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Mein Praktikum am Holy Family Hospital in Nkawkaw, Ghana

Akwaaba! Im Rahmen meines Medizinstudiums habe ich ein sechswöchiges Praktikum im Holy Family Hospital in Nkawkaw in Ghana absolviert und möchte gerne meine Erfahrungen mit euch teilen.

Mein Praktikum habe ich über die Organisation “You4Ghana” organisiert. Diese wird geleitet durch Torben, der vor einigen Jahren dauerhaft nach Ghana gezogen ist. Er übernimmt vor Beginn des Praktikums die Kommunikation mit dem Krankenhaus und stellt den Freiwilligen Unterkünfte und Verpflegung zur Verfügung. Die Organisation lief reibungslos (was für ghanaische Verhältnisse fast ein Wunder ist!) und ich hatte durch ihn die ganze Zeit einen guten Ansprechpartner vor Ort. Das Schöne ist außerdem, dass meist zeitgleich viele andere Freiwillige vor Ort sind, die sich an verschiedensten Projekten von You4Ghana beteiligen. Neben Praktika in Krankenhäusern der Umgebung bietet sich nämlich auch die Möglichkeit, im Jugendzentrum auszuhelfen oder als Lehramtsstudent an einer Schule zu unterrichten. Ich habe unglaublich viele neue Freunde gefunden und bin super dankbar für die Zeit dort.

Das Krankenhaus und die Ärzte

Das Holy Family Hospital befindet sich im Herzen von Nkawkaw, einer Ortschaft mit etwa 50.000 Einwohnern in der Eastern Region Ghanas. In der Region ist es mit folgenden Departments das größte Krankenhaus:

  • Female and male ward (eine internistische Station jeweils für die Männer und die Frauen)
  • General Surgery (Allgemeinchirurgie)
  • Obstetrics and gynaecology (Geburtshilfe und Frauenheilkunde)
  • Pediatric ward and NICU (Kinderheilkunde und Neugeborenen-Intensivstation)
  • Ophthalmology (Augenheilkunde)
  • ENT (Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde)
  • Emergency Room (Notaufnahme)

In Ghana gibt es keine niedergelassenen Ärzte, sodass die Patienten in der Notaufnahme oder dem “OPD”, dem Outer Patient Department, vorstellig werden. Dort wird dann entschieden, ob sie aufgenommen werden oder nicht.

Im Rahmen meines Praktikums war mir freigestellt, in welche Departments ich rotieren möchte. Ich verbrachte daher insgesamt 3 Wochen auf der Kinderstation und der NICU, 1 Woche auf der Gynäkologie, 1 Woche in der Notaufnahme und 1 Woche in der Chirurgie.

Im Gegensatz zu einigen Krankenhäusern in den größeren Städten (z.B. Accra und Kumasi), ist das Holy Family Hospital kein Lehrkrankenhaus. Daher arbeiten hier auch nur sehr wenige Fachärzte – nämlich gerade einmal fünf: zwei Gynäkologen, zwei Chirurgen und ein Kinderarzt. Einen fertigen Internisten gibt es nicht.
Nun, wie werden die Patienten dann betreut? Nach Abschluss des Medizinstudiums müssen die Ärzte für ein Jahr als “House Officer” arbeiten und rotieren etwa alle 3 Monate auf eine neue Station. Betreut und überwacht werden sie bei ihrer Arbeit von den “Medical Officers”. Diese befinden sich noch nicht in ihrer Facharztausbildung, sondern rotieren ebenfalls für 3 Jahre durch verschiedene Stationen des Krankenhauses, bevor sie die Facharztausbildung ihrer Wahl beginnen können. Im Idealfall gibt es dann auch noch Fachärzte für jede Station… in der Realität herrscht hier aber ein extremer Mangel. Die internistische Station beispielsweise wurde von einem House Officer betreut, der gerade frisch das Medizinstudium beendet hatte. Obwohl er nach bestem Wissen und Gewissen handelte, vertraute er mir an, oft mit den Fällen überfordert zu sein und sich einen qualifizierten Ansprechpartner zu wünschen.

