Kontextsensitive Narratologie: Zum Konnex von Kulturwissenschaften und Narratologie
DOI:
https://doi.org/10.17879/paradigma-2022-6092Abstract
In den 1970er-Jahren noch Leitdisziplin, galt die Narratologie in den Hochzeiten des Poststrukturalismus, der Dekonstruktion und des New Historicism als nicht mehr zeitgemäß und stand folglich nicht länger im Zentrum des literaturwissenschaftlichen Diskurses. Zu Beginn des Jahrhunderts kehrte sich dieser Trend erneut um und die interdisziplinäre Erzähltheorie führte „mit ihren neuen Ansätzen mitten in das Zentrum der zeitgenössischen Literatur- und Kulturtheorie“ (Nünning 2013: 16). Die Narratologie konnte sich also nicht nur wieder fest etablieren, sie hat sich zudem weiterentwickelt und neue Ansätze und Perspektive geschaffen. Auch wenn die Öffnung und die neue Diversifizierung der Erzähltheorie umstritten ist und kontrovers diskutiert wird, bietet das Aufkommen neuer literaturtheoretischer Ansätze, wie die feministische oder postkoloniale Narratologie, durchaus Chancen. Allerdings reicht die neue Interdisziplinarität der Erzählforschung nicht so weit, dass sie die Kulturwissenschaften erreicht: Es mangelt an „systematischen Versuchen, narratologische Konzepte und Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften zu entwickeln“ (ebd.: 18). Dies ist bedauerlich, da Kultur(en) selbst narrative Züge aufweisen und Erzählen ein kulturelles Mittel zur Sinn- und Welterzeugung ist. Zu erzählen, so ließe sich als allgemeine These aufstellen, ist ein anthropologisches Grundbedürfnis zur Verständigung, Vergemeinschaftung, Organisation, Identitätsstiftung – Erzählen ist ubiquitär, „es schert sich nicht um gute oder schlechte Literatur: es ist international, transhistorisch, transkulturell, und damit einfach da, so wie das Leben“ (Barthes 1988: 102). Dementsprechend erscheint es notwendig, das Potenzial der Erzähltheorie und ihrer Terminologie auszuschöpfen, indem ihre Konzepte für die Kulturwissenschaften operationalisiert werden. Zu klären wäre, „mit welchen Verfahren Erzählungen jene Erzählgemeinschaften erzeugen, die wir als Kulturen bezeichnen“ (Nünning 2013: 19).
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