Christus-Begegnung

3. Fastensonntag A: Joh 4,5-26

  
I
In den letzten Oktobertagen 1886 geschah in einem Beichtstuhl der Kirche St. Augustin in Paris folgendes. Die Sache ist bekannt, weil der Betroffene sie später selbst erzählt hat, der Beichtpriester musste ja schweigen. Es war Charles de Foucauld. Der Offizier und Haudegen war nach einem ungezügelten Leben irgendwie auf der Suche, der Suche nach der Wahrheit, nach Gott. Zu dieser Zeit betrat er den Beichtstuhl in jener Kirche und sagte: Pater, ich habe keinen Glauben. Ich komme zu Ihnen, um Aufklärung über die Religion zu erhalten. Der Pater darauf: Knien Sie nieder, beichten Sie, und Sie werden glauben können. Foucauld antwortete: Aber, ich will nicht beichten; dazu bin ich nicht zu Ihnen gekommen. Der Pater: Beichten Sie! Charles de Foucauld beichtet. Er bekennt alles, was er in seinem verfehlten Leben getan, was er gesündigt hat. Seit dieser Beichte war er gläubig. Später wurde er Einsiedler. Heute gilt er als ein heimlicher Heiliger.

II
Gewiss, eine Bekehrung, wie sie nicht jeden Tag geschieht. Und doch kann anders als so keiner zum Glauben finden, auch wenn es in der Regel weit weniger spektakulär geschieht als bei Charles de Foucauld. Es ist ja alles andere als ein Zufall, dass uns schon das Evangelium das Gläubigwerden auf haargenau die Weise schildert, wie Foucauld es erlebt hat. Johannes hat uns die Begegnung zwischen der Frau am Jakobsbrunnen und Jesus ja nicht zur Unterhaltung erzählt, sondern um uns zu sagen, wie Christusbegegnung, wie Christwerden geschieht, damit es auch an uns geschehen kann.

III
Jesus kommt in Samaria zu einem Brunnen. Es ist Mittag, er ist durstig und müde und ruht sich ein wenig aus. Dort trifft er eine Frau, die Wasser schöpfen will. Er spricht sie an, dass sie ihm mit ihrem Gefäß aus dem Brunnen zu trinken gebe. Die Frau ist irritiert. Sie war nicht darauf gefasst, dass ein Jude sie, die Samariterin anspricht. Juden und Samariter waren damals nicht gut aufeinander zu sprechen. Die Juden hielten die Samariter für halbe Heiden, für unzuverlässig, für religiös minderwertig. Trotzdem redet Jesus sie an. Auf ihre Nachfrage hin, warum er das tue, fängt er davon zu reden an, dass, wenn sie wüsste, wer er ist, nicht er sie, sondern sie ihn um etwas zu Trinken bitten würde, um lebendiges Wasser. Die Frau versteht – salopp gesagt – Bahnhof. Sie fragt sich, wie er denn ohne Schöpfgefäß in den tiefen Brunnen gelangen könne, denkt einen Augenblick lang sogar an einen anderen Brunnen, der ihr noch unbekannt ist. Jesus spricht weiter von dem Wasser, das er zu geben hat; dass, wer einmal davon getrunken hat, nie mehr durstig sein wird. Das gefällt der Frau. Ja, sagt sie, gib mir dieses Wasser, damit ich nicht mehr hierher kommen muss und mir die Plackerei mit dem Wasserschöpfen erspart bleibt. Noch immer ist die Frau ganz in ihren Gedanken gefangen. Wie Charles de Foucauld, der einerseits nach der Wahrheit, nach Gott sucht, sich andererseits aber im Beichtstuhl bloß ganz unverbindlich über die Religion informieren will. Und wie wir auch oft, wenn wir irgendwie merken, dass es eigentlich noch etwas ganz anderes im Leben geben müsste als bisher, und dann darunter doch nur ein bisschen mehr Bequemlichkeit verstehen.

Mit einer einzigen, ganz und gar beiläufigen Bemerkung zerreißt Jesus das Gespinst dieser Missverständnisse bei der Frau am Brunnen: Geh, ruf deinen Mann, und komm wieder her!, sagt er zu ihr. Sie darauf: Ich habe keinen Mann. – Jesus: Ja, du hast richtig gesagt: Ich habe keinen Mann. Denn fünf Männer hast du gehabt, und der jetzige Lebensgefährte ist nicht dein Mann. – Der Frau wird es wohl zuerst die Sprache verschlagen haben, dann sagt sie: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist, ein Gottesmann, der weiß, wie es um mich steht. Die Frau leugnet, beschwichtigt, entschuldigt nicht, weicht Jesus nicht aus. Er hat sie – völlig unvorbereitet – vor die Wahrheit ihres Daseins gebracht. Wie der Beichtvater es bei Charles de Foucauld tat, indem er ihn aufforderte, die Beichte abzulegen. Und wie es bei uns manchmal geschieht, wenn es uns durch ein Wort, durch eine Begegnung, ein Ereignis wie Schuppen von den Augen fällt und wir bis zum Grund erkennen, was los ist mit uns.

