1. Problemstellung
Der Lehrerberuf birgt viele Herausforderungen, die über fachliche und methodische Kompetenzen hinausgehen. Personale und soziale Kompetenzen von Lehrkräften sind nicht nur essentiell für qualitativ guten Unterricht (vgl. Klusmann et al 2012), sondern können auch protektiv wirken und als präventive Basis zur Aufrechterhaltung der Gesundheit gesehen werden (z. B. Weiß & Kiel 2013). Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Kultusministerkonferenz (KMK 2013) den Hochschulen, Online Self-Assessments (OSA) vor Aufnahme und während des Lehramtsstudiums einzusetzen, wodurch (Selbst-)Reflexionsprozesse bei BewerberInnen angestoßen werden sollen und die „Aussagen über die Kompetenzentwicklung [vor und] während der Ausbildung ermöglichen“ (KMK 2013, S. 2). Rothland & Tirre (2011) konnten allerdings zeigen, dass die OSA überwiegend im Bereich der Persönlichkeitstests angesiedelt sind, somit nicht notwendigerweise eine spezifische Ausrichtung auf das Lehramtsstudium oder den Lehrerberuf aufweisen und die intendierte Selbstreflexion daher fraglich ist. Angesichts der steigenden Belastung im Lehrerberuf, die bekannterweise insbesondere zu psychosozialen Problemen bei Lehrkräften führen, ist dieser Ansatz als gesundheitsbezogenes Konzept absolut sinnvoll und notwendig. Er kann die intendierten Wirkungen nur erzielen, wenn er qualitativ und quantitativ nachhaltig angelegt ist. Das Gut Lehrergesundheit ist zu wichtig, um hier Möglichkeiten ungenutzt zu lassen.
2. Stand der Erkenntnisse
Unter Rückgriff auf Vorarbeiten von Nieskens (2016) und Nieskens & Demarle-Meusel (2013) zeigt sich ein überaus heterogenes Bild der Eignungsabklärung an Hochschulen: Demnach ist der Einsatz von OSA in einigen Bundesländern verpflichtend, in vielen liegt es in der Verantwortung der Hochschulen selbst. Die Teilnahme an einem OSA wird nur von wenigen Hochschulen für eine Studienbewerbung vorausgesetzt.
Die bei den OSA erzielten Ergebnisse werden von den meisten Hochschulen nicht weiterverwendet, was zum Teil mit Datenschutzgründen erklärbar ist, zum Teil dadurch, dass häufig eingesetzte standardisierte Verfahren wie das ‚Career Counseling for Teachers‘ (CCT) oder ‚Fit für den Lehrerberuf‘ (FIT) den Zugang zu den Daten für Hochschulen gar nicht oder nur eingeschränkt ermöglichen, aber auch dadurch, dass die Daten von den Hochschulen nicht (mehr) abgerufen werden. Dementsprechend gibt es auch nur eine geringe Anzahl an Hochschulen, die aufbauend auf den Assessment-Ergebnissen weitere Maßnahmen anbieten. Dabei wären es gerade diese individuell zusammengestellten Maßnahmen, die angehenden Lehrkräften genau die sozialen und personalen Kompetenzen vermitteln, die sie benötigen, um mit den Belastungen im späteren Berufsalltag sozialkompetent und resilient umgehen zu können.
Es ist zu vermuten, dass der Forderung Döring-Seipels (2012), dafür Sorge zu tragen, diejenigen zu identifizieren, die sich auf gesundheitsdienliche Weise mit den Anforderungen ihres Berufs auseinandersetzen und diejenigen besonders zu fördern, bei denen dies noch nicht ausgeprägt ist (vgl. Döring-Seipel, 2012, S. 185), momentan nicht viele Hochschulen nachkommen. Eigene Vorarbeiten an der Universität Münster führten zur Etablierung des Feedback-Inventars beruflicher Erstorientierung für das Lehramt (FIBEL, Kanning, Herrmann & Böttcher 2011) für die Zulassung zu einem bildungswissenschaftlichen Master-Studiums. Nach einer ersten explorativen Befragung in Seminarkontext zeigt sich, dass verpflichtende OSA keine nachhaltigen Wirkungen zeigen: Bereits im ersten Mastersemester, also relativ kurz nach der verpflichtenden Teilnahme des ‚Feedback-Inventar zur berufsbezogenen Erstorientierung für Lehramtsstudierende‘ (FIBEL) an der Universität Münster, konnten sich viele Befragte nicht mehr gut an ihr Testergebnis erinnern, nahmen es nicht ernst oder hielten es nicht für aussagekräftig für eine Eignungsabklärung zum Lehramt. Dabei äußerten viele Befragte retrospektiv den Wunsch nach einer Besprechung der Testergebnisse und einem speziellen Veranstaltungsangebot im Rahmen personaler und sozialer Kompetenzen.
3. Zielstellung
Im geplanten Forschungsvorhaben wird daher die Frage der Strategie ausgewählter Hochschulen bezogen auf die Eignungsabklärung durch OSA und der strukturierten Kompetenzentwicklung vorangestellt. Es zielt darauf ab, an ausgewählten Hochschulen die Personen, die für den Einsatz der Verfahren verantwortlich sind, bezüglich der jeweiligen Strategie zum Einsatz der OSA, der Verwendung der Daten i. S. v. Nutzung für die Kompetenzentwicklung während des Studiums, zu aktuellen und geplanten Entwicklungen und zu den gewünschten Effekten der OSA zu befragen. In einem weiteren Schritt sollen Studierenden an den entsprechenden Hochschulen zu ihrer durch das OSA ausgelöste Selbstreflexion zu Studienwahl, ihren personalen und sozialen Kompetenzen und darüber hinaus zur Einschätzung der Wirkung desselbigen befragt werden.