Methodische Überlegungen zur Untersuchung römischer Fundmünzen[1]
In Erinnerung an Uli Werz
Zusammenfassung:
Als Teil des römischen Limes sind die Städte Bad Wimpfen
und Jagsthausen eng verknüpft mit der römischen Expansion in das
Gebiet der Provinz Germania Superior, welche heute große Teile
des Landes Baden-Württemberg abbildet. Gegründet als
Militärlager am sogenannten Neckarlimes entwickelte sich Bad
Wimpfen mit der Verschiebung der Nordostgrenze in der zweiten
Hälfte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. zu einer Zivilsiedlung,
wohingegen das Lager Jagsthausen als Resultat dieser
Grenzverschiebung später errichtet wurde. Aufgrund ihrer
gemeinsamen geographischen Lage, aber abweichenden
Entstehungsumständen eignen sich die beiden Fundstätten bestens
als Fallstudien zur Aufarbeitung der römischen Münzfunde im
Limesgebiet zwischen Neckar und Jagst. Durch einen Vergleich der
Münzfunde aus Bad Wimpfen und Jagsthausen veranschaulicht diese
Studie auf der Grundlage moderner Methoden zur
Fundmünzenauswertung den aktuellen Stand der Forschung im
deutschen Sprachraum und offenbart darüber hinaus das
umfangreiche Potential kontextualisierter Analysen von
Fundmünzen für die Auswertung von Fundplätzen im Limesgebiet.
Schlagwörter:
Fundmünzenauswertung, Visualisierung von Münzfunden, Römische
Militärplätze
Abstract:
Located in southwestern Germany, the sites of Bad Wimpfen and
Jagsthausen form a part of the Roman frontier in the province of
Germania Superior called the Limes. Whereas Bad Wimpfen emerged
from a military camp and developed into a civilian settlement in
the second half of the second century CE, the fort of
Jagsthausen was established later when the frontier was
relocated further east. Given their similar geographical
relation yet variable contexts, the two sites were chosen as a
case study on Roman coin finds in the Limes region between the
Neckar and Jagst rivers. Using modern statistical methods, this
paper provides a comparative study of the coins from Bad Wimpfen
and Jagsthausen to illustrate the contemporary development and
state of research in the German Sprachraum. By identifying the
opportunities and limitations of certain methodical approaches,
the study aims to show the extensive potential contextualized
analyses of coin finds can have.
Keywords:
Coins in context, visualization of coin finds, Roman
frontier regions
Einleitung
In den letzten 15 Jahren sind in der
deutschsprachigen numismatischen Forschung mehrere wichtige
Publikationen erschienen, die sich mit der Interpretation von
römischen Fundmünzen und der Methodik der Untersuchung von
Münzen aus Ausgrabungen befassen und damit das wachsende
Interesse am Verständnis zu antiker Münz- und Geldgeschichte
widerspiegeln[2].
Um die aktuellen Trends und Methoden bei der Untersuchung
römischer Fundmünzen in Deutschland zu veranschaulichen, werden
in diesem Beitrag die Möglichkeiten und Grenzen verschiedener
Methoden der visuellen Darstellung und Interpretation von
Fundmünzen diskutiert. Die Leser mögen darauf hingewiesen sein,
dass die vorgestellten Methoden die Untersuchung einzelner
Fundorte und den Vergleich von numismatischen Daten aus
einzelnen Siedlungen zum Inhalt haben und nicht auf die Analyse
von Münzdaten auf großräumiger oder regionaler Ebene abzielen[3].
Darüber hinaus befasst sich dieser Beitrag nicht mit der
Untersuchung von Horten, sondern untersucht Funde, die als
zufällige Verluste eingestuft werden[4].
Der vorliegende Beitrag behandelt auch nicht die
Herausforderungen in der Analyse von dekontextualisierten
Altfunden des 18. und 19. Jahrhunderts. Alle Diagramme basieren
auf numismatischen Daten von Plätzen in Südwestdeutschland an
der römischen Grenze der Provinz Germania Superior. Damit ist
ein klarer Schwerpunkt der Analyse zugunsten von militärischen
Kontexten gegenüber rein zivilen Fundorten gegeben. Die in
diesem Beitrag dargestellten Perspektiven könnten auch durch den
wissenschaftlichen Hintergrund und die Forschungsinteressen der
beiden Autoren in der Untersuchung von Münzen als archäologische
Artefakte auf mikrohistorischer Ebene beeinflusst sein.
Von der Ausgrabung zur Erforschung von
Münzen
Als antikes Massenmedium tauchen römische
Münzen bei fast allen archäologischen Ausgrabungen und
Feldprojekten auf – auch wenn sie quantitativ hinter den
keramischen Massenfunden zurückbleiben. Keramikfunde werden oft
sofort nach ihrer Entdeckung an Ort und Stelle von
Keramikexperten klassifiziert oder zumindest später von einem
Teil des Grabungsteams identifiziert und zeichnerisch/graphisch
dokumentiert. Die Bearbeitung von Fundmünzen folgt in der Regel
einem anderen Weg. Münzfunde werden meist erst einige Zeit nach
der Ausgrabung an externe Experten in Museen oder Universitäten
zur Identifizierung übergeben. So werden die Fundmünzen manchmal
erst auch mehrere Jahre nach der Publikation einer Ausgrabung
veröffentlicht. Den externen Numismatikern, die nicht zum
Grabungsteam gehörten, fehlt es meist an Wissen über die
Kontextualisierung des Materials und der Fundumstände, und sie
haben oft auch kein Verständnis für die Archäologie des
Fundortes. Ohne einen gründlichen intellektuellen Austausch mit
der Ausgrabungsleitung und dem Rest des Grabungsteams, das die
anderen Kleinfundgattungen bearbeitet hat, bleibt eine
Wissenslücke bestehen, die sich negativ auf die weitere
Untersuchung und Auswertung der Münzen und damit auf die
allgemeine wissenschaftliche Praxis auswirkt.
