Ulrich Werz (15.1.1964 - 14.6.2023)
Ein Nachruf von Claire Franklin-Werz
Ulrich Michael Werz,
Fundnumismatiker, Initiator, Gründungsmitglied und
Mitherausgeber von
OZeAN, verstarb am 14. Juni
2023 nach langer schwerer Krankheit. Er war bekannt
als Spezialist für römische (Fund-)Münzen und
insbesondere für Gegenstempel. Geboren und aufgewachsen
in Stuttgart, wo seine Eltern eine Fahrschule
betrieben, besuchte Werz die dortige Freie
Waldorfschule, wo er früh ein Interesse an
Altertumswissenschaft zeigte. Bereits in seinen
Schulzeugnissen als junger Teenager wird notiert,
dass er ein Römerlager nachbaute und sowohl
handwerklich als auch akademisch begabt war. Nach seinem Abitur und
Grundwehrdienst beim 1. Flugabwehrregiment 12 in
Hardheim fing Werz 1986 an, Klassische Archäologie
zu studieren. Er war kurz in Heidelberg, dann
wechselte er an die Georg-August-Universität
Göttingen und später an die Johann Wolfgang
Goethe-Universität Frankfurt am Main. Nach seinen
Zwischenprüfungen in Klassischer Archäologie und
Alter Geschichte schrieb er seine Magisterarbeit
1992: »Aphroditedarstellungen auf kleinasiatischen
Münzen der römischen Kaiserzeit«. Damit kam er zur
Numismatik, obwohl seine früheren Interessen eher
der antiken Kunst galten, und er blieb sein ganzes
Leben lang diesem Fach verbunden. 1995 erhielt Werz ein
Stipendium nach dem Hessischen Gesetz zur Förderung
von Nachwuchswissenschaftlern und begann mit
weiteren Studien in Frankfurt am Main. Daraus
resultierte 2001 seine Doktorarbeit, betreut von
Hans-Markus von Kaenel: »Gegenstempel auf
frühkaiserzeitlichen Aesprägungen im Rheingebiet«
(veröffentlicht online 2009). Darin ging es um
Gegenstempel oder Kontermarken, Zeichen
beziehungsweise Buchstabenkombinationen, die
mithilfe kleiner Punzen auf zirkulierende
Bronzemünzen geschlagen wurden. Das mehrbändige
Werk, zusammen mit dem daraus resultierenden Buch,
»Gegenstempel auf Münzen der römischen Kaiserzeit.
Katalog der Sammlung Konrad Bech« (Mainz:
Numismatische Gesellschaft Speyer 2004), machte Werz
bekannt in numismatischen Kreisen. Seine
Beschreibung der Sammlung des Mainzer Sammlers Bech
(1931–2022) erlaubte Werz, eine verkürzte Version
seiner Doktorarbeit zu verfassen, die sich rasch
besonders unter Sammlern verbreitete. Seine
Doktorarbeit erschien erst 2009 vollständig im
Internet, in der Zwischenzeit verfasste er mehrere
Aufsätze zu einzelnen Gegenstempeln. Seine Arbeit
umfasste nicht nur die Katalogisierung und Datierung
der Gegenstempeltypen samt der geografischen
Verbreitung der Fundorte kontermarkierter Münzen,
sondern auch die Analyse der einzelnen Stempel, die
benutzt wurden, um Gegenstempel zu schlagen. Die
Stempelanalyse erfolgte nach Methoden, die zuerst
Friedrich Imhoof-Blumer und Robert F. Kenyon
entwickelt hatten. Als Teil seiner Versuche,
die verwendete Prägetechnik der Gegenstempel zu
verstehen, wandte sich Werz der experimentellen
Numismatik zu. Er ließ ›Gegenstempel-Stempel‹ in
Eisen anfertigen und benutzte sie, um Hunderte
Kupferplatten zu stempeln. Dadurch konnte er
beobachten, wie z. B. das schräge Ansetzen des
Stempels oder die zunehmende Abnützung des Stempels
die Einstempelungen beeinflusste. Er berichtete 1999
darüber in seinem Aufsatz »Die Gegenstempel auf
Kupfermünzen des Augustus im Rheingebiet. Vorbericht
über eine Neuaufnahme« (s. Literaturliste), in dem
er feststellt: »Als Ergebnis lässt sich festhalten,
dass sich die Proportionen der Buchstaben zueinander