Krankenversicherung in Ghana

In Ghana existiert eine gesetzliche Krankenversicherung, die auch für die meisten Menschen zugänglich ist. Die Kosten betragen ca. 5 EUR (30 Cedi) pro Jahr und damit ist sie für den Großteil der Patienten bezahlbar. Allerdings werden nicht alle Medikamente und Behandlungen übernommen. Meist sind nur “Basismedikamente” inbegriffen, so werden schwache Schmerzmittel wie Paracetamol bezahlt, bei stärkeren Schmerzen müssen die Patienten aber oft selbst die Kosten für die Schmerzmittel tragen. Auch bei Antibiotika gilt das gleiche Prinzip: Standard-Antibiotika werden übernommen, sobald aber eine Resistenz bei einem Erreger vorliegt, die den Einsatz eines Reserve-Antibiotikums erfordert, werden die Kosten meist nicht mehr getragen.
Basis-Vorsorge-Untersuchungen während der Schwangerschaft werden in der Regel auch von der Krankenversicherung übernommen.

Positiv überrascht war ich außerdem vom Umgang mit Infektionskrankheiten wie HIV. HIV-Infizierte beispielsweise erhalten die sehr teuren antiviralen Medikamente kostenlos. Auch einige Impfungen im Säuglings-Alter sind kostenlos, sodass zum Beispiel Polio und Diphtherie auch hier kein Thema mehr sind.

Meine Erfahrungen

Ich bin unglaublich dankbar dafür, einen Einblick in den Krankenhausalltag bekommen zu haben und habe viel gelernt, insbesondere über tropenmedizinische Krankheitsbilder, die einem in Deutschland nur selten begegnen. Ich würde gerne sagen, das Praktikum habe mir Spaß gemacht, aber Spaß ist hier wohl das falsche Wort. Es macht keinen “Spaß”, die inadäquate Versorgung der Patienten zu sehen, die meist bedingt ist durch fehlende finanzielle Mittel, fehlende diagnostische Möglichkeiten und fehlende Expertise durch den Fachärzte-Mangel. Es macht keinen “Spaß”, Kinder an Erkrankungen sterben zu sehen, die so einfach hätten vermieden werden können. Es macht keinen “Spaß” zu sehen, dass der Tod täglicher Begleiter ist und beinahe gleichgültig hingenommen wird – denn man kennt es dort nicht anders.
Anstatt euch einen klassischen Arbeitstag im Krankenhaus zu schildern oder weitere Infos über das Gesundheitssystem in Ghana zu geben, möchte ich daher gerne einige Fälle mit euch teilen, die mich sehr berührt haben und hoffentlich einen realistischen Eindruck davon vermitteln, wie die Gesundheitsversorgung in Ghana funktioniert.

Wie Geld über das Leben von Kindern entscheidet

Die Kinderheilkunde des Holy Family Hospitals zu betreten ist ein komisches Gefühl. In einem dunklen und stickigen Raum liegen bis zu 20 Kinder in rostigen Gitterbetten nebeneinander. Wenn eines der Kinder schreit, schreien alle. Es ist unruhig und warm, es riecht oft unangenehm nach Stuhl und manchmal auch nach Erbrochenem. Die Mütter sitzen auf Plastikstühlen neben den Bettchen, meist Tag und Nacht. Sie schauen einen oft mit leerem und müdem Blick an, ein Lächeln ist ihnen oft nur schwer abzugewinnen, meist sind sie zu erschöpft. Wir stehen vor einem Bett mit einem kleinen Jungen, der sich unruhig die Haut aufkratzt. “Wir” sind die anderen deutschen Medizinstudenten, der für die Station zuständige House Officer und Dr. Danso, der einzige Kinderarzt des Krankenhauses. Mittwochs ist immer Lehrvisite auf der Pädiatrie und ich bin beeindruckt von Dr. Danso’s Expertise, Leidenschaft und Sorge um seine kleinen Patienten. Nicht selten sagt er Dinge wie “I know that in Germany you would do this, but here we do not have the medications / diagnostics / capacities, so this is our alternative and all we can do“. Aber heute soll es um ein Krankheitsbild gehen, das mir in Deutschland wohl nie begegnen wird: Mangel- und Unterernährung bei Kindern.
Der kleine 15 Monate alte Junge guckt mich also mit seinen riesigen eingefallenen Augen an und ich muss kurz schlucken, während Dr. Danso erklärt, dass dieses Kind dem Tod ganz nah ist. Durch die Mangelernährung haben sich Ödeme gebildet, daher sind die Hände und Füße des Jungen ganz geschwollen. Die Haut ist fleckig und löst sich ab, ein Hinweis auf Kwashiorkor, einen extremen Proteinmangel. Es wird besprochen, wie dieser Junge aufzupeppeln ist. Er soll eine proteinreiche Ernährung bekommen, dazu gibt es Päckchen mit einem Erdnussbutter-Gemisch, die Dr. Danso durch Spenden für die Station kaufen konnte. Dank eines Spendenpools für die Pädiatrie kann Dr. Danso in der Regel lebensnotwendige Medikamente für Familien bezahlen, die sich die Therapie nicht leisten können. Was in Krankenhäusern ohne diese Unterstützung passiert? – Ich möchte gar nicht darüber nachdenken.