Aufgrund des oben beschriebenen begrenzten
Wissens neigen die mit dem numismatischen Material betrauten
Wissenschaftler oft auch dazu, Münzen als dekontextualisierte
Objekte zu behandeln und sie nur für die Veröffentlichung in
einem komprimierten Katalog, das heißt einer Münzliste ohne
weiteren Bezug zum archäologischen Kontext, aufzubereiten. Ein
Blick auf eine repräsentative Auswahl von Grabungspublikationen
der letzten Jahrzehnte verdeutlicht dieses Dilemma. In
Grabungsberichten werden die Münzlisten meist separat am Ende
der archäologischen Diskussion und Interpretation des Fundortes
angefügt. In größeren monographischen Grabungsberichten werden
die Münzen oft streng hierarchisch innerhalb der Metallfunde
aufgelistet, was die räumliche und methodische Trennung vom
archäologischen Kontext, in dem die Artefakte einst eingebettet
waren, treffend symbolisiert.
Aufgrund der üblichen Praxis in der
Bearbeitung von römischen Münzen geben die numismatischen
Bearbeiter in ihren Münzlisten bestenfalls die Fundnummer aus
dem Grabungstagebuch oder der Fundtüte an und überlassen es den
Lesern der Endpublikation, die Bedeutung einer Münze und ihrem
archäologischen Kontext zu prüfen. Diese Kritik soll nicht
darüber hinwegtäuschen, dass die Probleme einer adäquaten und
methodisch reflektierten Untersuchung alle archäologischen Funde
betreffen – Keramik und Münzen gleichermaßen. Bei der Keramik
liegt beispielsweise der Schwerpunkt stets auf der Feinkeramik,
sodass die Grobkeramik, die den Großteil der Keramikfunde
ausmacht, in vielen Fällen nur kursorisch untersucht wird. Im
Vergleich zu anderen archäologischen Fundgattungen werden Münzen
aufgrund des institutionalisierten Fachwissens zur antiken
Numismatik in Grabungspublikationen immer noch vergleichsweise
gut vorgelegt, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen sollte,
dass das Potenzial der Untersuchung von Münzfunden nicht voll
ausgeschöpft wird.
Diese Einschränkungen rühren von
gewichtigen, in der gängigen Praxis etablierten Gründen her, die
eine sinnvollere Behandlung der Münzfunde verhindern. So fehlt
einigen Numismatikern aufgrund ihrer überwiegend
nicht-archäologischen, sondern historisch ausgerichteten
Ausbildung ein fundierter Bezug zur Feldarchäologie, was sich im
mangelnden Interesse an einer intensiven Auseinandersetzung
sowohl mit den Grabungsdaten als auch mit den beteiligten
Akteuren, wie den Ausgräbern und den anderen Kleinfundexperten,
niederschlägt. Andererseits beschränkt sich das Interesse der
Ausgrabungsleitung bei der Bearbeitung von Münzen bekanntlich
oft nur auf die Datierung der ausgegrabenen Schichten und
Befunde. Selbst wenn die beteiligten Personen der
Feldarchäologie und der Numismatik fachlich kompatibel und
bereit sind, gemeinsam an den Münzfunden und der
Grabungsdokumentation zu arbeiten, stehen Zeit und Kosten einer
fruchtbaren Zusammenarbeit oft im Wege. Für externe
Fundbearbeiter ist es eine äußerst zeitaufwendige Aufgabe, sich
in die Grabungsdokumentation einzuarbeiten, zumal sie oft noch
viele andere Verpflichtungen haben (Lehre und studentische
Betreuung an der Universität, Kuratieren einer Sammlung und
Organisation von Ausstellungen in Museen, usw.). Hochmotivierten
Numismatikern bleibt oft nichts Anderes übrig, als unbezahlte
Überstunden zu machen oder die eigene Freizeit zu opfern, um ein
solch zeit- und arbeitsintensives Unterfangen zu bewältigen.
Doch das Ergebnis der Bemühungen ist es wert.
Die Visualisierung von Münzfunden
In Anlehnung an die starke Fokussierung der
römischen Archäologie auf Militärstandorte in Südwestdeutschland
werden im Folgenden die Münzfunde von zwei Fundplätzen an der
römischen Grenze in der Provinz Germania Superior, Bad Wimpfen
am Neckarlimes und Jagsthausen am Obergermanischen Limes,
ausgewertet und miteinander verglichen (Abb. 1). In Bad
Wimpfen befand sich von trajanischer Zeit bis ca. 160 n. Chr.
ein Hilfstruppenkastell am Neckarlimes. Als die militärische
Garnison an die neu errichtete Grenze – den Obergermanischen
Limes – ca. 25 km weiter östlich abzog, wurde aus Kastell und
Vicus eine Zivilsiedlung. Das Militärlager in Jagsthausen
bestand von ca. 160 n. Chr. bis zum sogenannten Limesfall in den
250er Jahren. Zu diesem Zeitpunkt verlegte die römische
Verwaltung die Grenze zurück an den Rhein und räumte das gesamte
Gebiet des heutigen Südwestdeutschlands.
Etwa 10 km nördlich von Heilbronn, wo die
Jagst in den Neckar mündet, liegt am westlichen Neckarufer die
Stadt Bad Wimpfen. Aufgrund der Lage am Fluss war Bad Wimpfen
bereits in der Antike ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt zwischen
den Siedlungen am Rhein und dem Neckargebiet. Bei der Ausdehnung
des Römischen Reiches in das heutige Land Baden-Württemberg zu
Beginn des zweiten Jahrhunderts n. Chr. bildete das Kastell Bad
Wimpfen den nördlichsten Punkt des Neckarlimes, der die
Flusslinie des Neckars mit dem Odenwaldlimes im Norden verband.
Als sich der Grenzverlauf änderte und die römischen Truppen 160
n. Chr. weiter nach Osten verlegt wurden, wurde in Bad Wimpfen
eine zivile Verwaltung eingerichtet und die Siedlung zum
Civitashauptort der Region erhoben, die wahrscheinlich als
civitas alisinensium bezeichnet wurde[5].
