Antike Münzen und ihre museale Präsentation in Virtual Reality ein Arbeitsbericht*


von Stefan Krmnicek und Kevin Körner

Zusammenfassung: Im Frühjahr 2021 wurde mit Studierenden an der Universität Tübingen eine VR-Ausstellung zu spätantiken Kontorniaten entwickelt und diese im Herbst 2021 im Museum der Universität Tübingen MUT bzw. im Sommer 2022 als Wanderausstellung am Institut für Numismatik und Geldgeschichte der Universität Wien gezeigt. Aufbauend auf den Erfahrungswerten der beiden Ausstellungen möchte der vorliegende Beitrag das Potential und die Grenzen im Einsatz von VR bei der musealen Präsentation von numismatischen Objekten beleuchten.

Schlagworte: VR (http://obg.vocnet.org/obg00455), Kontorniat (http://nomisma.org/id/contorniate), Ausstellung (http://terminology.lido-schema.org/lido00225)

Abstract: In spring 2021, a seminar at the University of Tübingen developed a VR exhibition on late Roman contorniates, which was shown in autumn 2021 at the Museum of the University of Tübingen MUT and in summer 2022 as a travelling exhibition at the Institute of Numismatics and Monetary History at the University of Vienna. Building on the experience gained from the two exhibitions, this paper will discuss the potential and limitations of using VR in exhibiting numismatic objects.

Key words: VR, Contorniate, Exhibition

Die Recherchen

Inspiriert vom Leitfaden des Deutschen Museumsbunds e.V. und des Bundesverbands Museumspädagogik e.V.[1], welcher Virtual Reality (VR) als zukunftsträchtige Technologie zur medialen Vermittlung auflistet, reifte die Idee auch am Universitätsstandort Tübingen, eine VR-Ausstellung, in Kooperation zwischen der Antiken Numismatik und den Digital Humanities, umzusetzen. Im Folgenden werden Projekte präsentiert, die wir im Laufe unserer Recherchen gefunden haben und die den aktuellen Stand im Einsatz von VR im musealen Kontext gut repräsentieren.

Die American Numismatic Association stellt auf ihrer Webseite[2] eine 360°-Präsentation ihrer History of Money Exhibit zur Verfügung. Diese kann direkt auf entsprechender VR-Hardware abgespielt und begangen werden. Die Ausstellung ist mittels 360°-Fotografie erstellt und bietet mehrere vordefinierte Teleportationsstellen, welche insbesondere vor Schautafeln platziert sind. Interaktive Elemente öffnen Webseiten mit vertiefenden Informationen zu den ausgestellten Exponaten sowie hochauflösende Fotografien der Ausstellungsobjekte. Dieser Ansatz eignet sich zur Digitalisierung einer physischen Ausstellung, nutzt jedoch nicht die interaktiven Möglichkeiten aus, welche VR bietet – wie etwa das direkte Interagieren mit den Objekten (z. B. aufheben, herumtragen und rotieren der Exponate).

M.-Carmen Juan et al.[3] präsentieren eine Augmented Reality (AR) App, die es erlaubt, (antike) Münzen mit dem Smartphone in Echtzeit zu scannen und dabei auf den Münzen vorhandene Schrift hervorzuheben. Nach den Ergebnissen ihrer Studie soll die Verwendung der App in Ausstellungen den informativen Mehrwert für Museumsbesuchende steigern. Der AR-Ansatz erlaubt es dabei, den Museen ohne eigene Hardware das neue Medium AR in Ausstellungen zu integrieren. Jedoch ist es zumindest fraglich, inwieweit sich die Anwendung durchsetzen kann, da die direkte Fotografie der Münzen durch gängige Schutzmaßnahmen wie Glasscheiben erschwert wird und zudem bei den Museumsbesuchenden zunächst die Motivation gegeben sein muss, die Anwendung zu einem einzigen Zweck – nämlich die Schrift auf den Münzen besser erkennen zu können – zu installieren.

Die generelle Relevanz von Virtual Reality für museale Ausstellungen lässt sich auch durch die stetig steigende Zahl an VR-Projekten in etablierten Museen erkennen, welche ›Event-basiert‹ die Besucherzahlen steigern sollen. Jim Richardson listet in seinem Artikel Virtual Reality is a big trend in museums, but what are the best examples of museums using VR?[4] beispielsweise mehrere individuell entwickelte VR-Ausstellungen auf. Dazu zählt Curious Alice[5], welche 2021 am Victoria and Albert Museum gestartet wurde und die es ermöglicht, in den Klassiker Alice im Wunderland von Lewis Carroll einzutauchen. Ein weiteres Beispiel aus Richardsons Auflistung ist die VR-Ausstellung Mona Lisa: Beyond the Glass[6]. Diese Anwendung wurde 2019 vom Louvre entwickelt und vermittelt Nutzenden Leonardo da Vincis Meisterwerk mittel interaktiver und animierter Elemente.

