Das Eric P. Newman Graduate Seminar der American Numismatic Society (3. Juni – 28. Juli 2024) – Ein Erfahrungsbericht

von Jessica Schellig

Als eine der international bekanntesten numismatischen Forschungseinrichtungen ist die American Numismatic Society (ANS) in New York (Abb. 1) den meisten Leser*innen dieser Zeitschrift ein Begriff. Die Gesellschaft wurde 1858 von numismatisch Interessierten zur Förderung und Verbreitung der Münzkunde gegründet und traf sich zunächst im Haus des Gründungsmitglieds August B. Sage. Trotz der bescheidenen Anfänge hat die ANS sich zu einer international renommierten Forschungsinstitution entwickelt und auch ihre numismatische Sammlung zählt mit ca. 800.000 Exemplaren von Münzen, Papiergeld, Medaillen und Token zu einer der größten der Welt. Neben der Herausgeberschaft zahlreicher Fachpublikationen trägt sie vor allem durch den Aufbau verschiedener typologischer Onlinedatenbanken zur numismatischen Forschung bei[1].

Abb. 1: Der derzeitige Sitz der ANS in Lower Manhattan. © Jessica Schellig

Ein weiterer Schwerpunkt der ANS ist die Förderung von Nachwuchswissenschaftler*innen. So veranstaltet sie bereits seit 1952 das alljährliche Eric P. Newman Graduate Seminar, welches vor allem an Doktorand*innen der historischen Geschichtswissenschaften und Kunstgeschichte gerichtet ist, die eine numismatische Perspektive in ihre Arbeit integrieren wollen. Die Teilnahme am Seminar ist dabei nicht nur auf US-amerikanische Studierende beschränkt, sondern auch für internationale Nachwuchswissenschaftler*innen geöffnet. Die Teilnehmenden in diesem Jahr waren Fenfang Dong (CUNY Graduate Center), Kari Fossum (Bryn Mawr College), Francesca Lam-March (King’s College, London), Tonya Rushmer (University of Sydney), Daniel Qin (University of Pennsylvania), Flavio Santini (University of California, Berkeley), Arielle Suskin (Case Western Reserve University), Meredith Wielingen (Leiden University) und ich (DEIAHL Jerusalem/Universität Münster) (Abb. 2).

Abb. 2: Offizielles Gruppenfoto des Summer Seminar 2024. © Alan Roche

Bereits seit Beginn des Programms ist es eine Tradition der ANS, für den Zeitraum des Seminars eine*n Visiting Scholar einzuladen, welche*r während des Aufenthaltes nicht nur eigene Forschungsfragen verfolgt, sondern auch in engem Austausch zu den Studierenden steht und ebenfalls Vorträge zu seinem bzw. ihrem Fachgebiet hält[2]. In diesem Jahr weilte Dr. Ruth Pliego (Universidad de Sevilla) an der ANS und teilte ihre Expertise zur westgothischen Münzprägung mit den Teilnehmenden.

Das achtwöchige Seminar wird vom Kuratorium der ANS, in diesem Jahr insbesondere von Dr. Lucia Carbone, organisiert, welches darüber hinaus umfassend in die wissenschaftliche Betreuung der Studierenden eingebunden ist. Den Teilnehmenden wird dadurch die Gelegenheit gegeben, Vorlesungen über ein breites Themenspektrum zu erhalten. Das Programm des Seminars spiegelt dabei nicht nur die verschiedenen Bereiche der Sammlung wider, sondern wird auch durch die umfassenden Fachkenntnisse der jeweiligen Kurator*innen im Rahmen von 39 Vorlesungen bereichert. Da das Programm keine Vorkenntnisse erfordert, vermitteln umfassende Einführungen in die Numismatik die nötigen Kompetenzen: So erlernten die Studierenden generelle Prinzipien und Methoden der Münzbeschreibung und stilistische Analysen. Darauf folgten methodische Sektionen, in denen die Bedeutung und Aussagekraft von Stempelstudien sowie die Möglichkeiten und Grenzen von Quantifikationen in verschiedenen Kontexten erläutert wurden. Das Kuratorium ging außerdem auf die wissenschaftliche Signifikanz ein, welchen Fundmünzen innewohnt; den Teilnehmenden entwickelten dadurch ein Verständnis dafür, welche Interpretationsmöglichkeiten Münzen sowohl als Einzelfunde als auch Münzhorte hinsichtlich des regulären Umlaufes und ihrer Verwendung bieten. Darüber hinaus gab es Sektionen, die umfassend auf die Bedeutung der Metrologie und der Rekonstruktion von Gewichtsstandards hinwiesen, die zur Analyse von Währungssystemen zwingend notwendig sind. Somit erhielten die Studierenden einen gefestigten Zugang zu numismatischen Methodiken, auf welche die periodenspezifischen Sektionen aufbauen konnten.