Die ersten systematischen Untersuchungen wurden zwischen 1894
und 1898 von der Reichs-Limeskommission durchgeführt und legten
einen Teil der zu Beginn des dritten Jahrhunderts errichteten
Stadtmauer frei. Mit einer Fläche von 19 ha ist Bad Wimpfen mit
den römischen Siedlungen Ladenburg im Norden und Rottenburg im
Süden des heutigen Baden-Württembergs vergleichbar[6].
Umfangreiche Ausgrabungen des Landesamtes für Denkmalpflege
zwischen 1969 und 1971 sowie in den 1980er Jahren konzentrierten
sich auf Bereiche im Südwesten und Nordosten der Siedlung und
erbrachten neben anderen Funden eine große Anzahl von Münzen[7].
Um 170 n. Chr. zerstörte ein Brand die frühen Holzbauten im
Nordosten der Stadt, die anschließend durch widerstandsfähigere
Steinbauten ersetzt wurden[8].
Durch die Unterscheidung der beiden Hauptbauphasen bietet sich
in Bad Wimpfen damit eine außergewöhnliche Gelegenheit,
Münzfunde der Neckarlimesregion in ihrem stratigraphischen
Kontext auszuwerten.
Die römische Siedlung Jagsthausen liegt an
einem Westhang gegenüber der Jagst, die sich in breiten
Flussschlingen nach Osten und Süden windet. Während sich die
Zivilsiedlung vom Kastell bis zum Fluss erstreckte, konnte
flussabwärts ein Gräberfeld festgestellt werden. Die
archäologischen Untersuchungen begannen 1766 mit Ausgrabungen,
aber erst 1886 und 1887 wurde das Kastell im nördlichen Teil des
Dorfes entdeckt. Die Untersuchungen der Reichs-Limeskommission
im Jahr 1893 brachten Klarheit über Größe und Ausrichtung des
Kastells, als unter anderem Mauerabschnitte, Teile der Principia
und ein Bad freigelegt wurden. Darüber hinaus trugen die
Sanierung des Stadtzentrums in den Jahren 1987–1989 und die
archäologischen Untersuchungen westlich des römischen Kastells
durch das Landesamt für Denkmalpflege 1992 wesentlich zur
Kenntnis der römischen Siedlung bei[9].
Das knapp 3 ha große Hilfstruppenkastell wurde um 160 n. Chr.
errichtet, als der Neckarlimes nach Osten zum Obergermanischen
Limes verlegt wurde. Dabei ist die cohors I Germanorum
die einzige epigraphisch nachgewiesene Truppeneinheit des
Lagers. Das Kastell ist für numismatische Analysen von
besonderer Bedeutung, da die meisten Münzen aus dem Kastell und
der umgebenden extramuralen Siedlung, das heißt dem Vicus, gut
dokumentiert sind. Die Münzen stammen aus Ausgrabungen der
Reichs-Limeskommission, aus Bautätigkeiten der 1930er bis 1970er
Jahre und aus neueren Ausgrabungen der 1980er und frühen 1990er
Jahre im Ortszentrum.
Die in den beiden Fallstudien besprochenen
Fundmünzen werden ausschließlich als Zufallsverluste eingestuft[10].
Ausgehend von der Grundannahme, dass zufällige Verluste eher den
antiken Geldumlauf repräsentieren als Münzen, die in der Antike
für eine vorsätzliche Deponierung (wie Horte, Opfergaben, etc.)
präsumtiv selektiv aus dem Verkehr gezogen wurden, eignet sich
das hier behandelte Material besonders gut für eine Diskussion
verschiedener Methoden der visuellen Darstellung und
Interpretation vor dem Hintergrund der Archäologie der Fundorte.
Überblickt man die Forschungslage zur
Auswertung von Fundmünzen aus archäologischen Grabungen, so
finden sich in einigen Publikationen einfache Diagramme, in
denen die Anzahl der vor Ort gefundenen Münzen in absoluten
Zahlen dargestellt wird, wobei die numismatischen Daten entlang
der x-Achse nach einzelnen Kaisern oder Prägeperioden (z. B.
Trajan, flavisch, usw.) gruppiert sind. Solche Diagramme geben
nicht mehr als einen ersten chronologisch-quantitativen Eindruck
und sind für Vergleiche von unterschiedlichen Fundplätzen nur
bedingt geeignet. Um einen Vergleich verschiedener Fundstellen
zu ermöglichen, entwickelte Richard Reece ein Modell[11],
in dem die Münzen einer Fundstelle nach dem Prägedatum in
Perioden eingeteilt und dann in Histogrammen – nach der von
Alison Ravetz in die Numismatik eingeführten Formel –
dargestellt werden (Abb. 2a und 2b)[12].
Es ist darauf hinzuweisen, dass der mit der Methode von Ravetz
ermittelte sogenannte Münzindex nur die Häufigkeit der an einem
Ort gefundenen Münzen nach Prägedaten und deren proportionale
Verteilung angibt, nicht aber das Datum, an dem eine Münze
verloren ging. Histogramme setzen durch eine hypothetische
Umrechnung auf eine Gesamtzahl von 1000 Münzen verschiedene
Münzproben mit einer unterschiedlichen Anzahl von Münzen gleich.
Damit sind diese Diagramme nützliche Hilfsmittel für den
Vergleich verschiedener Fundorte, aber nicht geeignet, um ein
umfassendes Verständnis der individuellen Genese der
Fundmünzenzusammensetzung eines Fundortes zu vermitteln.
Heute ist die Verwendung von Histogrammen
und die Periodeneinteilung nach Reece der Standard im
angelsächsischen Raum[13].
Sie beruht auf einer chronologischen Einteilung der Römischen
Kaiserzeit in 21 Perioden, die aus einer britischen
Forschungsperspektive erwachsen ist – so ist bei Anwendung der
Periodeneinteilung für die vorliegende zeitliche Struktur der
römischen Fundmünzen Südwestdeutschlands zu bedenken, dass
Periode 1 von Reece alle Münzen bis 43 n. Chr. (das entspricht
dem Material bis zur römischen Eroberung Britanniens) umfasst.
Die Histogramme nach Reece wurden durch vielfältige
Publikationen durch David Wigg-Wolf in die deutschsprachige
Forschung eingeführt. Seither haben sie vor allem in den 1990er
Jahren eine breite Rezeption erfahren[14].