Im Vergleich zu den personal- und budgetintensiven, jedoch dafür auch öffentlichkeitswirksamen Projekten der größeren Museen, war unsere Zielsetzung, die Ausstellung von Studierenden ohne dedizierte Programmierkenntnisse entwickeln zu lassen. Dafür wurde bereits in der Planung darauf geachtet, eine »What you see is what you get«-Anwendung für die Entwicklung zu nutzen, die VR-Ausstellungen über nativ in der VR-stattfindende, intuitive Handhabung einrichten kann. Auf Basis einer Funktionsevaluation ergab sich die Anwendung »VR Museumlab«[7] der niederländischen Firma ImproVive[8] als für die gesetzten Ziele am geeignetsten.

 

Die Vorbereitung

Im Sommersemester 2021 fand an der Universität Tübingen am Institut für Klassische Archäologie gemeinsam mit dem Masterprofil Digital Humanities die Lehrveranstaltung »MuseumVirtuell« statt. Ziel der Veranstaltung war es, für das Masterprofil Museum & Sammlungen (MuSA) ein interdisziplinäres Modul anzubieten, in dem Studierende der kunst- und kulturwissenschaftlichen Fächer der philosophischen und sozialwissenschaftlichen Fakultäten der Universität Tübingen an den innovativen Einsatz neuester digitaler Medien in der sammlungswissenschaftlichen und museumspraktischen Anwendung heranführt werden. Aufgrund der fachlichen Expertise der beiden Lehrenden in der materialorientierten Altertumswissenschaft bzw. im Bereich Gamification fokussierte das Modul auf die Anwendung von Virtual Reality (VR) mit dem praxisorientierten Lernziel des musealen Wissenstransfers in die Gesellschaft mit neuen Technologien und innovativen medialen Konzepten.

In dem Seminar wurden die Studierenden zunächst in die Thematik VR eingeführt, um die grundlegenden Konzepte dieses Gegenstandsbereiches zu erlernen. In der Einführung wurden die technischen Aspekte virtueller Welten anhand der Software Unity[9] präsentiert und den Studierenden ein erster Kontakt mit dem Endgerät HTC Vive Cosmos Elite[10] ermöglicht. Als Anwendung zur Erstellung einer eigenen digitalen Ausstellung wurde die Software »VR Museumlab« der niederländischen Firma ImproVive benutzt. Diese hatte den Vorteil, dass sie direkt in der virtuellen Realität eine ›Drag and Drop‹-Funktion bereitstellt, über welche auch Technik-unerfahrene User intuitiv Ausstellungsszenarien mit digitalisierten Museumsobjekten erstellen können. Weiterhin bietet sie für Ausstellungsbesuchende über einen virtuellen Körper proaktive Funktionen, die in realen Ausstellungen nicht möglich wären – beispielsweise Exponate virtuell ›in die Hand nehmen‹, vergrößern und verkleinern sowie bearbeiten (z. B. auseinandernehmen, Zusatzinformationen abrufen, etc.).

Nach Abschluss der informatisch-methodischen Einführung wurde mit den Studierenden ein solides Fachwissen über das Phänomen der Kontorniaten mittels Frontalunterrichts und Unterrichtsgesprächs erarbeitet. Die Wahl der beiden unterschiedlichen Lehrformate erfolgte aufgrund der fachlich heterogenen Zusammensetzung der Seminarteilnehmenden aus unterschiedlichen Disziplinen (Klassische Archäologie, Anglistik, Digital Humanities und Lehramt Mathematik). Besonders vorteilhaft erwies sich der Umstand, dass die Kontorniaten in der Tübinger Sammlung von einem der beiden Autoren dieses Beitrags bereits wissenschaftlich aufgearbeitet und vollständig digitalisiert wurden[11]. Damit konnten die Studierenden ohne zusätzliche Vorarbeiten direkt auf einen gut erschlossenen Bestand an Ausstellungsobjekten zurückgreifen. Aufgrund der zeitlich und inhaltlich eng abgesteckten Thematik ›Kontorniaten‹ konnten die Studierenden zudem zügig einen eigenständigen Bereich der spätantiken Numismatik für sich erschließen und für eine museale Präsentation aufbereiten.