sowie ihre Stellung im Feld mit zunehmender
Abnützung des Stempeleisens nur unwesentlich ändern
und kaum meßbar sind. Je nachdem wie tief die
Buchstaben in das Eisen geschnitten wurden, wurden
sie im Laufe der Einstempelungen langsamer oder
schneller unscharf«. Zum Zeitpunkt seines Todes
waren die gestempelten Kupferplatten immer noch in
seiner Wohnung aufbewahrt. Durch seine Arbeit an den
Gegenstempel beschäftigte sich Werz unter anderem
mit dem Problem der Verortung der Varusschlacht, die
seit dem 19. Jahrhundert immer wieder diskutiert
wird. Er unternahm eine Stempelanalyse der
Gegenstempelgruppen VAR und CVAL, die bereits mit
Publius Quinctillius Varus und C. Numonius Vaala in
Verbindung gebracht wurden, und konnte eine Reihe
Stempeltypen und Untertypen nachweisen. Durch seine
Beobachtung von Über- und Unterschneidung von
Gegenstempeln auf Münzen entwickelte Werz eine
Chronologie und konnte diese benutzen, um eine
Datierung von 7–9 n. Chr. vorzuschlagen. Damit war
eine zeitliche Bestätigung der traditionellen
Datierung der Varusschlacht ermöglicht, die zusammen
mit einer Akkumulation an Fundobjekten zu der
Akzeptanz des Ortes Kalkriese bei Osnabrück als
Schauplatz der Schlacht führte. Zusammen mit Frank
Berger, der eine Studie der Fundmünzen von Kalkriese
übernahm, nahm Werz an mehreren Kongressen teil, auf
denen Archäologen ihre unterschiedlichen Meinungen
austauschten. Im September 1996 hielt er den Vortrag
»Die Gegenstempel auf Kupfermünzen des Augustus im
Rheingebiet. Erste Ergebnisse der Gesamtaufnahme«,
und am 25.11.1999 »Die Funde von Kalkriese. Varus,
Caecina oder Germanicus?«. Seine Ergebnisse wurden
nicht von allen akzeptiert, erreichten aber ein
breites Publikum. Danach wurde Werz immer wieder
speziell von Sammlern auf die Varusschlacht
angesprochen (und
ihre Meinungen dazu), eine Tatsache, die er durchaus
irritierend fand, da er längst andere numismatische
Interessen entdeckt hatte. Aber er blieb stets mit
Kalkriese in Kontakt und konnte 2016 einen Aufsatz
zu den dort bei Ausgrabungen gefundenen acht
aurei des Augustus mit Darstellungen von Gaius
und Lucius Caesares veröffentlichen. Für seine Arbeit an
Gegenstempeln begann Werz zu einem frühen Zeitpunkt
seiner Recherchen, Gipsabgüsse der gegengestempelten
Münzen anzufertigen. Damit stand er in einer langen
Tradition: Gipsabgüsse wurden für Münzkopien benutzt
seit etwa der Renaissance, und die Technik breitete
sich im 19. Jahrhundert rasch aus als einfache und
preiswerte Weise, Kopien zu erstellen. Wohl zum
größten Teil Autodidakt (obwohl er manche Tipps von
Kollegen übernahm), war Werz bereits 1997 so weit,
dass er selbst Vorträge und auch Praktika über
Gipsabgussherstellung halten konnte. Er
interessierte sich für den Prozess und hob
industrielle Kataloge zu Gipstypen und auch
Utensilien auf. Während der Vorarbeit für seine
Doktorarbeit besuchte er zahlreiche europäische
Museen und stellte Gipse von kontermarkierten Münzen
her. Die daraus resultierende Sammlung umfasste
7.250 Gipse zu 12.100 Einstempelungen (Bech,
Einleitung zu Werz 2004, S. 8). In seiner
Doktorarbeit spricht Werz von Gipsen von insgesamt
rund 5.700 zuweisbaren Einstempelungen, die sich auf
etwa 4.550 Münzen fanden. Werz’ Sammlung, die nach
seinem Wunsch posthum an die Universität Münster
verschenkt wurde, umfasst eine systematische Reihe
Gipse gegengestempelter Münzen. Der Hauptteil
besteht – gemäß dem Thema seiner Doktorarbeit – aus
Abgüssen von Reichsmünzen der römischen Kaiserzeit.