Den Kern des Seminars bildete eine epochenübergreifende Vorlesungsreihe, welche sowohl durch Spezialist*innen des Kuratoriums als auch durch ausgewählte auswärtige Expert*innen gestaltetet wurde. Dabei wurde die breitgefächerte Sammlung der ANS bestmöglich integriert, sodass die Studierenden das jeweilige numismatische Material auch in den eigenen Händen halten und so ein Gefühl für materielle Eigenheiten bekommen konnten. Dr. Peter van Alfen gab den Teilnehmenden zunächst einen Überblick über die Monetarisierung Westkleinasiens und Griechenlandes. Im Zuge dessen wurden unter anderem Problematiken zur Definition des Geldbegriffes aufgegriffen und ein Abriss des aktuellen Forschungsstandes früher Elektronprägungen gegeben. Den Studierenden bot sich dabei die seltene Gelegenheit, diese Prägungen mit eigenen Augen zu untersuchen (Abb. 3). Van Alfen schloss daran eine Vorlesung über hellenistische Geldgeschichte an, in der die Folgen des Alexanderfeldzuges auf lokale Währungssysteme sowie die Münzprägung der Diadochenreiche erläutert wurden.

Abb. 3: EL, Trite, Sardis, 600–560 v. Chr., 4,7 g. © ANS 1911.94.1

Es folgten Sitzungen zu römischen Geldsystemen, welche hauptsächlich von Dr. Nathan Elkins und Dr. Lucia Carbone gestaltet wurden. Diese umfassten zunächst die Monetarisierung der römischen Republik beginnend vom Aes rude und bronzenen Barrengeldes (Abb. 4) bis hin zum numismatischen Reflex auf die Ermordung Caesars (Abb. 5) sowie den Prägungen des 2. Triumvirats. Ökonomische Aspekte wie die Währungsreformen des Augustus und das imperiale Nominalsystem wurden in gleichem Maße thematisiert wie die Signifikanz der kaiserlichen Münzikonographie. Eine Sitzung, die von Dr. Gilles Bransbourg geleitet wurde, deckte im Anschluss die wirtschaftliche Krise des 3. Jh. n. Chr. und die Reformen von Aurelian und Diocletian ab. Ein weiterer Fokus lag auf der Einführung des Solidus unter Konstantin dem Großen ca. 310 n. Chr. (Abb. 6) und der weiteren Entwicklung des Währungssystems bis zum 5. Jh. Diese Themenblöcke wurden durch eine Sektion zu römischen Provinzialprägungen im Osten sowie im Westen des römischen Reiches ergänzt, bei welcher die Studierenden einen Überblick über lokale Münzprägungen und ihre Eigenheiten erhielten.

Abb. 4: AE, Aes Signatum, gefunden in Fabbri, 310–280 v. Chr., 1.111 g. © ANS 1949.100.2
Abb. 5: AR, Denar, Brutus, mobile Münzstätte, 43–42 v. Chr., 3,79 g, 19 mm, 1 h. © ANS 1944.100.4554
Abb. 6: AV, Solidus, Constantinus I, Trier, 310–313 n. Chr., 4,77 g, 17,5 mm, 5 h. © ANS 1944.100.6006

Für die Behandlung der römischen Münzprägung waren weitere Gastdozierende eingeladen, die die Studierenden über ihre aktuellen Forschungsergebnisse unterrichten konnten. So sprachen Dr. Arkadiusz Dymowski und Ass. Prof. Dr. Kyrylo Myzgin (Universität Warschau) über ihre Studien zu Imitationen griechisch-römischer Prägungen in Osteuropa. Einen weiteren Gastvortrag hielten Dr. Elisabeth Günter (Universität Heidelberg) und Dr. Sven Günther (Northeast Normal University, Changchun) zum Thema Steuererhebung und ihr Einfluss auf die Münzprägungen des Römischen Reiches.

Das Seminar fokussierte sich jedoch nicht nur auf die griechisch-römische Antike, sondern war geografisch und zeitlich breiter aufgestellt. So gab Dr. David Yoon eine Einführung in ostasiatische Numismatik, in welcher die Studierenden unter anderem mit der Formenvielfalt frühchinesischer Prägungen (Abb. 7) konfrontiert wurden. Auch sassanidische und frühislamische Währungssysteme, insbesondere pseudo-byzantinische sowie pseudo-sassanidischen Prägungen der Umayyaden (Abb. 8) wurden durch Dr. Alireza Khounani (New York University) abgedeckt. Auf die nun erworbenen Grundkenntnisse baute Dr. Michael Bates, ehemaliger ANS Kurator für Islamische Münzen, auf und ging insbesondere auf die Bedeutung der Schriftlichkeit und Aussagekraft der Legenden anikonischer Prägungen islamischer Dynastien ein (Abb. 9).