Ich blicke auf den Plastikstuhl neben dem Bettchen. Die Mutter des Jungen hat ebenfalls eingefallene Augen und Wangen und ist dazu auch noch schwanger.
Dr. Danso muss meinen erstaunten Blick gesehen haben, denn er spricht das aus, was mir in dem Moment durch den Kopf geht: Ja, wir können dieses Kind vielleicht retten und es so weit ernähren, dass es wieder lebensfähig ist. Aber es wird nach Hause gehen zurück zu einer Familie, die nicht genug Geld hat, um langfristig eine ausreichende und ausgewogene Ernährung für ihr Kind zur Verfügung zu stellen. Und es wird ein Geschwisterkind bekommen, das in einigen Monaten ebenfalls mit dem gleichen Problem bei uns im Krankenhaus landen wird.  
Alle Beteiligten werfen sich etwas hilflose Blicke zu. Es gibt keinen Erreger, der einfach durch Antibiotika beseitigt werden kann. Es ist kein gebrochener Arm, der wieder ausheilt. Das Schicksal dieses Kindes wird nicht ausgesprochen, aber ist allen bekannt.
Heute gehe ich mit einem überwältigenden Gefühl von Weltschmerz nach Hause. Ob ich zu naiv war? Ich habe doch Bilder von hungernden Kindern im Internet gesehen und wusste, dass es mir hier in Ghana begegnen würde. Aber es mit eigenen Augen zu sehen, fühlt sich doch anders an.

Weiter geht es auf die Neugeborenen-“Intensivstation”.  Von einer richtigen Intensivstation ist diese noch weit entfernt, aber immerhin gibt es ein paar hochwertige Inkubatoren und Monitore zur Überwachung der Babys. Alle versammeln sich vor dem Bett eines kleinen Säuglings, der unter der Geburt einen extremen Sauerstoffmangel erlitten hatte und weiterhin auf eine Sauerstofftherapie angewiesen ist. Die Mutter könne sich diese aber nicht mehr leisten und habe Dr. Danso gebeten, ihr Kind zu entlassen.
Dass Geld hier über das Leben der Säuglinge entscheidet, ist keine Seltenheit. Wenn ein Neugeborenes im Verlauf der Behandlung wiederbelebt werden muss, werden die Eltern gefragt, ob sie die auf sie zukommenden Kosten tragen können oder die Reanimation gestoppt werden soll. Nicht selten wird die Reanimation dann beendet.
Zu meiner Erleichterung höre ich aber, dass Dr. Danso die Sauerstofftherapie für dieses Kind nur auf dem Papier beenden wird. Das Leben dieses Kindes stehe über den finanziellen Sorgen der Mutter.

Das Gefühl der Hilflosigkeit ist eines, das mich die ganzen sechs Wochen in Ghana begleiten wird. Die Ärzte hier sind meist gut ausgebildet und wissen was zu tun ist. Doch es mangelt an medizinischen Geräten, Möglichkeiten der Überwachung und Medikamenten. Daher muss oft improvisiert werden – in Deutschland undenkbar.

