Rückwärtserzählen

Autor/innen

  • Anastasia Milke

DOI:

https://doi.org/10.17879/paradigma-2017-6059

Abstract

„One cannot write a sentence without indicating tense but one can apparently make a shot, and therefore perhaps a film, without indicating tense“ (Henderson 1983: 57) – dem Medium Film wird hier eine potenzielle ,Zeitlosigkeit‘ zugesprochen. Auch wenn Henderson diese Möglichkeit überschätzt, wie Kuhn anmerkt (2011: 195), so würde er auf den essenziellen Unterschied zwischen erzählliterarischer und kinematographischer Indikation von Zeit verweisen: der Realisierung und Markierung von Temporalität. Während bei der Erzählliteratur die grammatische Tempusmarkierung von Verben einen zuverlässigen Orientierungspunkt bietet, wird im Spielfilm mit der Zeitmodulation des Verhältnisses von Discours zu Histoire gespielt (vgl. ebd.). Dabei ist der Film untrennbar mit dem Faktor der Zeit verschränkt; einerseits innerhalb des Mediums selbst, bspw. der Projektionszeit, und andererseits in seinem Verhältnis zu der Zeit die außerhalb des Mediums erfahren wird (vgl. Brütsch 2013: 293; Brössel 2015: 179 ff.).

Wenn nicht mit Eindeutigkeit etwas Anderes suggeriert wird, geht der_die RezipientIn eines Films zunächst von einer fortschreitenden Chronologie aus. Rückwärts erzählende Filme kehren jedoch diese gewohnte Chronologie um und trotzen damit den vorwärtsorientierten Rezeptionsgewohnheiten der Zuschauer. Der Effekt der Disorientierung, den eine solche Verkehrung mit sich bringt, regt durch Irritation RezipientInnen zur Achtsamkeit an und stellt sie kognitiv vor eine Herausforderung. Aus diesem Grund erfreut sich diese Form der ,extraordinary narrative‘ seit der Jahrtausendwende wachsender Beliebtheit (vgl. Brütsch 2013: 293). Nichtsdestotrotz ist dieser spezifische Umgang mit ,Zeit‘ im Film bisher nur wenig thematisiert und systematisiert worden.

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Veröffentlicht

2017-08-02

Zitationsvorschlag

Milke, A. (2017) „Rückwärtserzählen“, Paradigma, 1, S. 48–53. doi: 10.17879/paradigma-2017-6059.