Abb. 7: Kupferlegierung, Spatenmünze, unsichere Münzstätte, China, ca. 770–475 v. Chr., 17,03 g. © ANS 1937.179.14763
Abb. 8: AR, Drahm, ‘Abd al-Rahman b. Muhammad, unsichere Münzstätte, 82 H. / 701–702 n. Chr., 3,93 g, 29 mm, 3 h. © ANS 1966.151.2  

Abb. 9: AV, Dinar, al-Rashid, unsichere Münzstätte, Misr (Ägypten), 176 H. / 792–793 n. Chr., 21 mm. © ANS 1970.22.1

 

Auch das mittelalterliche Münzwesen, welches eine Themenfülle bietet, die durch ein eigenständiges Seminar abgedeckt werden müsste, wurde angeschnitten. Die Studierenden wurden durch Dr. David Yoon an das Thema herangeführt, bevor Dr. Ruth Pliego (Universidad de Sevilla) mehrere Vorträge zur westgotischen Numismatik hielt. So gab sie eine Einführung in die jeweilige Systematik sowie die Organisation der Prägestätten im Kontext historischer Entwicklungen. Darüber hinaus ging sie auf den überregionalen Münzumlauf westgotischer Prägungen ein, insbesondere sogenannter minimi (Abb. 10), der sich teilweise auf den ganzen Mittelmeerraum erstreckte. Und sie stellte ihre derzeitigen Forschungsergebnisse zum spätantiken Tomares-Hort vor.

Abb. 10: Kupferlegierung, Nummus, Westgoten, Toledo, gefunden in Zacha, Griechenland, 500–600 n. Chr., 0,435 g, 10 mm, 12 h. © ANS 1930.199.410

Ein bedeutender Forschungsschwerpunkt der ANS ist neben der antiken auch die amerikanische Numismatik. So widmete sich ein Teil des Seminars der Geldgeschichte Lateinamerikas und der Vereinigten Staaten. Dr. Jesse Kraft gab den Studierenden einen Überblick über die wirtschaftliche Auswirkung kolonialer Strukturen in Südamerika und erläuterte unter anderem die Förderung von Silber für den europäischen Kontinent. Das enorme Wachstum dieser neuzeitlichen Industrie ist insbesondere im Qualitätsabfall der in die Alten Welt exportierten Silberprägungen nachzuvollziehen (Abb. 11 und 12). Als mit der Numismatik verwandte Forschungsgattung wurde auch die Medaillenkunde im Seminar angerissen. Diesbezüglich gab Dr. Peter van Alfen eine Vorlesung zur Medaillenkunst von der Renaissance bis in die Moderne und wies auf die gegenseitigen Einflussnahmen und Überschneidungen zwischen Stempelschneidern und Medailleuren hin (Abb. 13).

Abb. 11: AR, 8 Reales, Philipp II. (Habsburg), Mexiko-Stadt, 1556–1598. © ANS 1918.169.16

Abb. 12: AR, 8 Reales, Karl II. (Habsburg), Mexiko-Stadt, 1665–1700. © ANS 1942.107.1

Abb. 13: Die Teilnehmenden betrachten ein Tablett mit frühen Medaillen der Renaissance. © Jessica Schellig

Die Studierenden erhielten jedoch nicht nur geldgeschichtliche Vorlesungen, sondern wurden auch in für die Numismatik relevanten arbeitstechnischen Kompetenzen geschult. So erhielten sie beispielsweise einen Crash-Kurs in Münzfotografie durch Alan Roche und wurden durch Ethan Gruber bezüglich digitaler Ressourcen und dem Potential der Digital Humanities für die Numismatik geschult. Des Weiteren gaben Dr. Nathan Elkins und Dr. Peter van Alfen den Nachwuchswissenschaftler*innen Hinweise zu Strategien des akademischen Publizierens sowie redaktioneller Standards und klärten über Fragen der Legalität und Ethik im Umgang mit Auktionsmaterial auf.

