Weihnachten kam wie jedes Jahr viel zu schnell. Die Zeit verging wie im Flug, denn mit dem Beginn der Ferien wusste ich auch, dass sich mein Praktikum damit dem Ende zuneigen würde. Dass ich nach den Weihnachtsferien nicht zurückkommen würde, hatte sich bereits wie ein Lauffeuer im Kollegium rumgesprochen. ‚Oh, you’re leaving Steph?‘ kam in den Tagen darauf nicht nur von den Lehrkräften und SSAs. Auch die Kinder hatten mittlerweile mitbekommen, dass es für mich zurück in die Heimat geht.
An meinem letzten Tag kam die Schulleiterin in den gefühlt vollgepackten Staff Room, um zwischen den einzelnen Unterrichtsstunden die Initiative zu nutzen und sich bei mir für die drei Monate und das große Engagement zu bedanken, das ich dem Schulalltag gewidmet hatte. Der laute Applaus des Personals weckte jedoch auch in mir das Gefühl von einem weinenden Auge und wie sehr ich die Zeit an der Schule als auch die engen Verbindungen, die ich mir vor allem zu den Kindern mit Förderbedarfen aufgebaut hatte, vermissen werde.
Die Kinder der Klasse, die ich in den letzten Wochen begleitet hatte, hatten mir eigene kleine Abschiedskarten gebastelt, die sie mir persönlich übergeben hatten und nachdem ich auch noch von jedem einzelnem Viertklässler fest gedrückt wurde mit Sprüchen wie ‚Thank you for helping me so much in Math, Steph‘ und ‚I will miss you‘ machte sich auch bei mir ein großer Kloß im Hals breit.
Nun sind einige Wochen vergangen. Ich habe Weihnachten zum ersten Mal in New York City verbracht und in Montréal bei -29°C womöglich auch das kälteste Silvester erlebt, dass ich je gehabt habe. Nach einer kleinen Rundreise durch Ottawa und Toronto als auch Vancouver Island bin ich nun wieder zurück in Vancouver gelandet, wo von nun an die letzten Tage anbrechen, bevor es wieder zurück in die Heimat geht. Familie und Freunde können es derzeit kaum erwarten, mich wieder fest in ihren Armen zu halten. Natürlich freue ich mich auch wieder zurück im vertrauten Sauerland zu sein, mit meinem geliebten Rad durch die kleinen urigen Gassen Münsters zu radeln und gutes deutsches Essen zu genießen. Doch wie so oft ist es zurzeit vielmehr der Kalender, der mir jeden Tag aufs Neue zeigt, wie nahe der Tag des Rückfluges bevor steht.
Das Praktikum war rückblickend für mich eine sehr wertvolle und gewinnbringende Erfahrung. Ich, als werdende Lehrerin, konnte die Perspektive wechseln und die Arbeit als Student Support Worker (SSW) / Inklusionshilfskraft kennenlernen. Ich habe während der Arbeit mit den Schülern sowohl verschiedenste Diagnosen kennengelernt, zudem aber auch immer wieder feststellen müssen, dass beispielsweise jedes Kind mit Autismus völlig verschieden zu einem Kind mit derselben Diagnose sein kann.
Die Provinz British Columbia hat seit etwa 20 Jahren die Beschulung von Schülern mit Förderbedarfen inne und so war es großartig zu sehen, wie selbstverständlich Individuen, die sich anders verhalten, anders aussehen oder besondere Unterstützung benötigen, zum Alltag der heutigen Gesellschaft gehören. Aus dem Schulalltag sind sie hier nicht mehr wegzudenken, denn die Kleinsten lernen seit dem Vorschul- oder Kindergartenalter Kinder kennen, die womöglich ganz untypisch zu ihren bisherigen Freunden sind, aber dennoch zum großen Ganzen selbstverständlich dazugehören.