In der Schweiz hat beispielsweise Markus Peter mit seiner Studie
zu den Fundmünzen von Augst das Modell von Reece mit 40
chronologischen Perioden und einer Umrechnung in Prozentwerte
weiterentwickelt[15].
Um ein besseres Verständnis des Münzumlaufs
an einem Fundplatz im Vergleich zu den zeitgenössischen
allgemeinen Umlaufmustern in der gesamten Region zu gewinnen,
erweiterte Richard Reece das Modell von Ravetz, indem er den
»britischen Mittelwert« (british mean)
einführte, welcher auf ausgewählten Fundorten basiert, die er
als repräsentativ für das römische Britannien ansah[16].
Während dieses Konzept in der neueren britischen Forschung noch
immer verwendet wird, wurde das Modell von Reece in der
deutschen Wissenschaft nur in wenigen Studien übernommen. Klaus
Kortüm hat in seiner Arbeit zur Datierung des
obergermanisch-rätischen Limes einen ›deutschen
Mittelwert‹ von Münzfunden erarbeitet, um den
Beginn der Siedlungen am und um den Limes zu diskutieren[17].
Der überwiegende Teil der deutschsprachigen Wissenschaft ist dem
Modell von Reece nicht gefolgt, da die Kritikpunkte an einem
›Mittelwert‹ als Referenzwert
vielfältig sind: ›Repräsentative Münzreihen‹
sind subjektiv; chronologisch und funktional unterschiedliche
Fundorte werden in einen Topf geworfen; das theoretische Konzept
der New Archaeology (Herstellung objektiver Fakten mit
wissenschaftlich-mathematischen Methoden) gilt als überholt;
etc.
Eine andere Methode, um Münzfunde eines
Ortes zu veranschaulichen und zu diskutieren sowie die Daten für
vergleichende Interpretationen nutzbar zu machen, besteht darin,
den möglichen Prägezeitraum von Fundmünzen in einzelne Jahre
unterteilt darzustellen. In einem solchen Rahmen wird zum
Beispiel eine Münze mit dem Datum 100–103 n. Chr. in vier Jahre
unterteilt, wobei jedes Jahr (100, 101, 102 und 103) durch den
Wert 1/4 auf der y-Achse eines Diagramms dargestellt wird. Diese
Berechnung stellt die jährliche Münzprägewahrscheinlichkeit dar
(Abb. 3a und 3b)[18].
Die Methode wurde in den späten 1970er Jahren von Hans Joachim
Hildebrandt in einer Studie über antike hispanische Münzen
entwickelt und wird seither in der jüngeren österreichischen
Forschung intensiv verwendet[19].
Eine farbliche Unterteilung nach einzelnen Nominalen hilft
zudem, geldgeschichtliche Entwicklungen zu veranschaulichen, wie
etwa den Wechsel von Bronze- zu Silbernominalen in der
Severerzeit oder den Übergang vom Denar zum Antoninian in den
240er Jahren n. Chr. Es muss auch hier betont werden, dass die
Jahreszahl auf der x-Achse nur das Datum der Prägung der Münzen
angibt, nicht das Datum des Verlustes am Fundort. Die Diagramme
geben also keinen Aufschluss über die Chronologie des
Münzverlustes an der Fundstelle, sondern nur über die
chronologische Verteilung der Münzen. Der Bedarf an mehreren
Farben zur Darstellung aller Nominale schränkt die praktische
Anwendung dieser Methode stark ein. Aus Kostengründen lehnen
viele Verlage mehrfarbige Graphiken oder Diagramme
ab. Selbst in Monographien haben farbige Abbildungen einen
entscheidenden Einfluss auf die Druckkosten. Ob die zunehmende
Rezeption von rein elektronischen Publikationen, wo praktisch
keine Probleme mit Farbabbildungen vorliegen, zu einer
verstärkten Berücksichtigung des farblichen Modells nach
Hildebrandt führt, wird sich noch zeigen.
In dem Zusammenhang ist noch eine weitere
methodische Einschränkung bei der Visualisierung und Besprechung
von Fundmünzen zu bedenken. Die meisten Studien fokussieren in
ihrer Präsentation des numismatischen Materials auf die reinen
Stückzahlen der Münzen. Die Diskrepanz zwischen der absoluten
Zahl der Münzen und ihrem Wert war bereits in den 1990er und
frühen 2000er Jahren – etwa bei der Untersuchung der Münzfunde
aus Pompeji und Kalkriese[20]
– ein Thema der Forschung, das heute jedoch wieder in den
Hintergrund des wissenschaftlichen Interessenshorizontes gerückt
zu sein scheint. Um eine möglicherweise verzerrte Darstellung
der Münzfunde zugunsten eines quantitativen Ansatzes zu
korrigieren, werden die Zahlen von Bad Wimpfen und Jagsthausen
in den folgenden Diagrammen (Abb. 4a und 4b) in
den Wert von Denaren umgerechnet. Eine solche Umrechnung wird
der antiken Realität und der Relevanz für das tägliche Leben
eher gerecht. Würde man zum Beispiel gefragt, wie viel Geld man
in der Brieftasche hat, wäre die Antwort »zwei Euro
und 43 Cent«, nicht »acht Münzen«.
Es ist davon auszugehen, dass die Römer in gleicher Weise
antworten würden.
Aufgrund der währungsgeschichtlichen
Veränderungen ab der Diokletianischen Reform sollte der
Zeitstrahl auf der x-Achse nur Münzen bis zum Ende der
Antoninian-Zeit umfassen. Es ist freilich fraglich, ob die
drastische Entwertung des Antoninians ab der Mitte des 3.