Und weil die Frau sich von Jesus durch und durch erkannt fühlt, geht sie ihrerseits noch einen Schritt weiter und fragt ihn nach dem Tiefsten im Leben, danach, wer Gott ist und wo man ihn findet. Jesus antwortet ihr mit Worten, die sie wohl versteht, aber wiederum bis zur letzten Tiefe noch nicht begreift: dass Gott weder auf einem Berg – wie bei den Samaritern – noch im Jerusalemer Tempel – wie bei den Juden – angebetet werden will, sondern im Geist und in der Wahrheit, d.h. anders und echter, als Menschen aus eigenem Antrieb und Fragen zu Gott beten. Das wisse sie, sagt die Frau, der erwartete Messias, der Gesandte Gottes, werde die Beter das lehren. Darauf Jesus: Ich bin es, ich, der mit dir spricht.

IV
Der Evangelist meint damit: Auf rechte Weise gibt Gott die Ehre – das ist ja Anbetung – , wer im rechten Verhältnis zu Jesus steht. Dieses rechte Verhältnis zu Jesus besteht darin, dass ich mir – unverhofft – schenken lasse, was er für mich übrig hat im buchstäblichen Sinn: Der Frau bietet er zuerst jenes lebendige Wasser an, das den Durst für immer besiegt, etwas also, das unser innerstes Bedürfen, unsere Sehnsucht nach Angenommensein und Liebe stillt. Zu diesem Geschenk gehört auch die Wahrheit über sie selbst, die ihr aufdeckt, wie sie bislang auf falschen Wegen dieses Bedürfnis zu stillen versucht hat. Und auch gehört dazu, dass sie dadurch, dass sie sich von Jesus schenken lässt, wonach sie eigentlich sucht, Gott selber ganz nahe kommt. Wie bei Charles de Foucauld, der dadurch, dass er beichtete, also bekannte, wer er war, und Jesu Wort der Vergebung aus dem Mund des Paters annahm, das Glück eines wunderbaren Glaubens fand.

V
Das alles hat Gott uns auch zugedacht. Vielleicht ist der Anfang schon längst gemacht. Vielleicht muss nur noch das Netz der Missverständnisse zerrissen werden, indem wir anerkennen, wie es in Jesu Augen – gemessen an seinem Maß – um uns steht.

Vielleicht ist hilfreich, dabei auch dem Beachtung zu schenken, wie solche Bekehrung in der Regel geschieht. Zwei ganz große Gottdenker haben sich mit dieser Frage intensiv beschäftigt: Der Philosoph Immanuel Kant und der Theologe und spätere Regensburger Bischof Johann Michael Sailer. Kant war in seiner Moral- und Religionsphilosophie überzeugt, dass es einer – so wörtlich – „Revolution“ der Denkungsart bedarf, wenn ein Mensch vom Bösen zum Guten soll finden können; und dennoch werde er sich dem Ziel der Heiligkeit immer nur asymptotisch annähern. Johann Michael Sailer teilt Kants Ansicht in weiten Teilen. Aber er mag nicht von „Revolution“ sprechen, stattdessen von „Regeneration“ oder „Wiedergeburt“, weil so der Anteil der göttlichen Gnade an der inneren Umgestaltung des Menschen besser Ausdruck finde. So kommt ein Moment des Wartens und Geschehenlassens ins Spiel. Die junge Sailerforscherin Margit Wasmeier-Sailer schrieb jüngst mit Blick auf Sailer: „Was sich über die Zeit hin entwickeln kann, steht nicht unter dem Druck des Augenblicks; wer Hilfe erhoffen darf – und was anderes ist Gnade? – steht nicht unter dem Druck, seine sittliche Besserung aus eigener Kraft erreichen zu müssen.“ Das tröstet, zumal dann, wenn wir trotz allen guten Willens doch wieder noch einmal fehlgehen – und neu anfangen dürfen, weil Gott mit uns Geduld hat. In einem kleinen Gebet von Johann Michael Sailer heißt es: Gott „Nimm mich an – wie ich bin, und mache mich, wie du mich haben willst.“ Für mich ist das ein schönes Stoßgebet für die nächste Woche.