Das Summer Seminar bot nicht nur Gelegenheit dazu, Vorlesungen über verschiedene numismatische Themen zu erhalten, sondern auch eigenen Forschungsfragen nachzugehen. So verfolgten die Studierenden in enger Betreuung durch das Kuratorium individuelle Projekte, welche sie im Rahmen des Seminars vorstellen konnten und deren Ergebnisse planmäßig im American Journal of Numismatics veröffentlicht werden sollen. Dabei kommt den Teilnehmenden nicht nur die Unterstützung der Kurator*innen zugute, sondern auch die reich ausgestattete numismatische Bibliothek, der Zugang zu Stücken der Sammlung und das Netzwerk der ANS zu entsprechenden Experten. Vor allem die zweite Hälfte des Seminars war dazu gedacht, dass sich die Studierenden ihren Projekten widmeten. So vielfältig wie die Interessen der Teilnehmenden, so facettenreich waren auch ihre Themen. Die zeitliche Spanne reichte dabei von Untersuchen olbisch-pontischer Währungssysteme im 5. und 4. Jh. v. Chr. (Kari Fossum) über prä-ptolemäische Prägungen Ägyptens und ihre Metrologie (Fenfang Dong) bis hin zur Ikonographie amerikanischer Ureinwohner auf frühen Münzen und Medaillen der Vereinigten Staaten (Meredith Wielingen). Auch methodisch waren die Projekte weit gefächert. Einige Studierende widmeten sich ikonographischen Fragestellungen wie der Darstellung von Getreide auf republikanischen Prägungen und ihr Zusammenhang mit den Anonna (Tonya Rushmer), der Darstellung der Augustussöhne in den Provinzen (Francesca Lam-March) und der Bedeutung der Münzprogrammatik der Rebellen im 4. Jahr des Jüdischen Krieges (Arielle Suskin). Andere nutzten Stempelstudien, um genauere Datierungen bestimmter Münzserien zu erarbeiten oder Einblicke in die Administration der Münzstätten zu erhalten. So befasste sich Daniel Qin mit der Datierung der Plinthophoren von Rodos und Flavio Santini mit den zeitlichen Einordnung pompeianischer Prägungen in Pompeiopolis (Kilikien). Ich selbst forschte zur Organisation der städtischen Münzproduktion in der Provinz Syria unter Trajan. Somit konnte ich mich intensiv einem Teilaspekt meines laufenden Dissertationsprojektes es widmen, in dem ich mich mit der provinziellen Münzprägung aus Akko-Ptolemais beschäftige.

Abb. 14: Gruppenfoto beim Treffen des New York Numismatic Club: Daniel Qin, Dr. Ruth Pliego, Flavio Santini, Jessica Schellig, Tonya Rushmer, Meredith Wielingen (hintere Reihe), Dr. Lucia Carbone, Fenfang Dong, Arielle Suskin, Kari Fossum, Francesca Lam-March (vordere Reihe). © Dr. Peter van Alfen

Darüber hinaus bot sich den Studierenden die Gelegenheit, an einem Treffen des New York Numismatic Club teilzunehmen und dort weitere numismatisch Interessierte kennenzulernen (Abb. 14). Das Eric P. Newman Seminar der ANS bietet damit eine großartige Gelegenheit für Studierende, die entweder numismatische Ausrichtungen verfolgen oder numismatische Perspektiven in ihre eigene Forschung integrieren wollen. Das Seminar liefert eine Fülle an Inhalten und Möglichkeiten zur individuellen Förderung, dem nur wenige ähnlich ausgerichtete Programme ebenbürtig sind. Persönlich möchte ich mich an dieser Stelle für die Förderung durch den Santander-Mobilitätsfond der Universität Münster bedanken, welcher mich in der Teilnahme durch anteilige Übernahme meiner Reisekosten unterstützt hat.

 

 

Abbildungsnachweise: Abb. 1 und 13: Jessica Schellig, Abb. 2: Alan Roche, Abb. 3-12: © ANS; Abb. 14: Peter van Alfen

 



[1] Hier anzuführen sind Coinage of the Kings of Macedonia (PELLA), Ptolemaic Coins Online (PCO), Seleucid Coins Online (SCO) und Antigonid Coins Online (AGCO), die in der übergreifenden Datenbank Hellenistic Royal Coinage (HRC) zusammengefasst sind. Zukünftig wird darin auch die Typologie Bactrian Indo-Greek Rulers (BIGR) integriert. Für die römische Antike sind Coinage of the Roman Republic Online (CRRO) mit dem dazugehörigen Roman Republican Die Project (RRDP) sowie Online Coins of the Roman Empire (OCRE) zu erwähnen.

[2] Die Liste der ehemaligen Gastdozierenden enthält zahlreiche bekannte Namen der in Europa ansässigen Numismatik. Da OZeAN in Münster erscheint, soll an dieser Stelle die zweimalige Teilnahme (1958 und 1961) von Peter Berghaus, dem Landesnumismatiker von Westfalen, langjährigen Leiter des Münzkabinetts am Landesmuseum (1950–1984) und 1977–1984 auch dessen Direktor, hervorgehoben werden, https://numismatics.org/visiting-scholar/.