Paläste, Präsidenten & Papierstau

„Ach und was machst Du da eigentlich genau?“

Ein Praktikum im Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation des Zentralamerikanischen Parlaments – PARLACEN. Zugegeben, klingt erstmal happig.

Einmal ganz kurz: Was ist das PARLACEN?
Das Zentralamerikanische Parlament PARLACEN ist ein Organ des größeren „Zentralamerikanischen Integrationssystems“ SICA (In der Politik und dem öffentlichen Sektor Mittelamerikas sind Akronyme von Institutionen und Behörden sehr beliebt. Ohne Abkürzungsverzeichnis wird es schwer, auch nur sein Visum zu verlängern). Derzeit sind Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua, Panama und die Dominikanische Republik im PARLACEN vertreten: Jeder Staat mit 20 direkt gewählten Abgeordneten und zusätzlich den Ex-Präsidenten der Mitgliedsstaaten, die im Anschluss an ihre Amtszeit ein Mandat im PARLACEN antreten können, hierzu später noch mehr. Das PARLACEN ist also die demokratische Vertretung und politische Kontrolle des SICA und eine Plattform des Dialogs. Erklärte Ziele sind „die zentralamerikanische Integration und ein friedliches Zusammenleben, im Rahmen der sozialen Sicherheit und Wohlfahrt, die auf der repräsentativen und partizipativen Demokratie, dem Pluralismus unter Berücksichtigung von Recht auf Integration, den nationalen Rechtsvorschriften und dem internationalen Völkerrecht beruhen“.


Die anfänglichen, wohl der Sprachbarriere und den Mentalitätsunterschieden geschuldeten, Verwirrungen wurden aber fix überwunden und ich wurde im Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation abgestellt. Was hier täglich anfällt, variiert einigermaßen stark. Die tägliche Büroarbeit (hauptsächlich Sichten und Auswerten von allen relevanten Zeitungsmeldungen oder Archivieren von Fotos von Veranstaltungen) ist etwas dröge, keine Frage. Spannender wird es während der monatlichen mehrtägigen Plenarsitzungen, offiziellen Besuchen von Botschaftern, Präsidenten oder Vertretern anderer politischer oder zivilgesellschaftlicher Organisationen, wo ich als Fotograf gearbeitet habe, oder Videos von und über die Veranstaltungen produziert habe.

Die beiden Highlights während meiner Praktikumszeit waren wohl zum einen die jährlichen Regionalkonferenzen des PARLACEN in Managua, Nicaragua, wohin ich die Delegation aus guatemaltekischen Abgeordneten und Sekretären begleiten durfte. Zum anderen die Vereidigung des neu gewählten Parlamentsvorstands im Nationalpalast Guatemalas, welcher der Präsident Jimmy Morales, der gewählte Präsident Alejandro Giamattei, zahlreiche Regierungsvertreter und ausländische Botschafter und Repräsentanten beiwohnten.

Ich habe also durchaus illustre Persönlichkeiten kennengelernt. Und ich muss sagen, dass es schon schmeichelt, wenn mich der Bürgermeister von Guatemala-Stadt, der Parlamentspräsident oder Verteter diverser Botschaften auf Veranstaltungen wiedererkennen und mich mit Namen ansprechen. Befremdlicher war es, plötzlich neben dem autoritären nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega zu stehen und für mein Engagement für die „Gute Sache“ gelobt zu werden (was auch immer er damit meinte). Oder wenn plötzlich die nicaraguanische Staatsanwaltschaft gegen einen Abgeordeneten des PARLACEN ermittelt, der Drogentransporte von Costa Rica nach Honduras organisiert haben soll – dank Diplomatenpass und Immunität waren Grenzüberquerungen unproblematisch. Das Side-Business des Abgeordneten ist aufgeflogen, weil wohl eine Übergabe von 250 kg Kokain geplatzt ist und die Körperteile des verantwortlichen Kuriers im Umland verteilt gefunden worden sind, nachdem er gefoltert und zersägt wurde – wie in einer absurd abgedrehten Netflix-Serie.