Nach den einführenden Sitzungen folgte ein Block, in dem von den Studierenden in Einzel- und Partnerarbeit die Möglichkeiten der Software »VR Museumlab« ausgelotet und in praktischen Arbeitsphasen erprobt wurden. Nach dieser Vermittlungs- und Einarbeitungsphase inszenierten die Studierenden in Teams eigene virtuelle Ausstellungen. Die Studierenden mussten dazu zunächst außerhalb der virtuellen Welt ein Konzept entwickeln und dieses anschließend in der Anwendung »VR Museumlab« realisieren. Als Exponate wurden von der niederländischen Firma ImproVive digitale Objekte bereitgestellt, welche auf flachen 3D-Zylindern die bereits digital vorliegenden Fotografien der Kontorniaten in der Tübinger Sammlung präsentierten.

Das didaktische Kursziel bestand darin, den Teilnehmenden die Möglichkeiten aufzuzeigen, die Virtual Reality für die Wissenskommunikation bietet und darüber hinaus auch praktische Erfahrungen in der Konzeptionierung und Realisierung von VR-basierten Ausstellungen zu vermitteln. Hierfür musste den Studierenden zunächst der Funktionsumfang sowie die Handhabung von Museum Lab erörtert und eine Einführung in die VR-Brille HTC VIVE Cosmos Elite (Abb. 1) gegeben werden, welche für den Kurs zur Verfügung stand.

 

Abb. 1: Die Studierenden erlernen die Arbeit mit der HTC Vive Cosmos Elite

Als Grundlage für die Arbeit an digitalen Ausstellungen bietet »VR Museumlab« eine Teleport-basierte Bewegung innerhalb der Virtual Reality (Abb. 2, links). Dies bedeutet, dass man mittels eines visuellen Markers auf den virtuellen Boden zeigt und mittels der Controllertasten von seinem aktuellen Punkt zur Markierung teleportiert werden kann. Dies reduziert das Auftreten der so genannten Motion Sickness, welche bei der Nutzung von Virtual Reality oftmals als Problem angesehen wird. Über eine virtuelle ›Garderobe‹ haben die Nutzenden die Möglichkeit das Aussehen des verwendeten Avatars zu individualisieren (Abb. 2, rechts) und mittels eines interaktiven Menus besteht die Möglichkeit bis zu sechs Ausstellungen anzulegen.

Abb. 2 links: Teleportation in der VR, rechts: Die verfügbare VR-Garderobe

Für die Erstellung einer Ausstellung stellt »VR Museumlab« in einem vordefinierten ›Lagerraum‹ eine Auswahl an 3D-Objekten zur musealen Einrichtung zur Verfügung; beispielsweise Podeste oder Stellwände, ausgewählte 3D-Modelle des Sketchfab-Auftritts der Universität Tübingen bzw. des Tübinger Digital Humanities Centers[12] sowie die 3D-Modelle der im Kurs behandelten Kontorniaten (Abb. 3, links). Ebenso können animierte Guides aufgezeichnet werden (Abb. 3, rechts). Während der Aufnahme speichert die Anwendung die Bewegungen des digitalen Körpers der User sowie deren Mikrofonaufnahme. Somit kann über die Gestik detailliert auf Besonderheiten der Exponate aufmerksam gemacht und über die Audiospur den Besuchenden das Hintergrundwissen dazu erörtert werden. Ebenso können zur Unterstützung des musealen Inhalts Textplaketten erstellt werden. Die Kuratierenden können alle Objekte mittels einer, an die menschliche Greif- und Positionierungsweise angelehnte, Drag- and Droptechnik im virtuellen Raum platzieren und somit ihre Ausstellung anlegen.

Abb. 3 links: Auswahl der digitalisierten Kontorniaten, rechts: Avatar-Guide in der Ausstellung

Mit dem somit erlernten technischen Wissen konzipierten die Studierenden zwei Ausstellungen und implementierten diese in »VR Museumlab«. Um eine möglichst hohe Audioqualität zu erreichen, entwickelten die Studierenden mit professionellem Audioaufnahmeequipment die benötigten Tonaufnahmen und ersetzten in der Anwendung die Aufnahmen des HTC Vive Mikrofons. Zudem entwickelten Sie einen Workaround um simple Audioguides in der Anwendung einzufügen: Sie trennten die digitalen Avatare von dem, für das Abspielen einer Aufzeichnung verfügbaren, Playbutton, platzierten diesen in der Ausstellung und ersetzten auch für diesen die hinterlegte Audiodatei. Somit konnten auch Aufnahmen in die Ausstellung integriert werden, die keine Guide-Gestik benötigten; beispielweise hat eine Studierende Originalaufnahmen einer rekonstruierten Wasserorgel eingefügt, die auf einem der Kontorniaten abgebildet ist.