Jahrhunderts nicht bereits einen Vergleich mit der Münzprägung
auf der Basis des Denarwertes verbietet. Unabhängig von dieser
Frage zeigt sich bei der Umrechnung in den Wert des Denars, dass
die an beiden Fundorten verlorenen vor-severischen Bronzemünzen
trotz ihrer großen Stückzahl nur einen geringen Gegenwert
ausmachen. Der Nachteil dieser Methode ist, dass hochwertige
Münzen, insbesondere Aurei, in der Darstellung einen extrem
starken Ausschlag auf der y-Achse verursachen und durch die
notwendigerweise damit verbundene Skalierung der y-Achse die
niedrigen Münzwerte kaum noch sichtbar sind. Andererseits wird
somit der große Wertunterschied zwischen einem einzelnen Aureus
und der Masse der geringwertigen Bronzemünzen, die in der Regel
bei Ausgrabungen gefunden werden, umso deutlicher.
Ein weiterer, für die Klärung von Fragen im
Zusammenhang mit der Chronologie einer Siedlung besonders
hilfreicher Diagrammtyp ist eine kumulative Kurve. Bei dieser
Methode werden die Münzen nach den oben genannten Perioden
gruppiert und die Anzahl der Münzen jeder Periode innerhalb
dieser sogenannten kumulativen Kurve aufaddiert[21]
(Abb. 5). Zum besseren Vergleich von Fundorten mit stark
unterschiedlichen Stückzahlen können die Daten auch in relativem
Verhältnis berechnet werden. Unabhängig davon, ob man mit
absoluten oder relativen Zahlen arbeitet, veranschaulichen beide
Darstellungsformen die sich verändernde Menge der Münzen nach
ihrem Prägezeitraum. Auch hier stellt die x-Achse nicht das
Datum des Verlustes am Fundort dar, sondern das Prägedatum der
Münzen. Ein steiler Anstieg der Kurve zeigt an, dass die Anzahl
der Münzen aus einem bestimmten Prägezeitraum am Fundort
zugenommen hat. Ein flacher Kurvenverlauf deutet dagegen auf
einen geringen Zustrom von Münzen eines bestimmten
Prägezeitraums am Fundort hin. Eine horizontale Linie bedeutet,
dass keine neuen Münzen aus dem betreffenden Zeitraum vorhanden
sind. Die Entwicklung des Münzverlustes im Laufe der Zeit lässt
sich somit anhand der Veränderung des Winkels der Kurve
feststellen. Der steile Anstieg der Kurve von Bad Wimpfen in der
Prägezeit Trajans und der steile Anstieg der Kurve von
Jagsthausen in der Prägezeit um die Mitte des 2. Jahrhunderts n.
Chr. stimmen gut mit den unterschiedlichen Chronologien der
beiden Fundorte überein. Somit kann diese Methode auch
ansatzweise für die Interpretation des Beginns des Münzverlustes
und Siedlungsbeginns benutzt werden, ähnlich dem Indikator des
›anfänglichen Maximums‹ in dem Modell
von Klaus Kortüm, auf dessen Grundlage ein Neudatierungsansatz
für den Beginn des Obergermanisch-Rätischen Limes erfolgte[22].
Die nächsten Diagramme zeigen ein anderes
Modell zur Veranschaulichung der chronologischen und
funktionalen Abfolge zweier räumlich benachbarter Fundorte. Die
Diagramme zeigen die jährliche Prägewahrscheinlichkeit der
Münzen aus Bad Wimpfen und Jagsthausen, unterteilt in Bronze-
und Silbermünzen (Abb. 6a und 6b). Zusätzlich sind
die militärische (grün) und die zivile (grau) Phase der beiden
Orte durch die Farbe im Hintergrund dargestellt. Die x-Achse
gibt somit sowohl das Datum der Prägung als auch die Chronologie
der verschiedenen Phasen der Plätze an[23],
ohne Auskunft darüber zu geben, wann die Münzen vor Ort verloren
gegangen sind.
Der Vergleich der beiden Diagramme zeigt
sehr deutlich, wie sich die verschiedenen Belegungsperioden in
den unterschiedlichen monetären Umlaufmustern niederschlagen. In
Bad Wimpfen, das zeitlich vor Jagsthausen gegründet wurde, kamen
während der militärischen Phase viele Bronzemünzen in den
Umlauf. Diese Münzen bilden eine typische ›Walfischkurve‹
mit langsamem Anstieg und schnellem Abfall[24].
Ohne Kenntnis der Münzstratigraphie bleibt jedoch unklar, ob die
Bronzemünzen nur während der militärischen oder auch während der
zivilen Phase der Siedlung zirkuliert und verloren gegangen
sind. In einem solchen Fall wäre eine Klassifizierung des
Abnutzungsgrades der Münzen hilfreich, um zu belegen, ob die
Münzen über einen kurzen oder langen Zeitraum im Umlauf waren.
Insbesondere bei Fundstellen mit unklaren oder völlig
unstratifizierten Fundzusammenhängen sollte der Untersuchung des
Abnutzungsgrades der Münzfunde mehr Aufmerksamkeit geschenkt
werden, als dies bisher der Fall ist[25].
Die ab der Severerzeit vorherrschenden
Silbernominale treten in der zivilen Phase von Bad Wimpfen im
Gegensatz zu Jagsthausen in deutlich geringerer Menge auf. In
Jagsthausen besteht die Zusammensetzung des umlaufenden Geldes
aufgrund des späteren Beginns der Siedlung aus verhältnismäßig
wenig Bronzemünzen. In den wenigen Jahren zwischen der Gründung
des Kastells um 160 n. Chr. und der Umstellung der Geldpolitik
in der Severerzeit hatten weniger Bronzemünzen die Möglichkeit,
den Fundort Jagsthausen zu erreichen und verloren zu gehen.
Andererseits kommt der Wandel des Geldwesens zugunsten der
Silbernominale in severischer Zeit an diesem Ort voll zum
Tragen: Es dominieren Denare und Antoniniane des 3. Jahrhunderts
n. Chr. Sowohl in Bad Wimpfen als auch in Jagsthausen reicht die
frühe Silbermünzprägung nicht über die Währungsreform von 64 n.
Chr. zurück. Alle älteren Denare waren bei der Gründung von Bad
Wimpfen und Jagsthausen in trajanischer Zeit bzw. um 160 n. Chr.
nicht mehr im Umlauf.