Auch andere Münzen, beispielsweise kleinasiatische
Prägungen und römische Provinzbronzen, sind in
seiner Gipsabgusssammlung zu finden.
Die Gipsabgüsse waren bis
zu seinem Tod in AGFA-Fotokartons in seiner Wohnung
aufbewahrt. In den Fotokartons lagen die Gipse in
nebeneinander liegenden Streichholzschachteln (Abb.
2), jeweils mit dem Gegenstempeltyp markiert.
Jeder Gips hat zusätzlich eine Seriennummer für
Identifikationszwecke. Zu der Sammlung gehört eine
Kartei mit Informationskarten zu jeder
kontermarkierten Münze, auf der Gewicht,
Stempelstellung, Abnutzungsgrad und andere
Einzelheiten notiert sind. Später übertrug Werz
solche Informationen auf großformatige
Computertabellen und Grafiken. Auch bewahrte er die
Rohstoffe für seine Arbeit auf: Gips in Pulverform,
Teelöffel, Kochlöffel, verschieden harte Zahn- und
Radbürsten, Plastilin, 70 %iger Alkohol usw. (er
schrieb eine Liste, die sich in seinen Unterlagen zu
einem am 7.12.1997 im Landesmuseum Bonn gehaltenen
Vortrag findet). Im Unterschied zu den sehr starren
Hinweisen für Gipsabgussproduktion bei R. Göbl,
Antike Numismatik (München 1978), war Werz sehr
praktisch in seinem Vorgehen und experimentierte
mehrfach mit anderen Produkten und Methoden, weshalb
mehrere Verkaufslisten für industrielle Produkte in
seinen Unterlagen zu finden sind. Nach Abschluss seiner
Doktorarbeit fand Ulrich Werz 2002 eine Stelle am
Münzkabinett Winterthur. Er wohnte zuerst in
Radolfzell am Bodensee und später, nach dem
Zerbrechen seiner ersten Ehe, in Waldshut, jeweils
in Baden-Württemberg, Deutschland. In Winterthur
befasste sich Werz mit der von Friedrich
Imhoof-Blumer (1838–1920) gestifteten Sammlung und
mit der dortigen riesigen Sammlung von Gipsabgüssen:
2003 schrieb Werz einen Überblick über die
Abgusssammlung. Er bezifferte die Zahl als rund
135.000 Abgüsse antiker Münzen und vermerkte: »Damit
zählt diese Abgusssammlung, neben denen von Paris,
Dresden, London und New York, zu den bedeutendsten
ihrer Art weltweit«. Anscheinend fertigte er
nebenbei immer wieder Gipsabgüsse von Münzen aus dem
Bestand des Münzkabinetts für seine eigenen Zwecke,
da viele Abgüsse römischer und kleinasiatischer
Münzen in seiner Sammlung vorhanden sind. Daneben
unternahm Werz auch eine Vielzahl an
museumspädagogischen und Publikumsarbeiten,
beispielsweise Museumstage, Münzherstellungsseminare
und Führungen. Er schrieb mehrere Leporellos für das
Münzkabinett zu diversen Ausstellungsthemen. In Winterthur bearbeitete
Werz auch Münzfunde aus der Schweiz – unter anderem
Funde aus Kempraten (2013), Oberriet (2012),
Regensdorf (2009), Vättis (2008) und Grosser Hafner,
Zürichsee (2006). Gleichzeitig blieb er vernetzt mit
Fundmünzenspezialisten in Deutschland. Durch diese
Arbeit fing er an, sich für Datenbanken und
Statistik zu interessieren. Später im Leben schrieb
er zunehmend über analytische Themen, sowohl als
Prozesse wie das Fotografieren von Fundmünzen. Nach
seiner Zeit in Winterthur fertigte er keine
Gipsabgüsse mehr an. 2014, kurz nach seinem
50. Geburtstag, musste Ulrich Werz das Münzkabinett
verlassen; gleichzeitig wurde bei ihm ein GIST-Tumor
im Fünffingerdarm festgestellt. Darauf folgte eine
Periode der Unsicherheit; geschwächt von der
Krebstherapie war Werz zu krank für eine
Vollzeitbeschäftigung, besaß aber immer noch sowohl
eine starke Arbeitslust als auch eine beträchtliche
Durchsetzungsfähigkeit. Aus Gesundheitsgründen wurde
er von Winterthur frühpensioniert. Trotz mehrerer
schwerer Operationen und starker Medikamente
schaffte es Werz in dieser Zeit, an den
Universitäten Freiburg im Breisgau, Zürich,
Osnabrück und Münster Vorträge zu halten und zu
lehren. Er bemühte sich
sehr um die Studierenden und verfasste
beispielsweise eine Einführung in die
Fundnumismatik. Er fing an, zahlreiche numismatische
Werke zu digitalisieren – hauptsächlich für seine
eigenen Zwecke, obwohl er seine Bibliothek immer
großzügig mit Kollegen teilte – und schrieb
Einführungen in verschiedene digitale Programme.
