Milieu als soziologisches Modell oder als historische Praxis?
Milieu- und Klassenbegriff in der vergessenen klassischen Soziologie von Weber, Durkheim, Marx und Geiger
DOI:
https://doi.org/10.17879/zts-2014-4861Abstract
Der Aufschwung der Milieuforschung begann in den 1960er und 1970er Jahren als Versuch, angesichts zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung fehlende Dimensionen der Gesellschaftsanalyse wiederzuentdecken. Dieser richtete sich vor allem gegen die dominanten Ansätze der Klassenund Schichtungssoziologie, die soziale Praxis, Mentalitäten und Zugehörigkeiten aus vertikalen ökonomischen Unterschieden abzuleiten versuchten und die sich dabei insbesondere auf die klassische Soziologie von Weber
bzw. von Marx beriefen. Diese Berufung erfolgte, wie ich darlegen möchte, zu Unrecht. Ein Textstudium erster Hand ergibt, dass die Ansätze der klassischen Soziologie – von Marx über Durkheim, Veblen, Weber und Geiger bis hin zu Bourdieu – in Wirklichkeit gerade mit dem ökonomistischen Reduktionismus gebrochen haben und einer differenziert und historisch konzipierten Praxistheorie gefolgt sind, nach der soziales Handeln relativ autonomen Eigenlogiken folgt, auch wenn es nicht frei von historischen und ökonomischen Bedingtheiten ist.