Auf einmal war er da, Samstag der 1. September 2018. Auf geht es nach Norwich (England) für mein knapp viermonatiges Praktikum an der Norwich School. Dass der Tag auf einmal da war, kam für mich sehr plötzlich. Gerade den Praktikumsplatz bekommen (im Februar), dann noch die Bachelorarbeit schreiben, Sommerurlaub und dann war der September auf einmal da.
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich reine Vorfreude verspürt hätte. In Wahrheit war ich ganz schön aufgeregt. Das hat sich aber schnell gelegt, denn ich habe mich vom ersten Tag an in Norwich sehr wohl gefühlt.
Norwich liegt ca. 160 km nordöstlich von London in der Region „Norfolk“. Die Stadt gefällt mir einfach super und erinnert mich irgendwie an Münster. Zwar gibt es keine hundert Rewe, aber es steht an so gut wie jeder Ecke eine Kirche. Ein besonderer Hingucker ist natürlich die Kathedrale, die auch von der Norwich School genutzt wird. Die Norwich School ist eine der ältesten Schulen des Vereinten Königreiches und besteht bereits seit dem zwölften Jahrhundert. Dort lernen Mädchen und Jungen (früher war es eine reine Jungenschule) im Alter von vier bis achtzehn Jahren. Sie ist aufgeteilt in die Lower School (bis einschließlich des sechsten Schuljahrs) und die Senior School. Die Schule ist wie ein Campus aufgebaut, der sich direkt an der Kathedrale befindet.
Nach kurzer Eingewöhnungszeit ging es am Montag direkt schon los. Erstmal gab es zwei Staff Training Days, an denen es kurze Vorträge gab, z.B. zur Child Safety oder zu didaktischen Methoden. Anders als ich es von vorherigen Praktika in Deutschland oder von meiner eigenen Schulzeit kenne, gehören an der Norwich School nicht nur die LehrerInnen und vielleicht noch eine Sekretärin oder ein Sekretär zum Team. Es gibt ungefähr genauso viele andere Staff Members, wie z.B. eine eigene IT-Abteilung oder das Management. Das gefällt mir sehr gut. In Deutschland kann man ja oft beim Anblick einer Schulwebsite nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Man muss aber auch bedenken, dass die Norwich School eine Privatschule ist, die dadurch das notwendige Budget hat. Man kann sie daher eigentlich nicht mit unseren staatlichen Schulen vergleichen.
Nach den ersten zwei Tagen ging es am Mittwoch dann richtig los: der erste Schultag. Einiges läuft hier sehr anders ab als ich es sonst kenne. Das sind offensichtliche Dinge, wie z.B. die Schuluniformen oder das morgendliche Treffen der gesamten Schule in der Kathedrale, aber auch kleinere Dinge, wie z.B. dass die SchülerInnen anscheinend keine Hefte selbst kaufen müssen, sondern das meiste von der Schule bekommen. Das ist bei einem jährlichen Schulgeld von 11.000 bis 16.000 Pfund (je nachdem, welche Klassenstufe) aber irgendwie auch verständlich. Ein weiterer Unterschied ist auch, dass nicht die LehrerInnen zu den SchülerInnen in den Klassenraum kommen, sondern dass jeder (oder die meisten) LehrerInnen einen eigenen Klassenraum haben und die SchülerInnen zu ihnen kommen. Besonders verwirrend waren für mich anfangs die Bezeichnungen für die Jahrgänge. Anstatt Klasse 1-12 bzw. 13 gibt es form 1 to 6, die jeweils nochmal unterteilt sind. So ist die siebte Klasse zum Beispiel Lower 4, die achte Klasse Upper 4 und die neunte dann Lower 5. Mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt. Von solchen Unterschieden gibt es sicherlich noch viele weitere. Auch nach einem Monat fallen mir immer noch neue Dinge auf, aber ich habe so langsam das Gefühl, mich in der Schule und im Schulleben richtig zurechtzufinden.
Besonders ist die Einteilung der SchülerInnen in verschiedene Häuser (ja genau, wie bei Harry Potter, aber soweit ich weiß ohne sprechenden Hut). Im Schulalltag kriegt man davon nicht allzu viel mit, außer dass die SchülerInnen unterschiedlich gemusterte Krawatten oder Pins tragen. Es gibt aber auch Veranstaltungen, an denen die acht Häuser gegeneinander antreten. In den dritten Schulwoche zum Beispiel fand das „House Music Festival“ statt. Innerhalb der ersten Wochen des Schuljahres übte jedes Haus einen Song ein, den es dann vor der gesamten Schule präsentierte. Das Haus „Nelson“ gewann dieses Jahr mit dem Song „Shotgun“.
Ich bin dem German Department zugeteilt. Dazu gehören vier LehrerInnen, eine Fremdsprachenassistentin und ich. Alle haben mich sehr herzlich empfangen, wie auch die anderen Kolleginnen und Kollegen. Die Atmosphäre ist immer sehr positiv und alle sind motiviert (zumindest scheint es so :)). Mit den LehrerInnen des German Department spreche ich manchmal Deutsch und manchmal Englisch, das wechselt immer mal wieder, manchmal auch innerhalb einer Unterhaltung :D. Meine Arbeit besteht hauptsächlich darin, im Unterricht zu hospitieren und die LehrerInnen zu unterstützen. Das macht mir viel Spaß, da die LehrerInnen mich auch mit einbinden. Eine Klasse bespricht zurzeit Feste und Traditionen in Deutschland. Der Lehrer und auch die SchülerInnen sind sehr interessiert daran zu hören, was ich als Deutsche zum Oktoberfest und Karneval erzählen kann. Manchmal lerne ich sogar selbst noch etwas über die deutsche Sprache, worüber man sich als Muttersprachler sonst keine Gedanken macht. Ich hoffe, dass ich bald auch einmal selbst unterrichten kann. Mit einem Schüler aus der Lower 5 (13 Jahre) und einer Schülerin aus der Upper 4 (12 Jahre) mache ich Einzelunterricht, da sie ihrer jeweiligen Klasse vom Sprachniveau deutlich voraus sind. Ich bereite sie auf die IGCSE-Prüfungen vor, die sie im Frühjahr nächsten Jahres absolvieren werden. Generell scheint Deutsch aber in der Schule nicht die beliebteste Sprache zu sein. Der Vorteil liegt aber darin, dass es dadurch meist sehr kleine Klassen sind, teilweise sogar mit nur zwei (!) SchülerInnen. Die Lernatmosphäre ist dann natürlich viel angenehmer, für SchülerInnen und LehrerInnen.
Sicherlich gibt es noch viel mehr zu sagen. Aber ich denke, dass ich das Wichtigste untergebracht habe. Festhalten kann ich auf jeden Fall, dass es sehr interessant ist und auch viel Spaß macht mal an einer Schule zu sein, die sich so sehr von dem unterscheidet, was ich bisher kannte. Norwich gefällt mir als Stadt auch einfach total, sodass ich mich hier sehr wohlfühle. Die ersten vier Wochen meines Praktikums sind schon rum und es hat sich so langsam nach anfänglicher Reizüberflutung (neuer Ort, neue Leute, neue Situation) ein Alltag eingependelt. Ich bin gespannt, wie die nächsten zweieinhalb Monate sein werden.
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