„Wir tragen dazu bei, die Erinnerung an verfolgte Menschen zu aktualisieren“
Archivrecherchen koordinieren, Dokumente transkribieren und Einzelschicksale rekonstruieren sowie in den historischen Kontext einordnen: Das sind die Aufgaben, die Historiker Dr. Sascha Hinkel im Projekt „Asking the Pope for Help“ übernimmt. Außerdem ist er Experte für die „Digital Humanities“ und hilft mit seinem Wissen, die wissenschaftlichen Anforderungen des Projekts mit computergestützten Verfahren zu verknüpfen. Im Interview erläutert der Wissenschaftliche Mitarbeiter, was das Besondere an diesem Forschungsvorhaben ist, auf welche Frage er gerne eine Antwort hätte und welche Erfahrungen er mit verschlossenen Türen im Vatikan hat.
Was macht für Sie die Arbeit im Projekt „Asking the Pope for Help“ aus?
Vor allem die gesellschaftliche Relevanz macht es für mich zu einem ganz besonderen Projekt. Wir tragen dazu bei, die Erinnerung an verfolgte Menschen, die nur wegen der Zuweisung zur sogenannten jüdischen Rasse vernichtet werden sollten, zu aktualisieren. Diese Erinnerungsarbeit ist angesichts des noch immer – beziehungsweise wieder – herrschenden Antisemitismus äußerst wichtig. Durch Bildungsangebote können wir dazu beitragen, Antisemitismus zu bekämpfen. Darüber hinaus reizt mich das interdisziplinäre Arbeiten im Team, was in den Geisteswissenschaften noch immer etwas Ungewöhnliches ist. Wir sind keine Einzelkämpfer:innen, sondern können die riesige Aufgabe nur im Team bewältigen, das sich mit jeweiligen Kompetenzen ergänzt.
Welche Fähigkeiten bringen Sie in dieses Team ein?
Ich interessiere mich vor allem für digitale Editionen und Methodik, die Holocaustforschung und die Verzahnung zwischen Politik-, Sozial- und Kirchengeschichte. Dabei sehe ich mich nicht als reinen Historiker, der nur in seinem Spezialgebiet arbeiten möchte. Stattdessen arbeite ich gerne interdisziplinär über Fachgrenzen hinweg mit Forschenden aus der Theologie, der Philologie oder der Informatik zusammen. Das möchte ich auch in Zukunft tun und Wissenschaftler bleiben, was unter den Rahmenbedingungen, wie Wissenschaft finanziert wird, nicht selbstverständlich ist.
Was sind Ihre aktuellen Aufgaben?
Ich fahre regelmäßig in die vatikanischen Archive, wühle dort Staub auf, suche und finde neue Dokumente und habe großen Spaß an der Detektivarbeit – also dem Nachverfolgen von Spuren durch die unterschiedlichen Archive und Bestände. Außerdem verzeichne ich Akten sowie transkribiere und kommentiere sie. Ich vertrete das Projekt auf Konferenzen und bin beteiligt daran, Vorträge und Publikationen zu schreiben. Gemeinsam mit meiner Kollegin Barbara Schüler koordiniere ich die Arbeit der Studentischen Hilfskräfte. Als nächste große Aufgabe steht der Aufbau der Arbeitsumgebung für die digitale Edition an.
Kommt dabei auch einmal Frust auf?
Als frustrierend empfinde ich eher, dass wir bereits zu Projektbeginn wissen, dass wir nicht jedes Schicksal in gleicher Tiefe bearbeiten können, sondern eine Auswahl treffen müssen. Dabei ist jedes Schicksal einzigartig und sollte intensiv ausgearbeitet werden.
Auf welche wissenschaftliche Frage hätten Sie gerne direkt eine Antwort?
Dass Pius XII. umfänglich über den Holocaust informiert war, war eigentlich schon vor der Öffnung der Bestände aus seinem Pontifikat unumstritten. Genauso unumstritten ist, dass er öffentlich dazu schwieg. Ich würde gerne wissen, wie die internen Debatten abliefen, die zu dieser Entscheidung führten.
Und was würden Sie tun, wenn Sie auf Ihren Archivreisen einmal im Vatikan machen könnten, was Sie wollten?
Ich wurde einmal als letzter Nutzer des Archivs des Staatssekretariats dort eingesperrt und stieß beim Versuch, einen Ausgang zu finden, auf viele verschlossene Türen. Und gerade im Vatikan gibt es sehr viele verschlossene Türen – ich bin nur aus dem Archiv gekommen, weil ich aus einem Fenster um Hilfe gerufen habe, bis ein Schweizer Gardist kam und mich befreite. Für all diese Türen hätte ich gerne einmal einen Generalschlüssel!