Ein kontextueller Ansatz
Ausgehend von den unterschiedlichen
Methoden der Präsentation und Interpretation des Materials
stellt sich die Frage, wie sich verschiedene Fundorte und ihre
Münzfunde am besten vergleichen lassen. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass die Münzliste einer Fundstelle aus
qualitativ unterschiedlichen Quellen stammen kann, wie zum
Beispiel in Jagsthausen, wo sich die Münzen aus den Ausgrabungen
der Reichs-Limeskommission, den Bauarbeiten der 1930er bis
1970er Jahre und den Ausgrabungen der 1980er und frühen 1990er
Jahre speisen. Diese Unterschiede führen zu einer Variabilität,
die auf unterschiedlichen Grabungstechniken, wechselnden
archäologischen Methoden und dem Einsatz eines Metalldetektors
bei Ausgrabungen seit den 1990er Jahren beruht. Selbst zwei
direkt nebeneinander liegende Grabungsflächen in einer Siedlung
können aufgrund der unterschiedlichen Genese der jeweiligen
archäologischen Befunde (Laufhorizont, Grube, Auffüllung etc.)
unterschiedliche Münzprofile ergeben. Die Münzfunde aus Augst
sind ein gutes Beispiel für dieses Phänomen, wobei die oft zum
Vergleich herangezogenen Münzfunde aus insula 24 nur einen
kleinen Ausschnitt der Siedlung repräsentieren. Die ›Gesamtkurve‹
von 7.565 Münzen aus benachbarten Gebieten sieht anders aus[26].
Die nachweislich unterschiedliche bzw. individuelle Genese von
Münzfunden an einem Platz sollte auch ein warnendes Argument
gegen eine ›repräsentative Münzreihe‹
bzw. einen ›Mittelwert‹
– wie oben beschrieben – als Referenz für Vergleiche von
chronologischen Mustern oder der Nominalverteilung sein.
Selbst in unseren beiden Fallbeispielen Bad
Wimpfen und Jagsthausen, die sich aufgrund ihrer räumlichen
Nähe, des wechselnden Funktionszusammenhangs und der
fortlaufenden Chronologie für vergleichende Analysen bestens
anbieten, wirken alle vorgestellten Diagramme nur als Versuch,
die damalige Lebenswirklichkeit vereinfacht durch mathematische
Berechnungen wiederzugeben. Diagramme stellen nur ein höchst
selektives und künstliches Konstrukt dar, das die individuelle
Dynamik der antiken Alltagswirklichkeit nicht abzubilden vermag.
Eine Münzreihe – die Grundlage aller vorgestellten Diagramme –
impliziert immer einen theoretischen Idealzustand, der aus einer
konstanten Geldversorgung, einem ständigen Zufluss an neu
geprägten Münzen und einem gleichmäßigen und repräsentativen
Münzverlust besteht. Ein solches Modell negiert die
unterschiedlichen Qualitäten im antiken Umgang mit dem Geld
(Verlust von Kleingeld, Aufsuchen und Wiederfinden von
hochwertigen Nominalen, etc.) und nivelliert alle Handlungen auf
dieselbe Bedeutungsebene. Jeder einzelne Verlust einer Münze ist
jedoch das Ergebnis einer individuellen Handlung eines antiken
Akteurs mit unterschiedlichen Bedeutungsebenen.
Auch in unserer Gegenwart ist es ein großer
Unterschied, ob einem beim Bezahlen am Fahrkartenautomaten eine
10-Cent-Münze aus der Hand fällt und unwiederbringlich in den
Gully rollt oder ob einem beim Spendieren der sechsten Runde
Bier in der Kneipe ein 100-Euro-Schein aus dem Portemonnaie
rutscht und unbemerkt unter die Theke gleitet. Dabei ist nicht
nur der Geldwert der monetären Objekte von entscheidender
Bedeutung, sondern auch die Situation, in der das Handeln des
Einzelnen stattfindet. Aus gutem Grund sollten daher von der
Archäologie beeinflusste und auf das Handeln von Akteuren
fokussierte Studien herangezogen werden, um die Bedeutung des
Münzgebrauchs in verschiedenen Lebenssituationen in der Antike
zu untersuchen. Ein solches Ziel muss unweigerlich zu einem
kontextuellen Ansatz bei der Untersuchung des Materials führen.
Anhand des Fallbeispiels der Münzfunde aus Bad Wimpfen soll eine
neue Methode vorgestellt werden, die kontextuelle und
stratigraphische Daten miteinander verbindet. Das Fallbeispiel
Bad Wimpfen eignet sich aufgrund seiner gut dokumentierten
archäologischen Befunde und Funde, seines wechselnden
Funktionscharakters und seiner nur ca. 150 Jahre währenden
Besiedlung besonders gut für die Diskussion eines befund- und
fundorientierten Ansatzes.
Dank der hervorragenden archäologischen
Dokumentation der Ausgrabungen durch das Landesamt für
Denkmalpflege zwischen 1983 und 1987 können die Münzen aus Bad
Wimpfen entsprechend ihrer Position innerhalb der
archäologischen Schichten dargestellt werden (Abb. 7).
Die y-Achse gibt die Reihenfolge der archäologischen Schichten
an (1–14, wobei Schicht 0 bedeutet, dass die Münzen
Oberflächenfunde sind), während die x-Achse das Prägedatum der
Münzen angibt. Bei Münzen mit einem Prägedatum, das sich über
mehrere Jahre erstreckt, wird das arithmetische Mittel
angewandt. Das Diagramm veranschaulicht den Abnutzungsgrad der
Münzen in ihrer jeweiligen Schicht, wobei die von der
Schweizerischen Arbeitsgruppe für Münzfunde entwickelte
Klassifizierung des Abnutzungsgrades als Grundlage für das
fünfstufige Farbschema dient[27]:
je heller die Farbe, desto stärker abgenutzt ist eine Münze; je
dunkler die Farbe, umso weniger abgenutzt ist sie. Das Diagramm
zeigt eine klare Korrelation zwischen dem Grad der Abnutzung und
dem Prägedatum der Münzen. Wie zu erwarten, weisen ältere Münzen
einen deutlich höheren Abnutzungsgrad auf als die Münzen, deren
Prägedatum näher an der Aufgabe der Siedlung liegt. Es ist daher
naheliegend, den Abnutzungsgrad mit einer vermeintlich längeren
Umlaufzeit in Verbindung zu bringen, die eine Abnutzung durch
physikalische Mechanismen bewirkt.
