeichnet auf ganz eigenartige Weise ja auch schon den gemeinsamen Stammvater des Glaubens, Abraham. Andreas Knapp hat das einmal so gesagt:

utopisches wetterleuchten im blut
sehnsuchtskompass gottweh

zähle die glühenden Sandkörner
am nachthimmel

stecke einen stern auf deinen wanderstecken
deine Kindheit liegt dir erst noch voraus

nur im verlassen alles vertrauten
findest du heim

Von den Weisen an der Krippe kann man genau dasselbe sagen, was der Dichter da dem Abraham zuschreibt. Und von uns selbst auch, solange noch ein Funken Sehnsucht in unserer Seele glimmt und wir anerkennen, dass wir fast überall in der Welt auch Fremde sind.

V
Dass Jesus selbst diese Erfahrung des Fremdseins in der Welt machte, als ihm seine Sendung bei seiner Taufe im Jordan aufging, kann nicht überraschen. Darum trieb es ihn in die Wüste, wie Markus erzählt, den Ort der Einsamkeit – der Bewährung auch, wie es Israel im Gang seiner Geschichte immer wieder erfahren hat. Dort stellte er sich dem, wozu er sich jetzt berufen glaubt. Er setzte sich dem Bösen aus – und hielt ihm Stand. Er musste erproben, ob die Liebe, die er empfing, und die Liebe, die er empfand, ob die tragen würde – und sie trug. Anders als bei Adam und den Seinen.

Und weil sie trug, war auch das Paradies nicht mehr verschlossen.
Er lebte bei den wilden Tieren, heißt es. Die Verbundenheit der Geschöpfe untereinander wird wiederhergestellt, der messianische Friede beginnt. Nach der Abwendung von Gott hatte ein Engel mit dem Flammenschwert das Paradies verschlossen, jetzt tragen nicht nur einer, sondern viele Engel Sorge um den Menschen, den neuen. Alles Sinnbilder das – natürlich – aber Sinnbilder, die für sich sprechen. Wir verstehen sie: Nichts und niemand mehr kann uns gefährlich sein, am Ende Tod und Teufel nicht einmal. Und behütet und bewahrt sind wir – Getragene. Was bewirkt solche Wunder? Die Liebe. Die Liebe Gottes zu uns, die Jesus bezeugt, und die, die er als Antwort darauf lebt.

Christsein heißt, diesem Zeugnis glauben und selbst die Liebe riskieren. Das hat nichts Gefühlsseliges an sich. Im Gegenteil: Die Liebe tun, heißt: Ohne auf den Preis zu achten, dem Verhängnis ins Wort zu fallen, den Teufelskreis von Schuldigmachen und Beschuldigtwerden zerbrechen. Jesus hat den Anfang gesetzt. Eine unzählbare Schar schon hat es ihm nachgetan. Sonst gäbe es die Welt gar nicht mehr. Jetzt sind wir an der Reihe.