 

Die Ausstellung der Studierenden Siyao Li, Sonia Diemunsch und Isabelle Vetter setzt ihren Fokus auf die auf den Kontorniaten abgebildeten Götter und Heldensagen – beispielsweise die Odysseus-Sage, den Kriegsgott Mars, oder Kybele und Attis (siehe Abb.  4, rechts) – sowie dargestellte Elemente aus dem römischen Alltagsleben, wie ein Wagenrennen im Circus Maximus oder die bereits angesprochene Wasserorgel (siehe Abb. 4, links und Mitte).

Abb. 4: Impressionen der Ausstellung der Studierenden Siyao Li, Sonia Diemunsch und Isabelle Vetter

Die Ausstellung der Studierenden Johanna Rost und Florian-Julius Revellio befasste sich mit den Themen »Kontorniaten als Glücksbringer«, »Alter Glaube auf den Kontorniaten« (z. B. Abb. 5, links) sowie ebenfalls dem Thema »Der Circus und die Kontorniaten« (z.B. Abb. 5, rechts). Zu ersterem ist beispielsweise das in Abb. 5, links dargestellte Exponat erwähnenswert, bei welchem die Vorderseite (Büste des Trajan mit Lorbeerkranz) zu sehen ist, die Rückseite jedoch nachträglich getilgt wurde.

Abb. 5: Impressionen der Ausstellung der Studierenden Johanna Rost und Florian-Julius Revellio

 

Die Ausstellungen

Die fertigen studentischen Arbeiten wurden nach Ende der vorlesungsfreien Zeit vom 15.10.2021 bis 28.11.2021 im Museum Alte Kulturen auf Schloss Hohentübingen des Museums der Universität Tübingen MUT im Rahmen der Sonderausstellung »MuseumVirtuell. Ein studentisches Ausstellungsprojekt«[13] dem Besucherverkehr präsentiert (Abb. 6).

Abb. 6: Flyer Ausstellung MuseumVirtuell, 15.10.2021 bis 28.11.2021 im Museum Alte Kulturen auf Schloss Hohentübingen

Schloss Hohentübingen thront zentral über der Tübinger Altstadt auf dem 372 m hohen Schlossberg. Es beherbergt seit 1997 das »Museum Alte Kulturen« und das »Museum Weltkulturen« der Universität Tübingen. Neben Studierenden, die im Rahmen von Lehrveranstaltungen regelmäßig das Museum besuchen, sind es vor allem Schulklassen und die interessierte Öffentlichkeit aus Tübingen und der Region, die dem Museum Alte Kulturen vor der Pandemie durchschnittliche jährliche Besucherzahlen in Höhe von 34.000 Personen bescherten.

Um trotz Pandemieeinschränkungen einen optimalen Betriebsablauf in der Nutzung der VR-Station zu ermöglichen, wurde in Tübingen eine studentische Hilfskraft angestellt, welche als technischer Support zur Verfügung stand (Einführung für Besuchende, Handhabung von VR-Brille und Controller, etc.) und nach jeder Nutzung die Reinigung des Endgerätes nach den Vorgaben des Hygienekonzeptes der Universität Tübingen übernahm[14]. Während der Dauer der Sonderausstellung in Tübingen war die VR-Station jeweils Freitag und Samstag von 11–16 Uhr im Einsatz. Während der insgesamt 40 Stunden, in denen die VR-Station benutzt werden konnte, wurde von 82 Besuchenden der Ausstellung ein Fragebogen ausgefüllt und abgegeben (Abb. 7)[15]. Wird mit ca. 5 min für die Erklärung und Einführung in Technik sowie weiteren 5 min für die Reinigung von Brille und Controllern gerechnet, so bewegten sich die Besuchenden im Durchschnitt jeweils ca. 20 min in der virtuellen Ausstellung.

Unmittelbar in Anschluss an die Ausstellung in Tübingen war vorgesehen, das Projekt von 2.12.201 bis 19.12.2021 als Wanderausstellung am Institut für Numismatik und Geldgeschichte der Universität Wien zu zeigen. Aufgrund der COVID-19 Pandemie und der damit einhergehenden Einschränkungen an der Universität Wien musste die Ausstellung jedoch kurzfristig abgesagt werden. Die Ausstellung konnte erst nach Ende der Pandemiebeschränkungen von 13.06.2022 bis 30.06.2022 in Wien nachgeholt werden[16].

Das Institut für Numismatik und Geldgeschichte der Universität Wien liegt im 19. Wiener Gemeindebezirk im Gebäude der ehemaligen Hochschule für Welthandel[17]. Aufgrund eines strengen Sicherheitskonzeptes ist das Institut nur nach vorheriger Anmeldung zugänglich; in Vorbereitung auf die Wanderausstellung wurden Termine zum Besichtigen der Ausstellung bzw. zur Nutzung der VR-Station nur universitätsintern und fachlich benachbarten außeruniversitären Einrichtungen bekannt gemacht. Das Publikum der Wiener Ausstellung unterscheidet sich demnach grundlegend von der Besuchendenstruktur in Tübingen.