Im Gegensatz zu den vorhergehenden
Diagrammen ermöglicht die hier präsentierte Graphik (Abb. 8)
die Ermittlung des Verlustdatums, indem sie die Münzen
entsprechend der archäologischen Schicht, in der sie gefunden
wurden, aufträgt. Dazu ist es notwendig, die archäologische
Stratigraphie vor dem Hintergrund der Chronologie der Siedlung
abzugleichen. Nur ein Jahrzehnt nach der Verlegung der Truppen
an den Obergermanischen Limes und der Umwandlung des Ortes in
eine Zivilsiedlung zerstörte ein Brand die Holzbauten, die
anschließend durch Steinbauten ersetzt wurden. Schicht 2 – im
Diagramm durch einen grauen horizontalen Balken gekennzeichnet –
markiert diese Trennung zwischen der militärischen Phase mit
Holzbauten (unterhalb des grauen Balkens) und der zivilen Phase
mit Steinbauten (oberhalb des grauen Balkens).
Die x-Achse stellt nicht nur das Prägedatum
der Münzen dar, sondern bildet zugleich die Chronologie des
Ortes ab. Zu diesem Zweck wurde ein zweiter (vertikaler) Balken
in roter Farbe eingefügt, um den Brand zu markieren, der die
Holzgebäude um 170 n. Chr. zerstörte. Anhand dieser beiden
Hauptunterteilungen lassen sich die Münzen, die während der
militärischen Phase in den archäologischen Befund eingingen (im
grünen Rechteck), von den Münzen unterscheiden, die während der
zivilen Phase verloren wurden (blau umrandet). Die zivile Phase,
die im Diagramm als gekippte L-Form eingerahmt ist, umfasst auch
Münzen aus Schichten, die unter Schicht 2 liegen (im gelben
Rechteck). Diese Münzen stammen aus den Kellern der
Streifenhäuser, die erst während der zivilen Phase gebaut
wurden. Diese ungewöhnliche Darstellungsform ist auch damit gut
zu begründen, dass die Trennung von Holzbauten und Steinbauten
(bzw. die Trennung von militärischer und ziviler Phase) auf der
x-Achse nur bis zum Brand um 170 n. Chr. visuell dargestellt
wird. Die Graphik vereint somit mehrere
stratigraphische und siedlungshistorische Perspektiven.
Die Münzen sind je nach ihrem Nominalwert
in verschiedenen Farben dargestellt – die Buntmetallmünzen in
Rottönen und die Silbermünzen in Blautönen. In diesem
kombinierten Diagramm wird deutlich, dass während der
militärischen Phase der Siedlung (im grünen Rechteck) fast
ausschließlich Bronzemünzen verloren gingen. Nach 170 n. Chr.,
als die Truppen Bad Wimpfen verließen und der Ort zu einem
zivilen Zentrum wurde (blau umrandet), zirkulierte weiterhin
eine beträchtliche Anzahl von Bronzemünzen des 2. Jahrhunderts
in der Siedlung und ging verloren. Diese Beobachtung stimmt gut
mit der herausragenden Funktion des Fundplatzes als
Civitashauptort der Region überein.
Ausblick
Die in diesem Beitrag diskutierten
Fallstudien veranschaulichen die Möglichkeiten und Fallstricke
verschiedener Methoden zur Darstellung und Interpretation von
Münzfunden. Die Herausforderungen und Unzulänglichkeiten, die
mathematischen Modellen in der Numismatik innewohnen, wurden
bereits 1995 von Richard Reece formuliert – ironischerweise
selbst ein führender Vertreter des statistischen Ansatzes zur
Untersuchung von Münzfunden:
»Ein Problem ist, dass die
klassische Statistik von der Annahme ausgeht, dass die zu
analysierenden Informationen eine bestimmte geordnete Verteilung
aufweisen. Dies ist bei einem Großteil des archäologischen
Materials nicht der Fall, und die Methoden, die angewandt werden
müssen, um das Verfahren gültig zu machen, sind komplex und
scheinen nur wenige gute Ergebnisse zu liefern. Ein zweites
Problem betrifft die extreme Variabilität verschiedener Gruppen
von archäologischem Material und das Hintergrundrauschen, das
diese Variabilität in jeder numerischen Studie erzeugt. So ist
es beispielsweise üblich, dass bei verschiedenen Ausgrabungen
unterschiedliche Methoden angewandt werden, was zwangsläufig zu
einer Veränderung des gesamten für die Untersuchung verfügbaren
Materials führt. Durch die mechanische Abtragung des Oberbodens
verringert sich die Zahl der nicht stratifizierten Funde. Obwohl
diese Punkte für den archäologischen Interpreten klar und
offensichtlich sind, verursachen sie in jeder numerischen Studie
ein Chaos, da sie äußerst schwierig in ein Berechnungsschema
einzubauen sind. Kurz gesagt, Archäologen sind es gewohnt,
Unterschiede in ihren Materialgruppen zu berücksichtigen, die in
numerischen Studien als große Unterschiede mit hoher
statistischer Signifikanz angesehen werden. Dies führt zu einer
vernünftigen archäologischen Aussage: Angesichts der Tatsache,
dass die Münzen aus diesen beiden Stätten von verschiedenen
Personen zu verschiedenen Zeiten mit verschiedenen Methoden
ausgegraben und in verschiedenen Museen aufbewahrt wurden, sind
sie ziemlich ähnlich. Diese Aussage ist wahrscheinlich sinnvoll,
denn wir können die Ausgräber, die Methoden und die Museen
berücksichtigen, aber sie sind nicht der Stoff, aus dem einfache
klassische Statistiken sind.«[28]:
Ein weiteres Problem liegt in der Reflexion über die Genese der archäologischen Daten, die bei den meisten Numismatikern kaum angekommen ist. Fragen wie »Wie ist die Interpretation des archäologischen Befundes?«, »Wie ist der Kontext entstanden?« und »Wie sind die Münzen in den archäologischen Befund gelangt?« können nur von einer Kombination aus Experten – Numismatikern, Ausgräbern, Kleinfundexperten – in Gemeinschaftsprojekten mit idealen Bedingungen beantwortet werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass kontextuelle Studien trotz aller Herausforderungen, wie eingangs beschrieben, das größte Innovationspotenzial bieten, da sich durch diesen Ansatz unbewusste Verzerrungen und individuelle Besonderheiten in der Genese des Materials eines Fundortes erkennen und deren mögliche Auswirkungen auf die Interpretation abschätzen lassen. Die künftige fundnumismatische Forschung sollte sich daher der mühsamen, aber lohnenden Aufgabe annehmen, Fundmünzen in ihrem archäologischen Kontext zu untersuchen und in fruchtbarer Zusammenarbeit mit den Ausgräbern und Kleinfundexperten zu publizieren.
