Die intrinsische Sozialität rücksichtslosen Handelns
Über Michael Tomasello und die dunklen Seiten humanspezifischer Kooperation
DOI:
https://doi.org/10.17879/zts-2016-4908Abstract
Verglichen mit der Interaktion nicht-menschlicher Tiere zeichnet sich das menschliche Miteinander durch ein ungekanntes Maß an Kooperation und kognitiver Geteiltheit aus. Fähigkeiten zur komplexen Perspektivübernahme und Selbstreflexivität, zu Sprache und Imitationslernen, zur systematischen Weitergabe von gespeicherten Wissensbeständen und zur institutionalisierten Zusammenarbeit – all dies finden wir bei anderen Tieren nicht, zumindest nicht in dem für den Menschen typischen Ausmaß. Diese naturgeschichtlich neuen Kompetenzen haben eine viel gerühmte Sonnenseite: Beim Menschen finden sich neue Formen von Hilfsbereitschaft, kumulative kulturelle Weiterentwicklungen etwa im Bereich der Technik und der Wissenschaft, aber auch die Möglichkeit des Explizierens von Gefühlen und der Generalisierung von Normen und Werten. Zugleich haben sie aber eine oft ausgeblendete oder ausgelagerte Schattenseite, hat doch der Mensch – auch was das Spektrum an rücksichtslosen Handlungen betrifft – grundlegend neue Verhaltensmöglichkeiten entwickelt: Lüge und Verrat; Beleidigung und Erniedrigung; Brandstiftung und Folter; Vergewaltigung als Kriegsmittel, ethnische Säuberungen, das systematische, oft hochtechnisierte Quälen und Töten tierischer und menschlicher Lebewesen und viele weitere Phänomene können ebenfalls mit gutem Recht als Humanspezifika bezeichnet werden. Auch diese Handlungsmöglichkeiten gilt es vor dem Hintergrund menschlicher Alleinstellungsmerkmale verstehbar zu machen.