Rechnende Räume
Zur informationellen Transformation räumlicher Privatheiten
DOI:
https://doi.org/10.17879/zts-2017-4924Abstract
Die räumliche Privatsphäre der »eigenen vier Wände« gilt in modernen Gesellschaften üblicherweise als Inbegriff von Privatheit überhaupt, was sich in der räumlichen Metapher ja auch zum Ausdruck bringt. Die hohe Relevanz, die räumlichen Privatheitsaspekten bei der Beschäftigung mit Gesellschaften des historischen Westens zugesprochen wird, ist zudem geschichtlich tief verwurzelt – dementsprechend stark auch die normative Verankerung: Ein Anspruch auf privaten Raum ist sowohl in den Menschen- und EU-Grundrechten formuliert als auch im deutschen Grundgesetz. Indessen lässt sich seit vielen Jahren das stetige Anschwellen eines Stroms populärer, publizistischer, politischer und wissenschaftlicher Diagnosen beobachten, welche vor einer digitaltechnologisch getriebenen Veränderung, Verschiebung, Gefährdung oder Auflösung des Privaten warnen. Obwohl vernetzte Digitaltechnologien immer stärker an der Konstitution zeitgenössischer Räume beteiligt sind, wird die Frage nach der Rolle des Raums für die digitale Transformation von Privatheit dabei genauso selten aufgeworfen, wie jene nach den Konsequenzen der Digitalisierung für räumliche Privatheit selbst. Der vorliegende Artikel setzt noch vor der normativen Diskussion an, indem er zunächst zur analytischen Aufklärung der Zusammenhänge zwischen Privatheit, Raum und Digitalisierung beiträgt. Die These, der im Folgenden Plausibilität verliehen werden soll, lautet konkret, dass die informationelle Transformation des Raums, die sich als Entstehung Rechnender Räume artikuliert, räumliche Privatheit zu unterlaufen geeignet ist. In der Folge kommt es einerseits zu einer Irritation der analytischen Unterscheidung zwischen räumlichen, informationellen (u. a.) Privatheitsdimensionen, und andererseits zu einer Erschwerung der hergebrachten, normativ eingeforderten Privatheitspraktik der individuellen Zugangskontrolle. Diese beiden Folgen erfordern eine Umstellung des konzeptionellen Ankerpunktes der Privatheitstheorie. Zum Ausgang des Textes wird ein Vorschlag unterbreitet, welches dieser Ankerpunkt sein könnte.