[1] Dieser Artikel ist
Ulrich Werz (1964–2023) gewidmet, der an unseren
Überlegungen zur Fundnumismatik sicher große Freude
gehabt hätte. Es war der Fundnumismatiker, der die
Initiative zur Einrichtung eines digitalen
Publikationsformats ergriff und damit die »Online
Zeitschrift zur Antiken Numismatik« (OZeAN)
auf den Weg brachte, weshalb wir uns entschlossen haben,
diesen Beitrag nur leicht verändert an dieser Stelle
noch einmal auf Deutsch zu veröffentlichen.
In englischer Sprache wurde er an
folgender Stelle erstpubliziert: S. Krmnicek – M.
Kalisch, Methodological Observations on the Study of
Roman Coin Finds: A German Perspective, in: B. Callegher
– G. Carraro (Hrsg.), Fundmünzen & Co. 30 Years of
Ancient Coin Finds (Triest 2023) 13–34; online unter
https://www.openstarts.units.it/handle/10077/35394.
Die Autoren bedanken sich bei
Klaus Kortüm (Landesamt für Denkmalpflege
Baden-Württemberg) für die Erlaubnis, unpubliziertes
Material aus Bad Wimpfen zu präsentieren. Eine
ausführliche und umfassende Publikation der Münzfunde
aus Bad Wimpfen und zur Methode der Fundmünzenauswertung
wird derzeit von Matthias Kalisch vorbereitet. Wir
danken auch Robert Kool, Haim Gitler und Donald Ariel
für wertvolle Rückmeldungen zu einer früheren Version
dieses Beitrags, die anlässlich eines Gastvortrags von
Stefan Krmnicek bei der Israel Antiquities Authority
gegeben wurden.
Aus Gründen der besseren
Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und
personenbezogenen Hauptwörtern die männliche Form
verwendet. Dies impliziert keinesfalls eine
Benachteiligung der jeweils anderen Geschlechter. Die
verkürzte Sprachform beinhaltet keine Wertung.
Weibliche, männliche und intergeschlechtliche Personen
mögen sich von dem Inhalt des Artikels gleichermaßen
angesprochen fühlen.
[2] Vondrovec 2005; von
Kaenel – Kemmers 2009; Kemmers – Myrberg 2011; Chameroy
2013; Schachinger 2015; Krmnicek – Kortüm 2016; Thüry
2016; Frey-Kupper u. a. 2019; Krmnicek – Chameroy 2019;
Kemmers 2019; Gazdac 2020.
[3] Beispielsweise Walton
2012 für diesen Zugang.
[4] Bland u. a. 2020; Gazdac
2020 für rezente Hortstudien.
[5] Kortüm 2020, 59.
[6] Filgis – Pietsch 1985,
168; ORL B (V) 1914, 4 f.
[7] Filgis 2005, 24–26.
[8] Frey 1991, 11.
[9] Für einen Überblick
Thiel 2005a; 2005b.
[10] Für die Entwicklung der
Diskussion der Fundkategorie siehe Gebhart u. a. 1956,
39–40 (Einzelfunde als zufällige Verluste gegenüber
vorsätzlich niedergelegten Münzen); Collis 1974 (chance
losses); Kent 1974 (site-finds); Noeske 1979
(Siedlungsfunde); Reece 1995 (coin loss); Vondrovec
2007, 63 (zufällige Verluste); Wigg-Wolf 2019 (coin
finds as processes).
[11] Reece 1972, 271.
[12] Ravetz 1964.
[13] Für eine Adaption siehe
Casey 1986; zuletzt in einer großen Studie als Grundlage
in Walton 2012; die Periodeneinteilung nach Reece auch
als Suchparameter im Portable Antiquities Scheme
https://finds.org.uk/romancoins/reeceperiods/
(30.08.2023).
[14] Wigg 1991.
[15] Peter 2001.
[16] Reece 1972; 1995.
[17] Kortüm 1998; auch Kopf
2011 übernahm das Modell.
[18] Für eine ausführliche
Analyse des Modells siehe Kalisch 2019.
[19] Hildebrandt 1979; 1984;
Vondrovec 2005; 2007; Schachinger 2015.
[20] von Kaenel 1999,
372–373 (Rom und Kalkriese); Duncan-Jones 2003
(Pompeji).
[21] Vgl. die Grundidee bei
Reece 1995.
[22] Kortüm 1998.
[23] In ähnlicher Weise
zuletzt die Berücksichtigung der übergeordneten
Chronologie durch farbliche Markierung im Diagramm bei
Schachinger – Kastler – Lang 2021.
[24] Collis 1974, 178–181.
[25] Pilon 2011; 2019 und
Doyen 2019 zuletzt zur Annäherung von archäologischen
Datierungen auf Grundlage des Abnutzungsgrades von
Münzen.
[26] Peter 1996a; 1996b;
Wigg-Wolf 2009, 113–114 Fig. 2: während das Diagramm von
insula 24 einen Knick nach 117 n. Chr. zeigt, folgt das
Diagramm der restlichen Siedlung im gleichen Niveau auch
in trajanischer Zeit.
[27] Dubuis u. a. 1995.
[28] Reece 1995, 180 (aus
dem Englischen übersetzt).