Als Beschenkte leben
20. Sonntag B: Spr 9, 1- 6 + Joh 6, 51-58
I
Der vierte Sonntag in Folge ist es heute, dass wir das sechste Kapi-tel des Johannes-Evangeliums lesen, die Brot-Rede Jesu. Begonnen hatte sie mit der Geschichte einer Brotvermehrung, nächsten Sonn-tag werden wir das Ende hören: Die Rede führt im Kreis derer, die sich Jesus angeschlossen hatten, zu einer Krise, die bis in die Mitte der zwölf Apostel führte. Jesus muss das gespürt haben, sonst hätte er sie, die Zwölf nicht gefragt, ob auch sie gehen wollten wie viele von den anderen. Vom eigentlichen Auslöser der Krise erzählt uns die Passage der Brot-Rede, die wir vorhin gehört haben.
II
Den Kern dieses heutigen Redestücks macht ein Satz aus, den die Hörerschaft Jesu eigentlich nur missverstehen konnte: Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben. – Wie kann denn das sein, das Fleisch essen und das Blut trinken dessen, der da lebendig vor uns steht? Das ist fraglos die verstörte und einzig mögliche Reaktion seitens der Hörerschaft. Diese Zuhörerschaft Je-su nennt Johannes durchgehend „die Juden“, denn natürlich denkt die christliche Gemeinde, für die Johannes sein Evangelium ein paar Jahrzehnte nach Ostern niedergeschrieben hat, beim Stichwort vom Fleisch essen und Blut trinken wie von selbst an das Abendmahl und dessen geistliche Fortsetzung in der Feier der Eucharistie. Aber das Missverständnis, dem die jüdischen Zuhörerinnen und Zuhörer zwangsläufig aufsitzen müssen, bildet zugleich so etwas wie einen dicken Stolperstein auch für die christliche Hörerschaft – einen Stol-perstein, der sie buchstäblich darauf stösst, vom Fleisch und Blut Christi in der Feier der Heiligen Messe nicht zu einfach zu denken, etwa Brot und Wein bloß für ein Erinnerungszeichen oder ein Nach-spielen des Abendmahls zu halten.
Um dieses Sichsleichtmachen im Verstehen zu vermeiden, muss man freilich hinzunehmen, dass die großen Reden Jesu in allen Evangelien nicht einfach Reportagen sind, die jemand aus dem Jün-gerkreis mitstenographiert hätte (wobei übrigens ohnehin keiner von ihnen wohl schreiben konnte). Nein, diese Rede – und auch etwa die berühmte Bergpredigt Jesu – sind subtile Kompositionen der Evan-gelisten, gebaut zweifellos auch aus Erinnerungen an wirkliche Wor-te aus dem Mund Jesu, aber dann eben ausgestaltet und verdichtet im Rückblick auf das ganze Leben Jesu einschließlich der Osterer-eignisse und gedeutet im Licht des Glaubens Israels, wie er im christlich sogenannten Alten Testament überliefert ist und eben auch der Glaube Jesu war, ohne den man ihn selbst überhaupt nicht ver-stehen könnte. In ganz besonderer Weise gilt dies alles für das Jo-hannes-Evangelium und darum auch für unsere Brot-Rede, die der Evangelist im Grunde dem auferstandenen Christus in den Mund legt und dabei Vieles aus dem Alten Testament anklingen lässt.
IV
Johannes war ein Meister solcher Anspielungen. Das konnten wir schon die letzten Sonntage hören, wenn da immer wieder vom Man-na und damit vom Exodus Israels aus dem Sklavenhaus Ägyptens die Rede war, um Jesus – alles was er sagt, was er tat und wie er war – als das wahre Manna, die Gottesgabe vom Himmel darzustel-len, die dem Leben auf wunderbare Weise Bestand gibt selbst in der Bedrängnis. Ganz Ähnliches bewirken die alttestamentlichen Lesun-gen, die die Brot-Rede begleiten: die Geschichte vom Propheten Eli-scha und von seinem Lehrer und Meister, dem Propheten Elija, die uns da schon begegnet sind. Und heute erweisen uns diesen Dienst der Einweisung in die Tiefenschicht des Evangeliums einige wenige Verse aus dem Buch der Sprichwörter, einem späten Stück des Al-ten Testaments, das auch eine Vielzahl von Motiven aus anderen Religionen aufgenommen hat in der Überzeugung, dass diese so etwas wie ein Vorspiel dessen sind, was Israel als Gottes Offenba-rung erfahren durfte.