Für die knapp zwei Wochen Ausstellungsdauer in Wien wurde, so wie in Tübingen, eine studentische Hilfskraft angestellt, welche als technischer Support zur Verfügung stand (Einführung für Besuchende, Handhabung von VR-Brille und Controller, etc.) und nach jeder Nutzung die Reinigung des Endgerätes nach den Vorgaben des Hygienekonzeptes der Universität Wien übernahm[18]. Die VR-Station war insgesamt 6 Stunden im Einsatz; in dieser Zeit wurden 15 ausgefüllte Fragebögen abgegeben. Wird analog zu Tübingen eine Dauer von 5 min für die Erklärung und Einführung in Technik sowie weitere 5 min für die Reinigung von Brille und Controller angenommen, so verblieben die Besuchenden in Wien im Durchschnitt jeweils 14 min. in der virtuellen Welt.

 

Die Evaluierung

Neben der fachlichen Vermittlung des Ausstellungsthemas war es dem Organisationsteam der Ausstellung ein zentrales Anliegen zu erfahren, wie eine VR-Ausstellung mit einem numismatischen Thema vom Publikum rezipiert wird. Zu diesem Zweck wurde in Anlehnung an den Leitfaden »Hauptsache Publikum! Besucherforschung für die Museumspraxis« des Deutschen Museumsbunds e.V.[19] ein Fragebogen konzipiert, mit dem von den Besuchenden ein qualitatives Feedback erbeten wurde.

 

Abb. 7: Anonymer Fragebogen, mit dem von den Besuchenden in Tübingen und in Wien ein qualitatives Feedback erbeten wurde

Der Fragebogen (Abb. 7) adressierte die Besuchenden mit zwei Fragen aus dem persönlichen Lebensbereich, um zu erfahren, in welcher Verteilung die Altersgruppen (mit jeweils unterschiedlicher Affinität zu und Interesse an neuen Technologien) und das Geschlecht vertreten sind. Die Einteilung der Altersgruppen erfolgte in verschiedenen Alterskohorten, wobei eine genauere Unterteilung in der Alterskategorie bis 40 Jahre vorgenommen wurde, um die an beiden Orten präsumtiv prominent vertretene Gruppe jüngerer Menschen (Jugendliche aus Schulen bzw. Studierende) genauer aufzufächern. Die darauffolgenden Fragen drehten sich um die Rezeption der Ausstellung. Die Antwortoptionen »Ja«, "Nein«, »Neutral« und »keine Angabe« sollten ein eindeutiges Feedback auf die Frage »Hat ihnen die Sonderausstellung gefallen?« ermöglichen. Die Frage »Möchten Sie mehr Virtual Reality im Museum?« zielte darauf ab, zu erkennen, ob Besuchende grundsätzlich Interesse an der neuesten Technik im Bereich virtueller Realität haben und damit die Ausstellung im Trend liegt – oder ob dies nicht der Fall ist. Um ein besseres Verständnis darüber zu erlangen, woran die Besuchenden in der VR-Ausstellung Gefallen fanden, wurde die Frage »Welche dieser Aspekte haben Sie überzeugt?« eingefügt. Als Antwort konnten mit »Avatar«, »3D-Modelle«, »Interaktion mit den 3D-Modellen«, »Bewegung im Raum« und »Sonstiges« die Präsentationsformen in der Anwendung »VR Museumlab« ausgewählt werden. In gleicher Weise wurde mit der Frage »Welche Aspekte haben Sie nicht überzeugt?" und den identischen Auswahlmöglichkeiten die Limits bzw. Nachteile der Software »VR Museumlab« abgefragt. Am Ende des Fragebogens wurden die Besuchenden eingeladen über das freie Textfeld »Haben Sie Verbesserungsvorschläge für uns?« ein persönliches Feedback abzugeben. Wie in der folgenden Auswertung zu sehen ist, wurden nicht alle Fragebögen vollständig ausgefüllt; die Anzahl der Antworten pro Frage ist der Bildunterschrift und der jeweiligen Grafikbeschriftung (in absoluten Zahlen) zu entnehmen. Um die beiden inhaltlich unterschiedlichen Gruppen von Besuchenden in Tübingen und Wien besser zu konturieren, werden in der folgenden Auswertung die Daten von beiden Ausstellungen nach Fragen geordnet gegenübergestellt.

Abb. 8: Fragebogen »Alterskategorie«. Tübingen (n=82); Wien (n=14)

Die Frage nach der Alterskategorie (Abb. 8) zeigt feine Unterschiede der Besuchendenstruktur. Während in Tübingen 32 % der Befragten über 40 Jahre alt waren, 31 % zwischen 19 und 24 Jahre und 30 % zwischen 25 und 40 Jahre, überwog in Wien der Anteil der 25-40-jährigen mit 57 %, gefolgt von 36 % der Besuchenden im Alter über 40 Jahre. In Summe war das Publikum in Tübinger somit jünger als in Wien.