Ein Parlament kann nichts für Fehltritte seiner Abgeordneten, aber auch die Institution selbst sieht sich mit Vorwürfen und Kritik konfrontiert – wobei Kritik und Misstrauen gegenüber politischen Institutionen wohl unvermeidbar sind in einem Land, das 2018 Platz 144 von 180 auf dem Korruptionswahrnehmungsindex CPI von Transparency International belegt hat. Zum einen wird dem PARLACEN vorgeworfen, den Expräsidenten der Mitgliedsstaaten, sofern sie im Anschluss an ihr Präsidentenamt ein Mandat im PARLACEN annehmen, Unterschlupf und Immunität vor der Strafverfolgung zu bieten. So scheint sich zu erklären, dass Expräsident von Panama, Ricardo Martinelli, als panamaischer Staatschef das PARLACEN noch als „Räuberhöhle“ bezeichnete und Panama aus der Institution zurückziehen wollte, er sich aber hinter die Institution stellte, als er sich 2015 selbst mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert sah und ein Mandat im PARLACEN annahm. Auch der amtierende Präsident Guatemalas, Jimmy Morales, der die internationale Anti-Korruptionskommission in Guatemala (CICIG) geschlossen hat und mutmaßlich Ermittlungen gegen seine Söhne behindern soll, hat angekündigt, im Januar ein Mandat im Zentralamerikanischen Parlament anzutreten.

Das Privilleg der Staatschefs im PARLACEN ist also tatsächlich höchst fragwürdig. Außerdem wird das Parlament als zahnloser Tiger belächelt, weil das Plenum keine verbindlichen Gesetze verabschieden kann. Aufgrund dieser Kritik wird der Wunsch laut, das Parlament zu reformieren, nicht nur von außen, sondern auch aus den Reihen der Abgeordneten heraus. Die Drohung des gewählten guatemaltekischen Präsidenten Giamattei, das PARLACEN entweder zu reformieren, oder Guatemala aus der Institution zurückzuziehen, wurde wohl gehört.

Ich persönlich denke, viel Kritik an der Institution ist durchaus gerechtfertigt, insbesondere was die angesprochene fragwürdige Rolle der Expräsidenten im Plenum angeht. Trotzdem ist es glaube ich sinnvoll, eine demokratische Repräsentation zu haben, die sich der Integration Zentralamerikas verpflichtet, auch wenn die Institution in der jetzigen Form nicht optimal funktioniert. Die Staaten Mittelamerikas sind so klein, dass sie wohl gar keine andere Chance haben, als zu versuchen auf der Weltbühne geschlossen aufzutreten, um nicht weiter als Bananenrepubliken, Drogentransitrouten oder Nester der Korruption abgetan zu werden. Ob das Zentralamerikanische Parlament reformiert werden und in Zukunft so eine Einigung besser vorantreiben kann bleibt fraglich, aber zumindest wäre es einen Versuch wert.

Interessante Persönlichkeiten habe ich hier im PARLACEN allemal kennen gelernt. Zum Beispiel Dr. Alejandro Bravo, der als Secretario de Asuntos Parlamentarios die höchste Position auf der Arbeitsebene des Parlaments bekleidet. Bei einem Feierabendbier hatte er mich gefragt, ob wir gemeinsam ein Video drehen könnten, in dem er ein Gedicht vorträgt, er sei nämlich auch Poet. Daraus ist ein 9-minütiger Film geworden, in dem Bravo zwei Gedichte vorträgt und aus seinem durchaus bewegten Leben als Autor, Jurist und Oppositioneller im Kampf gegen die Diktatur Anastasio Somozas in Nicaragua erzählt.
Freundlicherweise hat er außerdem erlaubt, den Film im WWU-Auslandsblog zu veröffentlichen. Zum besseren Verständnis habe ich deutsche Untertitel verfasst, wobei ich mir natürlich nicht anmaße, qualifizierter Übersetzer für spanischsprachige Lyrik zu sein; die Übersetzungen habe ich deshalb versucht, so wörtlich wie möglich zu halten, ohne Form oder Stilmittel im Deutschen nachzuempfinden:

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