Hierzu fällt mir eine tolle Metapher einer Lehrerin ein, die ihren Schützlingen das System von Inklusion anhand von Schneeflocken erklärt hatte. Jeder kennt Schneeflocken, doch ist keine gleich wie die andere. Jede ist, wenn man sie genauer betrachtet, ein Individuum für sich und doch braucht es jede einzelne Flocke, um zusammen Schnee zu bilden. Eine einzelne Flocke könnte dies niemals schaffen. Damit sich einige Schneeflocken entfalten können, brauchen sie jedoch etwas Unterstützung von außerhalb. Diese Hilfe benötigen einige Flocken mehr als andere. Und dennoch verfolgen alle dasselbe Ziel, sich zu einer großen, selbstständigen Schneeflocke zu entwickeln.
Ich habe während meiner Zeit in Vancouver ebenso ein neues Schulsystem kennenlernen dürfen. Dank der neuen Schulreform werden hier vor Ort meist nur 18-24 Schüler in einer Klasse unterrichtet und auch der Schulalltag ist nicht derart stark in Schulfächer untergliedert, wie es bei uns in Deutschland der Fall ist.
Zudem nimmt das Lehrpersonal etwa einmal pro Monat an Workshops teil, die ich ebenso während meines Praktikums besuchen durfte. Während dieser ProD-Days (Professional Development Days) habe ich viel Input sowohl zur inklusiven Beschulung als auch zur Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen dem Fachlehrer und der Inklusionshilfskraft kennengelernt. Innerhalb der Schule kann sich ebenso über verschiedene Prozesse ausgetauscht werden, da viele von diesen bereits großartig verlaufen und somit erfolgreiche Ideen viel mehr geteilt und noch mehrere Klassen von ihnen profitieren können.
Im Großen und Ganzen bin ich unheimlich froh derart viele Erfahrungen für meine berufliche als auch persönliche Zukunft gesammelt zu haben. Für den deutschen Schulalltag fühle ich mich besonders bezüglich der inklusiven Beschulung, die in vielen Schulen erst seit einigen Jahren umgesetzt wurde, mehr als gut vorbereitet. Ich sprudel förmlich vor Ideen, Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf in den Regelunterricht mit einzubeziehen sowie auch ihren akademischen Grad durch simple aber bestimmte Weise im Rahmen ihres Könnens und ihrer Fähigkeit zu fördern und zu unterstützen.
Ich habe weder Angst davor Schüler, die anders sind, in meinem späteren Klassenraum zu unterrichten, noch stellt sich mir ein großes Fragezeichen, wenn ich wie zuvor im Studium lediglich theoretisch an die Thematik von Inklusion in Deutschland herangeführt wurde.
Jedem Studenten, der ebenso überlegt, sein Studium durch ein geeignetes, freiwilliges Praktikum zu beenden, kann ich mein Vorgehen nur empfehlen, da ich bewusst sagen kann, mehr Input gelernt als auch verinnerlicht zu haben, als ich mir jemals hätte durch Bücher aneignen können.
Crossed fingers für eine ebenso positive Entwicklung von Inklusion an Regelschulen in Deutschland!
Cheers,
Steffi
Zum Abschluss bekommt ihr noch ein paar Bilder von meiner kleinen Rundreise durch Nordamerika 🙂
View from North Bergen towards Manhatten View from Mont Royal on Montréal
Schöner Bericht! Mir gefällt es immer, wenn jemand erfolgreich vom Arbeiten in Kanada berichten kann!
Hallo Steffi, ich habe voller Spannung deine Berichte über dein Praktikum in Vancouver gelesen und möchte am Liebsten direkt losfliegen ! 😉
Ist es möglich dich per Mail für Rückfragen zu kontaktieren ? 🙂
Lg Sandra
Liebe Steffi , leider ist deine Mail im Spam Ordner gelandet und hat sich eben selbst gelöscht ! Bist du so lieb und schickst mir nochmal kurz eine Mail wenn du es schaffst ! 🙂 Tut mir sehr leid ! Hatte mich so gefreut von dir zu hören und dann ist die Mail einfach weg 🙁
Hallo Steffi!
Auch ich habe noch Fragen und würde mich sehr freuen, wenn du dich bei mir melden würdest 🙂
LG Chiara
Hallo Stefanie,
ich habe deine Blogeinträge mit Begeisterung gelesen! Nun habe ich auch richtig Lust auf ein Praktikum in Kanada. Gibt es eine Möglichkeit, dich zu kontaktieren?
Liebe Grüße 🙂