V
In diesen Versen von heute aus dem Buch der Sprichwörter – so hörten wir – ist von der Weisheit als einer personifizierten Gestalt die Rede. Die spielt im Alten Testament eine herausragende Rolle, die die späteren christlichen Leserinnen und Leser total in Bann schlug. Wenige Zeilen vor unserer Stelle sagt diese Weisheit etwa von sich, dass sie Gottes erstes Geschöpf war, das als sein Liebling, sein Töchterlein vor ihm spielte, als er die Welt ins Dasein rief. Wenn Sie schon einmal im Vatikanischen Museum in der Capella Sistina wa-ren, da konnten Sie das in Michelangelos Deckengemälde sehen dort, wo der machtvolle, energiegeladene Schöpfer mit dem gebiete-rischen Fingerzeig seiner Rechten den Adam schafft und dabei mit der Linken eine wunderschöne junge Frau mit blonden Haaren um-fasst, die mit ihren großen blauen Augen höchst interessiert auf die-ses soeben ins Dasein gerufene Mannsbild Adam blickt: Die Schöne, das ist Gottes Liebling, die Weisheit. Gottes Liebling, Gottes Kind – da haben später die Christinnen und Christen natürlich gleich an Christus gedacht, aber die weibliche Seite dieses Gotteslieblings ging dabei nicht verloren. Deshalb ist der wohl älteste Name, den ei-nige Evangelisten Jesus gaben, tatsächlich der Name „sophia“, also Weisheit. Und – ganz wichtig für uns: Das Johannes-Evangelium nimmt schon in seinen ersten Versen Züge dieser Weisheitsgestalt in seine Rede von Jesus als dem Logos, dem Wort Gottes auf, um von Anfang bis Ende Christus als Weisheit Gottes darzustellen. Daher kommen die tiefen Bezüge zwischen unserer kleinen Lesung aus dem Sprichwörterbuch heute und dem, was der Christus der Brot-Rede über sich sagt.
VI
Wir brauchen nur wahrzunehmen, was da von der Weisheit gesagt wird: Sie hat ihr Haus gebaut, ihre sieben Säuen behauen. Da be-gegnet sie uns also, eine souveräne Hausherrin im buchstäblichen Sinn, die dem Leben eine Wohnstatt, ein schützendes Dach über dem Kopf bereitet; Dächer von Häusern ruhten damals tatsächlich oft auf sieben Säulen, sechs im Kreis, eine in der Mitte. Dem Leben so Geborgenheit geben, dass hatten in den umliegenden Völkern Is-raels die Ägypter von der Göttin Isis gesagt und die Babylonier von ihrer Ischtar. Für Israel steht die Frau Weisheit, die Gotteskind ist seit Ewigkeit, modern gesprochen für die fürsorgliche Weltzugewandtheit Gottes, die das Leben der Geschöpfe birgt und hütet. Und worin drückt dieses besorgt Sein sich am unmittelbarsten aus? Natürlich im Bereiten eines Mahles: Sie schlachtet, sie mischt den Wein mit Honig und Kräutern, sie deckt den Tisch. Jemanden ein gutes Essen berei-ten heißt so viel wie: Ich möchte, dass dein Leben erhalten bleibt und dass es dir gut geht. Und dann schickt sie ihre Mägde aus, dass sie die Gäste einladen. Und in den Worten der Einladung deutet sich zu-gleich an, worin das Mahl selbst besteht: Darin, dass die Unerfahren und Unwissenden kommen und von ihrem, der Weisheit, Mahl essen und von ihrem, der Weisheit, Wein trinken und dadurch von der Tor-heit ablassen und auf den Weg der Einsicht finden. Will sagen: Die Weisheit selber ist die Speise, die die Essenden weise macht und sie am Leben hält. Wer die Weisheit in sich aufnimmt, wird gestärkt und sein Leben wird zum Fest, das Dunkel der Unwissenheit und Torheit, der Verlorenheit wird vertrieben.
VII
Eben genau all dies sagt auch der johanneische Christus der Brot-Rede von sich: Wer ihn, die fleischgewordene Weisheit Gottes, in sich aufnimmt im Hören auf das, was er sagt, und im Tun dessen, was er tut, also der Nachfolge, dessen Leben findet Boden unter den Füßen und Heimat und Geborgenheit – und zwar eine, die nie mehr endet. Weil, wer sich von dem nährt, wofür dieser Christus steht, ihm gleichsam einverleibt wird und so hineingenommen wird in jenes un-zerstörbare Leben, aus dem Christus, das geliebte Gotteskind, seit je von Gott her lebt: Wie ich durch den Vater lebe, sagt er, so wird je-der, der mich isst, durch mich leben. Durch den Glauben und Nach-folge werden wir sozusagen hineingeholt in den Stromkreis des ewi-gen Lebens, der seit je zwischen dem Vater und der töchterlich-sohnlichen Weisheit zirkuliert.
VIII
Dazu sind wir Sonntag für Sonntag eingeladen. Und weil wir Men-schenkindern nicht nur aus Geist bestehen, sondern auch einen Leib haben, drückt sich diese Einladung in den sinnlichen Gaben von Brot und Wein aus, die Christus selbst zum Zeichen seiner Verbunden-heit mit uns gemacht hat. So ruft uns jede Heilige Messe, die wir fei-ern, eben das zu, was einst die schöne Gottestochter Weisheit sag-te: Kommt, esst und trinkt von der Weisheit Christi, denn so ahnt ihr etwas vom Geheimnis Gottes und lernt ihr, wie rechtes Leben geht.