Bd. 61 (2020): Postkoloniale Theorien und Sozialethik
Die Beschäftigung mit der eigenen kolonialen Geschichte und deren Folgen erfährt in den letzten Jahren in Deutschland und anderen europäischen Ländern wachsende Aufmerksamkeit. Postkoloniale und antirassistische Bündnisse lenken den Blick auf die Allgegenwärtigkeit der kolonialen Vergangenheit und auf fortdauernde Stereotypisierungen des/der „Anderen“. Kunst- und Theaterprojekte, Ausstellungen und Dokumentationen in verschiedenen Medien schaffen ein breiteres öffentliches Bewusstsein für das Thema. In politischen Prozessen wird auf eine angemessene Verantwortungsübernahme für die Verbrechen der Kolonialmächte hingearbeitet.
Der 61. Band des Jahrbuchs für Christliche Sozialwissenschaften greift diese Entwicklungen auf und möchte eine produktive Rezeption postkolonialer Theorieansätze in der Theologischen Ethik und einen bislang kaum stattfindenden interdisziplinären Dialog zwischen Postcolonial Studies und Theologischer Ethik anstoßen. Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf den transformatorischen Ressourcen einer postkolonialen Perspektive für die deutsche und europäische Theologische Ethik und Gesellschaft. Dementsprechend nimmt der Band vor allem europäische Kolonialmächte und die gegenwärtige Behandlung des Themas in europäischen Gesellschaften und in der Theologischen Ethik in den Blick; er stellt nicht nur die Frage nach der kolonialen Vergangenheit und deren Aufarbeitung, sondern vor allem die nach einer zukunftsfähigen Gestalt Theologischer Ethik angesichts postkolonialer Perspektiven, Irritationen und Kritiken.
Zwei thematisch freie Forschungsbeiträge aus der Sozialethik ergänzen das Heft: Ein Beitrag zur Analyse kirchlichen Sprechens in der deutschen Migrationsgesellschaft ergänzt das Tableau zum Rahmenthema Postkolonialismus. Der andere Beitrag widmet sich anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der „Sozialkonzeption“ der Entwicklung der Sozialethik in der Russischen Orthodoxen Kirche.
Berichte zur Lage der Sozialethik in Ungarn sowie zu sozialethischen Fachtagungen des Jahres 2019/2020 und die Mitteilungen zu laufenden und kürzlich abgeschlossenen Qualifikationsarbeiten geben Einblicke in aktuelle sozialethische Entwicklungen und Forschungsprozesse.