Abb. 9: Fragebogen »Geschlecht«. Tübingen (n=82); Wien (n=15)

In der Verteilung nach dem Geschlecht (Abb. 9) zeigt sich ein noch deutlicherer Unterschied. In Tübingen gaben mehrheitlich (56 %) weibliche Besucherinnen ein Feedback, in Wien war die überwiegende Mehrheit der Befragten laut Selbstauskunft männlich (73 %).

Abb. 10: Fragebogen »Hat ihnen die Sonderausstellung gefallen?«. Tübingen (n=82); Wien (n=15)

Nach Ausweis der Frage »Hat ihnen die Sonderausstellung gefallen?« (Abb. 10) wurde die Ausstellung in Tübingen (98 %) und in Wien (100 %) ausschließlich positiv rezipiert. Es gab insgesamt keine negative Antwort, in Tübingen wurden nur zweimal die Antworten »neutral« angekreuzt.

Abb. 11: Fragebogen »Möchten Sie mehr Virtual Reality im Museum?«. Tübingen (n=82); Wien (n=13)

Die Frage »Möchten Sie mehr Virtual Reality im Museum?« (Abb. 11) wurde in Tübingen (79 %) und in Wien (69 %) mehrheitlich bejaht. Unentschlossen antworteten 18 % bzw. 15 % der Befragten. Während sich in Tübingen nur 2 % der Besuchenden keine weitere VR im Museumskontext wünschten, lag der Anteil in Wien bei 15 %. Insgesamt lässt sich den Daten jedoch ablesen, dass eine große Mehrheit dem Einsatz von VR im musealen Kontext gegenüber positiv aufgeschlossen ist. Der Befund stimmt mit der einheitlichen Zustimmung zur vorherigen Frage »Hat ihnen die Sonderausstellung gefallen?« überein (Abb. 10).

Abb. 12: Fragebogen »Welche dieser Aspekte haben Sie überzeugt?«. Tübingen (n=168); Wien (n=34)

In der Frage »Welche dieser Aspekte haben Sie überzeugt?« (Abb. 12) konnten mehrere Antworten ausgewählt werden. In den Antworten aus Tübingen und Wien bildet sich ein einheitliches Muster ab. An beiden Ausstellungsorten empfand die Mehrheit (38 % bzw. 41 %) die Interaktion in der virtuellen Welt als besonders überzeugend. An zweiter Stelle wurden in Tübingen (26 %) und in Wien (32 %) die 3D-Modelle genannt. Dies überrascht doch ein wenig, zumal die in der Ausstellung präsentierten Exponate, wie bereits oben erwähnt, keine 3D-Modelle im Sinne eines Scans waren, sondern hochauflösende 2D Aufnahmen, die auf einem flachen Zylinder aufgelegt wurden – offenbar ist die positive Wirkung auf Besuchende in einer VR-Ausstellung dennoch ausreichend. Unmittelbar gefolgt an dritter Stelle überzeugte die Befragten in Tübingen (25 %) und in Wien (26 %) die Bewegung im virtuellen Raum. Es sind genau die drei Hauptelemente, die das Neuartige in VR ausmachen:

1) die ganz anderen Interaktionsmöglichkeiten in der virtuellen Welt, als in real life (z. B. Exponate – die normalerweise hinter Panzerglas in Vitrinen liegen – ›in die Hand‹ nehmen zu können und damit Dinge tun, die man in einem Museum sonst nicht machen kann/darf; die Objekte vergrößern; den Ausstellungsraum nach eigener Lust und Laune verändern; etc.)

2) die Virtualität eines echten Objektes

3) die Möglichkeit sich nur mittels eines Controllers in einem virtuellen dreidimensionalen Raum zu bewegen.

Abb. 13: Fragebogen »Welche dieser Aspekte haben Sie nicht überzeugt?«. Tübingen (n=38); Wien (n=8)

