Nun bin ich seit einer Woche zurück in Deutschland, so richtig angekommen fühle ich mich aber noch nicht. Die erste Woche im neuen Chirurgie-Tertial ist geschafft und alles dreht sich eigentlich um das Virus COVID-19.
Inzwischen gibt es auch in Uruguay die ersten Fälle und ich sehe, wie dort ein paar Tage zeitversetzt passiert, was bei uns schon passiert ist: Schulschließungen, Informationsemails und Anweisungen an die Medizinstudierenden, wie sie sich zu verhalten haben und wo sie eventuell eingeplant werden.
Ich möchte trotzdem gern ein kleines allgemeines Resümee meiner Zeit in Uruguay ziehen. Es waren wunderbare vier Monate, die mich so viele neue Einblicke, aufschlussreiche Gespräche und neue Erfahrungen haben erleben lassen. Ich habe viele neue Freundschaften geschlossen und eine andere Sicht auf medizinische Versorgung und das Ärztin-Patientin-Verhältnis kennengelernt.
Uruguay als Land mit seiner Politik hat mich fasziniert und ist für mich ein Positivbeispiel für eine funktionierende Demokratie und ein funktionierendes sozialpolitisches und solidarisches System. Die klare Trennung von Kirche und Staat, eine frei verfügbare Gesundheitsversorgung, die auch für Zugewanderte anderer Länder offen steht, und dazu liberale Abtreibungsgesetze, viele Bildungs- und Sozialprogramme für die Modernisierung von Schulen, gegen sexuellen Missbrauch und häusliche Gewalt, für die Heranführung älterer Mitbürgerinnen an die digitale Welt sind für mich nur einige der Beispiele, die mich Uruguay als Land mit Vorbildfunktion für viele andere Länder haben sehen lassen.
Ich wurde herzlich als Gast im PJ System der uruguayischen Studierenden empfangen, dazu motiviert viel Verantwortung selbst zu übernehmen und trotzdem hatte ich immer jemanden, den oder die ich um Hilfe und Rat im Arbeitsalltag bitten konnte, wenn ich Unsicherheiten hatte. Die zwar klaren bestehenden Hierarchien der Ärztinnen und Assistentinnen waren im Umgang der Menschen untereinander im Krankenhaus wenig zu bemerken und gerade im Kontrast zu meinem jetzigen Team hier in Norddeutschland auf einer Chirurgischen Allgemeinstation war der Umgang miteinander umsichtiger und liebevoller.
Bei so viel Positivem, das ich sehen und erleben durfte, könnte man meinen, die Uruguayer hätten alles Recht darauf, stolz auf ihr Land zu sein, patriotisch und anderen anhand ihres Beispiels Wege aufzeigend, was politische Lösungen für heutige gesellschaftspolitische Probleme sein könnten. Die erste Frage, nachdem ich durch meinen deutschen Akzent geoutet gefragt wurde woher ich komme und was ich in Montevideo mache, war immer: Y porque Uruguay? (Und wieso Uruguay?). Die Frage wurde oft in einem erstaunten Ton gestellt, so dass es auf mich so gewirkt hat, als müsste meine Antwort sein, dass ich Familie im Land habe und deswegen regelmäßig herkomme, oder als müsste ich einen sonstigen triftigen Grund haben, weshalb ich in ‘ihrem’ Land mein Gynäkologie-Tertial machen wollte. Tatsächlich ist die von mir erlebte Meinung der Uruguayer über sich selbst sehr ‚humilde‘ (bescheiden), sie fühlen sich zwar wohl in ihrem Land zu leben, aber kämen nicht auf die Idee sich selbst zu loben oder Anderen Vorschläge zu machen.
Trotzdem gibt es natürlich auch negative Dinge, die mir aufgefallen sind und die ich nicht außen vorlassen möchte. Eine steigende Kriminalitätsrate, Mängel im Krankenhaus, die aufgrund fehlender finanzieller Mittel zustande kommen und in einigen Vierteln Montevideos steigender Drogenkonsum beispielsweise. Außerdem finde ich den Umstand besorgniserregend, dass Ärztinnen und Ärzte teils drei Anstellungen gleichzeitig haben und sich überarbeiten, um sich und ihre Familien finanzieren zu können. Auch im Arbeitsalltag sind mir einige Dinge aufgefallen. So würde die Effizienz der Arbeit durch pünktliches Erscheinen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter definitiv gesteigert und das Verlieren von Patienteninformationen vermieden werden. Auch ist die in Deutschland inzwischen sehr weit akzeptierte Idee von informed decision making, also das Bemühen der Ärztinnen und Ärzte die Patientin dazu zu empowern eigene Therapie- und Behandlungsentscheidungen zu treffen kein besonders verfolgtes Ziel in meinem Krankenhaus in Montevideo gewesen, sondern es wurde meist mehr oder weniger paternalistisch ohne viele Erklärungen eine Therapierichtung eingeschlagen.
Im Großen und Ganzen kommt es mir jedoch so vor, als würde Uruguay – vielleicht auch aufgrund der Zurückhaltung der Uruguayer und Uruguayerinnen – in seiner Schönheit und Vorbildfunktion auf so vielen Ebenen häufig nicht auf der Weltbühne wahrgenommen.
Umso glücklicher schätze ich mich, die Gelegenheit bekommen zu haben, eine Zeit lang dort zu leben und in Deutschland in meinem Bekannten- und Freundeskreis in Gesprächen und Diskussionen meine Begeisterung für dieses Land und seine Menschen kundzutun.
Mein Lieblingslied von der Puerto-ricanischen Band Calle 13 über Lateinamerika 🙂
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