Herzinfarkt und Schlaganfall – wo Medizin in Ghana an ihre Grenzen stößt

Die Notaufnahme des Holy Family Hospitals ist auf den ersten Blick sehr unübersichtlich. Ein riesiger Raum mit etwa 15 bis 20 Betten, Angestellte und Angehörige wuseln durch die Gegend und über das Radio läuft eine Art Kirchen-Musik. Die Ärzte unterhalten sich aus Respekt den Patienten gegenüber sehr leise und ich versuche angestrengt, ihnen zu folgen.
Wir gehen zu dem Bett einer Patientin ganz hinten in der Ecke, ich schätze sie auf etwa 60 Jahre. Ihr linker Mundwinkel und ihr linkes Augenlid hängen schwach herab, bei der Untersuchung merke ich, dass sie ihre linke Körperhälfte nicht mehr bewegen kann. Ein klassischer Schlaganfall wie aus dem Lehrbuch. In Deutschland würde ein klarer Algorithmus folgen: Man würde ein CT-Bild vom Kopf machen und – sobald eine Blutung ausgeschlossen ist – ein Medikament geben, das das Blutgerinnsel im Gehirn auflösen soll. Zusätzlich könnte man mit einem Zugang über die Leiste und einem langen Draht das Blutgerinnsel direkt entfernen.
Langsam dämmert mir jedoch, dass dieses Krankenhaus kein CT-Gerät hat. Lediglich zwei alte Röntgenmaschinen gibt es, die sind aber zur Zeit kaputt und würden hier auch nicht weiterhelfen.
Der Arzt erklärt mir, dass das nächste CT-Gerät zwei Stunden entfernt ist. Und selbst wenn die Patientin diesen Weg auf sich nehmen würde, könne man ihr das notwendige Medikament nicht geben, da es in Ghana nicht verfügbar ist. Das Vorgehen in Deutschland kennt er und scheint selbst etwas frustriert über die Situation. Ein Schlaganfall ist hier also ein Schicksalsschlag und leider in einem kleineren Krankenhaus wie diesem nicht therapierbar. Das gleiche Problem besteht bei Patienten, die einen Herzinfarkt haben. Das Medikament, das das Blutgerinnsel in den Herzkranzgefäßen auflösen könnte, ist hier nicht verfügbar. Auch eine Katheter-Untersuchung und das Einsetzen von Stents ist nur in einzelnen ausgewählten Privat-Kliniken möglich und für den Durchschnitts-Ghanaer nicht bezahlbar. Neben Schmerzmedikamenten erhalten diese Patienten also lediglich zwei Blutverdünner, mit denen sie wieder nach Hause geschickt werden.

Wie Kultur und Tradition den Ärzten das Leben erschwert

Es ist wieder Lehrvisite auf der Pädiatrie, dieses Mal stehen wir vor einem kleinen Jungen, der angestrengt atmet. Jede Ausatmung ist von einem brummenden Geräusch begleitet und man sieht, dass er all seine Muskulatur nutzen muss, um Luft in seine Lungen zu bekommen.
In meinem Kopf gehe ich mein Wissen zu Pneumologie (Lungenheilkunde) durch – Asthma, Bronchitis, Lungenentzündung vielleicht? Ich bin etwas überrascht, als der Arzt mir sagt dieses Kind habe eine “chemische Pneumonie”, also eine “chemische Lungenentzündung”. Keine Seltenheit in Ghana. Gerade in den ärmeren Dörfern gehen die Eltern vor einem teuren Arztbesuch lieber zu einem “Heiler”, der mit traditionellen Mitteln versucht, den Kindern zu helfen. Eines dieser Mittel ist die Sheabutter, der viele heilende Kräfte nachgesagt werden. Zusammen mit Blättern der Kusia (auf schlau: Nauclea didderrichii) soll sie Malaria, Bauchschmerzen, Blutarmut, Masern, Gelbsucht und sogar Gonorrhoe heilen können. Es ist also wohl kaum überraschend, dass auch eine einfache Erkältung zunächst mit Shea-Butter therapiert wird. Dazu wird diese mit diversen Blättern und Kräutern in die Nase gerieben. Was Erwachsene meist gut verkraften, ist für die kindlichen Atemwege reizend und führt nicht selten dazu, dass diese sich verengen. Im schlimmsten Fall führt es zu einer ausgiebigen Entzündung der Lunge und die Kinder werden schwer krank, wie auch in diesem Fall. Während dieses Kind gut therapiert und wieder nach Hause geschickt werden konnte, verlief es für ein anderes tragischer. Die Eltern hatten hier bei Durchfall ein Sheabutter-Kräuter-Gemisch rektal eingeführt und das Kind ist anschließend an einer Blutvergiftung verstorben.

 

Mein Fazit

In den letzten sechs Wochen habe ich unglaublich viel von den Ärzten in Ghana gelernt – nicht nur über in Deutschland seltene Tropenerkrankungen, sondern auch über die Kultur und soziale Situation vieler Ghanaer. Das Praktikum im Krankenhaus hat mir einen besonders tiefen und intimen Einblick in das Leben der Einheimischen erlaubt.
Die ghanaischen Ärzte sind oft gut ausgebildet und handeln nach bestem Wissen und Gewissen – im Rahmen ihrer Möglichkeiten.
Mir ist bewusst geworden, wie privilegiert wir mit dem deutschen Gesundheitssystem sind. Wir können uns glücklich schätzen, dass Geld bei der medizinischen Versorgung für die Patienten hier kaum eine Rolle spielt.
Das Praktikum hat in mir ein Gefühl von Weltschmerz hinterlassen, wie ich es vorher nicht erwartet hatte. Ich habe dort Erfahrungen fürs Leben gesammelt, die ich nie wieder vergessen werde.
Meda w’ase an all die fleißigen und tapferen Ärzte und Pfleger des Holy Family Hospitals.

 

 

Marie

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