Die Frage »Welche dieser Aspekte haben Sie nicht überzeugt?« (Abb. 13) wurde in Tübingen und in Wien recht unterschiedlich beantwortet, auch wenn an beiden Orten in Summe quantitativ weit weniger Antworten gegeben wurden als bei der Frage nach den Aspekten, die gefallen haben. Dieser Befund unterstreicht ebenfalls, dass die VR-Ausstellung vom Publikum gut angenommen wurde. In Tübingen (37 %) und in Wien (63 %) fanden der eigene Avatar bzw. die im Raum anzutreffenden Avatare die geringste Zustimmung. Das lässt sich gut damit erklären, dass die unnatürlich wirkenden Bewegungen und Konturen der Gliedmaßen der Avatare in »VR Museumlab« gegenüber dem real wirkenden virtuellen Ausstellungsraum und den ebenfalls äußerst real wahrgenommenen Exponaten wie ein Stilbruch wirken. Während in Wien unter der Rubrik »Sonstiges« (38 %) nicht überzeugend eingestuft wurde, votierten die Besuchenden in Tübingen die Bewegung (26 %) und die Interaktion (18 %) an zweiter bzw. dritter Stelle – ausgerechnet die Aspekte, die von der Mehrheit in Tübingen als besonders positiv empfunden wurden. Dieser Befund ist schwierig zu deuten; vermutlich stecken hinter den in Relation wenigen negativen Angaben individuelle Wahrnehmungen einzelner Besuchenden hinsichtlich der Bewegung und Interaktion in der virtuellen Welt. Hier liegt mit 8 von 17 Rückmeldungen ein Schwerpunkt bei Usern, die laut Fragebogen über 40 Jahre – womöglich auch weit über 40 Jahre – alt waren, und damit präsumtiv eine geringere Affinität zu Gaming und der Steuerung von Controllern aufweisen als jüngere Menschen.

 

Im Freifeld »Haben Sie Verbesserungsvorschläge für uns?« wurde in Tübingen (n=30) und in Wien (n=6) ausführliches Feedback gegeben. Während zehn Antworten aus begeisterten Zustimmungsbekundungen bestanden (»Ich finde es sehr gut so«, »Super cool, danke«, »Super Sache«, »Weiter so«, etc.), verteilten sich die restlichen Rückmeldungen auf verschiedene Aspekte. Das Spektrum reichte dabei von technischen Verbesserungsvorschlägen (»Einfachere Bedienung wäre gut«, »Wäre schön, wenn die Brille für Menschen mit kleinen Köpfen anpassbar wäre«) über Anmerkungen zur Audio-Funktion (»Ton sollte nicht bei allen gleichzeitig abspielbar sein«, »Nach dem Drücken einer Taste die Info zu jeder Münze zu hören«) bis hin zur Empfehlungen der Ausstattung (»Mehr Räume wären super«, »Mehr Brillen«, »Sitzgelegenheiten fehlen«, »Ausstellung in einen größeren Raum für mehr Bewegungsfreiheit«). Wenige Rückmeldungen betrafen die Steuerung (»Rein-&rauszoomen noch sehr schwierig bzw. gelingt nicht immer«, »Bewegung könnte noch intuitiver sein«, »Das Greifen ist manchmal nicht ganz einfach«). Auch wenn manche Wünsche über das Ziel hinausschossen (»Ich möchte Münzen treten können«, »Maybe get a fantastic creature [Anm. Der Avatar könnte gemeint sein]«), so beweist der breite Rücklauf an Ideen und Vorschlägen, dass die Befragten über das immersive Eintauchen in die virtuelle Welt hinaus die Ausstellung intensiv reflektierten.

 

Zusammenfassung und Ausblick

Das Projekt wurde in einer Zeit geplant und umgesetzt, während das öffentliche Leben – und damit der Publikumsverkehr in den Museen[20] – durch die COVID-19-Pandemie stark eingeschränkt war. Trotz Zutrittsbeschränkungen, Maskenpflicht (was die Nutzung einer VR-Brille durch die Gefahr des Anlaufens des Displays zusätzlich erschwert) und strikter Hygienekonzepte war nach Ausweis der retournierten Fragebögen das Interesse an einer VR-Ausstellung überraschend groß. Das ›Neuartige‹ führte auch dazu, dass die Regionalpresse das Thema aufgriff und über die Ausstellung in Tübingen berichtete[21]. Ebenso wurden beide Projektleiter und eine studentische Mitarbeiterin zu einer Radiosendung in der Talk Show »Lokalmagazin« des Tübinger Radiosenders Radio Wüste Welle eingeladen, um über das Projekt zu berichten[22]. Wenn man bedenkt, dass Kontorniaten – auch in der Numismatik selbst (die ja bereits ihrerseits in der deutschen Wissenschaftslandschaft als sogenanntes Kleines Fach gilt[23]) – ein sehr spezielles und eher randständiges Thema sind, dann zeigt der Einsatz von VR eine Möglichkeit auf, wie Ausstellungsthemen, die mit herkömmlichen Ausstellungsformaten als nicht öffentlichkeitswirksam einzustufen sind, dennoch einem breiten Publikum erfolgreich vermittelt werden können.

