Roma, Via Salandra 6 presso Giuliani
dal 18. Aprile via Rasella 191 int 5
presso Belardi
16. Aprile 1940
Ew. Heiligkeit!
Wollen gütigst verzeihen, dass ich Sie mit meiner Angelegenheit behellige:
Ich bin deutscher Emigrant, am 11. Mai 1870 in Berlin geboren, war 25 Jahre in dem bekannten Verlag „Ullstein“ in Berlin in gehobener Position tätig und wurde Ende 1933 auf Veranlassung des Regime Hitler entlassen, da ich infolge meiner Abstammung von jüdischen Eltern als Jude gelte.
Seit 1925 aus der jüdischen Religionsgemeinschaft ausgeschieden, sind meine Frau (geb. von Donop, Vollarierin) und ich – ich glaube es sagen zu dürfen – so gute Christen, wie irgendeiner sein kann.
[2v] Seit 1934 hier in Rom, gründete ich mit meiner Frau, einer anerkannten und mehrfach diplomierten Cosmeticerin, eine kleine Fabrik cosmetischer Producte, die infolge unserer intensiven Arbeit, sich schnell vergrößerte und 1935 Soc. An. wurde.
Als das Rassegesetz 1938 auch hier in Anwendung gebracht wurde, weigerten sich unsere Socien, mit uns weiter zu arbeiten, und ich war gezwungen, alles aufzugeben und, um nicht meinen ehrlichen Namen zu verlieren, Geschäftsschulden und Verpflichtungen, die ich als verantwortlicher Präsident der genannten Soc. An. eingegangen war, zu regulieren.
Damit waren wir von pekuniären Mitteln völlig entblößt.
Wir haben uns bemüht, Erlaubnis für die Einreise in Nord-America zu bekommen, sind [3r] in Besitz eines Affidavit und aller erforderlichen Documente, warten aber noch heute auf die deutsche Quotennummer. Die Einreiseerlaubnis für Indien und Australien wurde uns verweigert.
Seit mehr als einem Jahr lebten wir nun von dem Verkauf der uns gebliebenen Möbel, Wäsche, Kleidungsstücke ecc., stehen aber jetzt absolut vis-a-vis de rien, sind auf fremde Hilfe angewiesen und infolgedessen gezwungen, alle paar Monate das möblierte Zimmer zu wechseln.
Als rassemäßiger Jude bekomme ich hier keine Arbeitserlaubnis, ebensowenig meine Frau, teils weil sie meine Frau, teils, weil sie Nichtitalienerin ist.
Wir sind daher nicht in der Lage, solange wir noch hier zu bleiben gezwungen sind, [3v] selbst das für das bescheidenste Leben Nötige zu verdienen.
Ew. Heiligkeit dürfen überzeugt sein, daß es für mich in meinem Alter sehr bitter ist, diesen Brief zu schreiben und ich nahe mich Ew. Heiligkeit mit der ergebenen Bitte, uns zu helfen, sei es, daß uns maschinenschriftliche Arbeiten zugewiesen werden, sei es durch, wenn auch kleine finanzielle Unterstützung.
Ich küsse in vollendetster Dankbarkeit für die Ew. Heiligkeit bekannte große Güte Ihre Hände.
Untertänigst
Carlo Nathan
Via Rasella 1931 int. 5
Für alle in diesem Schreiben gemachten Angaben besitze ich die Unterlagen.
Archivio Apostolico Vaticano, Segreteria di Stato, Commissione Soccorsi 293, fasc. 29, fol. 2r-3v