Durch sein Interesse an Fundmünzen und
Digitalisierung bekam er Kontakte zu Kollegen in
Polen, der Tschechischen Republik und Spanien im
Rahmen von
KENOM (»Kooperative
Erschließung und Nutzung
der Objektdaten von Münzsammlungen«)
und ähnlichen Projekten. In dieser Zeit erhielt er
den Auftrag, die Fundmünzen der Villa Borg im
Saarland zu bearbeiten. Dort waren seit Jahrzehnten
in einem Villenkomplex in der Gemeinde Perl (Kreis
Merzig-Wadern) große Mengen römischer Münzen
gefunden worden, mit vielen Antoniniane aus dem 3.
Jahrhundert sowie zwei Hortfunden. Die Aufarbeitung
war Auguste V. B. Miron begonnen worden; trotz
technischer und gesundheitlicher Probleme brachte
Ulrich Werz sie zu Ende. Das Buch wurde, mit einigen
technisch bedingten Verspätungen, Ende 2022
veröffentlicht. Ulrich Werz erlaubte sich noch einen
leisen Witz auf S. 185. 2016 ergriff Werz die
Gelegenheit, nach Hannover zu ziehen. Er hatte
bereits Kontakte dort und sah eine Möglichkeit, in
Teilzeit Fundmünzen immer dann zu bearbeiten, wenn
er es gerade gesundheitlich schaffen konnte. Er
beteiligte sich an dem Projekt um das neu gefundene
römische Marschlager nahe Wilkenburg, südlich von
Hannover, gab Vorträge, pflegte seine
Academia.edu-Seite und
arbeitete im Auftrag des Niedersächsischen
Landesamts für Archäologie, wo sein Eifer und Fleiß
geschätzt wurden. 2017 heiratete er in zweiter Ehe
Claire Franklin, die er 2009 beim International
Numismatic Congress in Glasgow kennengelernt hatte.
Eine Zeit lang ging es ihm gesundheitlich gut – er
fuhr Rad, stemmte Gewichte und beschäftigte sich mit
der Ausstattung seiner neuen Wohnung in Ahlem –
danach bekam er zunehmend Probleme aufgrund seiner
Krebserkrankung, obwohl er sehr viel auf seine
Gesundheit achtete. Vor allem sein Hand-Fuß-Syndrom
erschwerte ihm die Bewegung. Akribisch dokumentierte
er seine Symptome mit derselben Strenge, mit der er
vorher Münzfunde erfasst hatte. Den COVID-Ausbruch 2020 überlebte Werz
isoliert in der Wohnung, ausgestattet mit einer
großen Menge Konservendosen, durch das Internet in
ständigem Kontakt mit seinen Kollegen. Aber 2023
fehlte ihm zunehmend die Kraft. Er erfreute sich an
Internet-Käufen von Gipsabgüssen von Fossilien und
antiken Reliefs. Ulrich Werz blieb bis zuletzt bei
seiner Arbeit. Seinen letzten Aufsatz – über den
»Fund des Monats in Niedersachsen« – konnte er noch
im Juni 2023 fertigstellen. Danach ging er ins
Krankenhaus und verstarb am 14. Juni 2023 an einer
Lungenentzündung. Er war 59 Jahre alt. Er war ein
lebenslanger Befürworter der Organspende, und seine
Augenhornhaut konnte erfolgreich transplantiert
werden.