Spannend waren aus Sicht der Kursleitung auch die Rückmeldungen der Studierenden über die Arbeitsweise mit der verwendeten Software sowie gewünschte Funktionen zu erhalten. Diese leiteten wir gesammelt an das Team von ImproVive weiter, um für nachfolgende Projekte Verbesserungen in die Anwendung einfließen zu lassen. Für die Zukunft planen wir bereits einen weiteren Kurs, der in ähnlicher Form, jedoch mit anderem fachlichem Hintergrund, das Interesse an geschichtlichen und archäologischen Themen der breiteren Gesellschaft mit moderner Technik vermittelt. Dabei soll die virtuelle Ausstellung mit dem quelloffenen Tool ExPresS-XR[24], anstelle von »VR Museumlab«, realisiert werden, da diese einfacher in der Handhabung ist und ohne Lizenzgebühren genutzt werden kann.

 

Nach abschließender Endevaluierung wurden das Modul sowie die virtuellen Ausstellungsprojekte mit Videotutorials (siehe beigefügte Dokumente) zur Nutzung von »VR Museumlab« und den Ausstellungen auf dem Zentralen Repositorium für Open Educational Resources (ZOERR) der Hochschulen in Baden-Württemberg unter CC-BY (3.0) nachhaltig gesichert und zum Download bereitgestellt[25], um anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen eine Weiternutzung in eigenen Projekten zu ermöglichen.

 

Weitere Dokumente / Further Documents

Ausstellungen.mp4 (258 MB)

ImproViveBenutzung.mp4 (724 MB)

 




* Die beiden Autoren danken der Dr. K. H. Eberle-Stiftung für die Zuerkennung des Open Educational Resources-Preises, mit der das Lehrveranstaltungsprojekt und die im Anschluss daran präsentierten Ausstellungen ausgezeichnet – und finanziell unterstützt – wurden.

[1] Deutscher Museumsbund e.V. – Bundesverband Museumspädagogik e.V. (Hrsg.), Leitfaden Bildung und Vermittlung im Museum gestalten (Berlin 2020) https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2020/12/dmb-leitfaden-bildung-u-vermittlung-web-bfrei-20201201-002.pdf (11.06.2023).

[3] M.-C. Juan – M. Loachamín-Valencia – I. Garcia-Garcia – J. M. Melchor – J. Benedito, ARCoins. An Augmented Reality App for Learning about Numismatics, in: M. Chang et al. (Hrsg.), 2017 IEEE 17th International Conference on Advanced Learning Technologies (ICALT), Timisoara, Romania (Timisoara 2017) 466–468 (doi: 10.1109/ICALT.2017.27).

[4] J. Richardson, Virtual Reality is a big trend in museums, but what are the best examples of museums using VR?, 05.06.2023, https://www.museumnext.com/article/how-museums-are-using-virtual-reality/ (11.06.2023).

[11] S. Krmnicek (Hrsg.), Medaillons und Kontorniaten. Antike Sonderprägungen aus der Münzsammlung des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Tübingen, Von Kroisos bis zu König Wilhelm. Neue Serie 1 (Tübingen 2016) (https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/handle/10900/73812).

[14] Die Autoren dieses Beitrags danken Florian-Julius Revellio für die ausgezeichnete Arbeit.

[15] Museum der Universität Tübingen MUT, 15.10.–28.11.2021, Fr./Sa. 11–16 Uhr (= 40 h), 82 Fragebögen.

[16] Institut für Numismatik und Geldgeschichte, 13.06.–30.06.2022, vier Termine zu je 1,5 h (= 6 h), 15 Fragebögen.

[18] Die Autoren dieses Beitrags danken Julian Tielsch für die ausgezeichnete Arbeit.

[19] Deutscher Museumsbund e. V. (Hrsg.), Hauptsache Publikum! Besucherforschung für die Museumspraxis (Bonn 2019) https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2019/03/handreichung-web-190325.pdf (11.06.2023).

[20] E. Köhne, Museen in Zeiten von Corona: es geht um die Zukunft!, Politik & Kultur. Zeitung des Deutschen Kulturrates 5/2020, 9. https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2020/04/puk05-20.pdf (11.06.2023).

[21] Reutlinger General-Anzeiger, Durch die Brille betrachtet. Studenten der Uni Tübingen haben gemeinsam das »Museum Virtuell« konzipiert, 18.10.2021; Schwäbisches Tagblatt, Virtual-Reality — Virtueller Museumsbesuch mit realer Brille, 25.10.2021.

[25] K. Körner – S. Krmnicek, Museum Virtuell. Eine studentische VR-Ausstellung. ZOERR Zentrales Open Educational Resources Repositorium der Hochschulen in Baden-Württemberg 16.05.2023 (http://hdl.handle.net/10900.3/OER_DMQCAXOG) (11.06.2023).