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Neues aus Natal: Praktikum in einer brasilianischen Anwaltskanzlei

Bom dia! Ich melde mich zurück aus Natal. Heute werde ich euch von meinen Praktikumserfahrungen in einer brasilianischen Anwaltskanzlei berichten. Denn seit Januar arbeite ich hier im Nordosten Brasiliens für einen brasilianischen Rechtsanwalt, der sich insbesondere auf Internationales Steuer- und Gesellschaftsrecht spezialisiert hat.

Während hier vor Ort in der Kanzlei alles geregelt abläuft und getreu dem jeitinho brasileiro für jede unvorhergesehene Situation eine schnelle, passende Lösung gefunden wird, war die Planung für das Praktikum im Voraus ziemlich nervenaufreibend. Das lag allerdings nicht an meinem Praktikumsgeber, sondern vielmehr an den brasilianischen Behörden. Denn Brasilien hatte im letzten Jahr bereits ein neues Einwanderungsgesetz erlassen, ohne dabei den brasilianischen Konsulaten im Ausland die neuen Voraussetzungen für Visaanträge mitzuteilen. Das brasilianische Generalkonsulat in Frankfurt entschied sich daher kurzerhand dazu, keine Anträge mehr bis zum Erhalt der neuen Visavoraussetzungen zu bearbeiten. Dies führte dazu, dass ich mein Visum für einen Praktikumsaufenthalt in Brasilien von mehr als 90 Tagen nicht rechtzeitig vor Abflug erhielt und meinen Flug daher für teures Geld umbuchen musste. Das Visum hatte ich letztlich dann auch nur aufgrund einer „Ausnahme“ bekommen, die neuen Voraussetzungen lagen den Behörden bis zu jenem Zeitpunkt immer noch nicht vor.

Derartige unerwartete Ereignisse und die Tatsache, dass so ein Visumsantrag doch schon bürokratischen Aufwand mit sich bringt, sollte man auf jeden Fall im Hinterkopf behalten, wenn man einen mehrmonatigen Brasilien-Aufenthalt plant. Denn immerhin kann man in Brasilien als deutscher Staatsangehöriger problemlos 90 Tage ohne Visum verbringen. Genauere Informationen dazu gibt es aber auch auf den Webseiten der brasilianischen Konsulate in Deutschland.

Als ich nach dieser unerfreulichen Erfahrung nun aber im Januar endlich in Natal ankam, gewöhnte ich mich schnell an den brasilianischen Arbeitsalltag. Ein normaler Bürotag in meiner Kanzlei dauert acht Arbeitsstunden und in der Mittagspause gehe ich meistens mit einem der Arbeitskollegen oder Praktikanten meines Alters in der Büro-Nähe essen. Obwohl sich die Kanzlei in Petrópolis, einem der vornehmsten Viertel Natals, befindet, gibt es ein paar gute Restaurants, in denen man hausgemachtes Essen und einen Saft für umgerechnet maximal 4 Euro erhält. Es ist aber auch durchaus üblich, dass man selbstgemachtes Essen von zu Hause mitbringt und in der Küche im Büro warm macht.
Von der Arbeit an sich war ich positiv überrascht. Mein Chef, ein Zivil- und Verfassungsrechtler und Partner der Kanzlei, kümmerte sich von Beginn an vorbildlich um mich und bemüht sich stets darum, dass ich die Fälle, die er mir zur Bearbeitung gibt, vollständig begreife. Die komplexen Sachverhalte zu verstehen, gelang mir am Anfang nämlich nicht allzu schnell, da ich zwar ein gutes Niveau in der portugiesischen Sprache hatte, einige juristische Fachbegriffe aber noch nicht kannte. Und insbesondere der Dialekt im brasilianischen Nordosten machte mir in den ersten Wochen selbst in alltäglichen Unterhaltungen oft zu schaffen. Ich wurde zwar von vielen brasilianischen Freunden aus dem Südosten des Landes diesbezüglich vorgewarnt. Dass sich Unterhaltungen mit manchen Einheimischen allerdings so schwierig gestalten würden, hatte ich nicht für möglich gehalten.

Das Verständnis verbesserte sich aber mit der Zeit deutlich, sodass ich im Büroalltag inzwischen keine Probleme mehr damit habe. Das liegt nicht zuletzt daran, dass mein Chef mir als erste Praktikumsaufgabe das Schreiben einer Petition auftrug und ich dafür eine Akte mit vergangenen Gerichtsentscheidungen in derselben Sache zum Lesen erhielt. Ich fertigte mir daraufhin eine Vokabelliste mit den in den Entscheidungen verwendeten juristischen Fachbegriffen an, die ich nach und nach um Wörter erweiterte, die ich bei der Arbeit aufschnappte und die mir bis dato unbekannt waren.

Inzwischen sieht ein normaler Arbeitsalltag so aus, dass mein Chef mir einen Vertrag zur Korrektur aufgibt, ich selbst einen Vertrag anfertigen muss (im Regelfall einen Gesellschaftsvertrag) oder ich schlichtweg eine rechtsvergleichende Untersuchung durchführen soll und dabei Lösungsansätze des deutschen bzw. brasilianischen Rechts für bestimmte Gesellschafts- oder Steuerrechtsfragen gegenüberstellen muss.

Da ein Partner der Kanzlei außerdem Professor ist, habe ich neben dem Büroalltag auch die Chance, Vorlesungen im brasilianischen Familienrecht sowie im brasilianischen Steuerrecht an der Universidade Federal do Rio Grande do Norte zu besuchen. Anfangs konnte ich dort auch jeweils einen Vortrag über das deutsche Recht halten, wobei mir insbesondere die Neugier vieler brasilianischer Studenten im Bezug auf das deutsche Rechtssystem auffiel. Das dürfte daran liegen, dass Deutschland in Brasilien ein Image als besonders entwickeltes und aufgeklärtes Land genießt.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass meine anfänglichen Befürchtungen, eventuell gar nicht in der Kanzlei „gebraucht“ zu werden, sich nicht bestätigt haben. Aufgrund des überragenden Interesses am deutschen Rechtssystem und wegen der Hilfsbereitschaft meiner Kollegen habe ich mich schnell wohl gefühlt und in kurzer Zeit viel gelernt. Dieses Wissen hat mir wiederum geholfen, Vertrauen aufzubauen und neue Projekte in die Hand zu nehmen, wodurch sich der Aufenthalt sehr abwechslungs- und lehrreich gestaltet.

 

Leon

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