Seit einigen Wochen bin ich nun in Argentinien. Während ich zunächst glücklicherweise die Zeit hatte, das Land zu bereisen, habe ich mir inzwischen einen Alltag in Buenos Aires aufgebaut. Hier verbringe ich einige Wochen meines universitären Pflichtpraktikums bei der Menschenrechtsorganisation CELS.
Das lateinamerikanische Land hat mich mit einer Wucht an neuen Eindrücken empfangen. Während ich einen Großteil Südamerikas und einige Länder Mittelamerikas bereits als Reisende kennenlernen durfte, bin ich froh, nun auch Teil des alltäglichen Geschehens dieser anderen Welt zu sein.
Eine erste Herausforderung für meine deutsche Denkweise bereitete mir die Wohnungssuche in Buenos Aires. In einer Millionenstadt ist es sicherlich nie einfach eine geeignete und vor allem auch arbeitsnahe, Unterkunft zu finden. Schwieriger wird dies noch, wenn man die Wohnungssuche einige Wochen oder gar zwei Monate vor dem gewünschten Einzugsdatum beginnt. Die Uhren ticken hier einfach ein bisschen anders. So wurde ich immer wieder hingehalten und gar für verrückt erklärt, dass ich meine Suche so weit im Voraus plante, denn hier sucht man seine neue Unterkunft maximal eine Woche im Voraus (und das ist schon viel). Mit meinem Drang zur Vorausplanung hat sich dies nicht gedeckt. Letztlich wurde ich dann aber doch, wie alle Einheimischen auch, im letzten Moment fündig. Eine tolle, große Wohnung, welche ich mir mit meiner Vermieterin, zwei weiteren Studentinnen und einer Katze teile, darf ich nun die nächsten Wochen mein Zuhause nennen. Und bis hierhin fühle ich mich pudelwohl.
Dieses Wohlbefinden bezieht sich jedoch nicht immer auf alle Lebenslagen in meinem neugewonnen argentinischen Alltag. So manche Kuriositäten bereiten mir bis heute Kopfschütteln und bringen meinen deutschen Sinn für Ordnung und Pünktlichkeit an seine Grenzen. Einige dieser Besonderheiten möchte ich im Folgenden gerne ausführen.
Auf meinem täglichen Weg zu und von der Arbeit bin ich dazu gezwungen, die Metro zu nutzen. Bis hierhin ist es erst einmal lobens- und nennenswert, dass Buenos Aires über ein U-Bahn-System verfügt und sich darunter auch die erste Linie Südamerikas befindet. Jedoch ist dieses System leider nicht für den Andrang der hier ansässigen rund drei Millionen Menschen ausgelegt. Bei einer Fahrt mit der Bahn muss man sich auf viel Körperkontakt und Gedränge einstellen. Und wenn man tatsächlich auch seinen Platz in einem Waggon finden möchte, bleibt einem letztlich nichts anderes übrig, als sich dem Geschehen anzupassen und die Ellbogen auszupacken. So viel Freundlichkeit die Argentinier einem sonst auch entgegenbringen und so oft sich die Männer hier als Gentlemen beweisen, bei einer Fahrt mit der Metro ist all dies vergessen. So kam es auch schon öfters vor, dass ich Augenzeugin von verbalen als auch physischen Auseinandersetzungen wurde.
Eine weitere alltägliche Umgewöhnung ergibt sich für mich bei meinem wöchentlichen Besuch im Supermarkt. Während das Angebot äußerst groß ist und man viele gewöhnliche Produkte erhält, bleibt einem bei den Preisen hier der Atem so manches Mal stehen. Ein kleines Brot kostet knapp 4 Euro, 1 Liter Limonade 1,50 Euro, eine kleine Portion Käse ist ebenfalls um ein Vielfaches unserer deutschen Preise teurer. Mir war die steigende Inflation Argentiniens bereits vor meiner Anreise bewusst und auch, dass ich mich auf hohe Preise einstellen muss, was ich hier jedoch erlebe, hat meine Vorstellungen überstiegen. Nicht zuletzt wenn ich daran denke, dass ein durchschnittlicher Mensch in Argentinien umgerechnet rund 4 Euro in der Stunde verdient.
Neben diesem „Preisschock“ erwartet einen eine weitere Kuriosität im argentinischen Supermarkt. Während wir es in Deutschland gewohnt sind mit der Kassiererin/ dem Kassierer ein Rennen zu bestreiten, wer schneller ist – sie/er beim Abscannen oder wir Käufer/innen beim Einpacken der Ware – läuft die argentinische Uhr um einiges langsamer. Man verbringt gerne mal eine Stunde an der Kasse, weil sich die Kassiererinnen/ der Kassierer nicht scheut auch bei einer langen Schlange zwischendurch ihr/sein Handy zu benutzen, gemütlich ein Schwätzchen zu halten oder einfach mal kurz ohne ein Wort zu sagen von ihrem/seinen Arbeitsplatz verschwindet. Auch hier findet die sonst so verbreitete Freundlichkeit ihre Grenzen.
All diese Gelassenheit spiegelt sich auch im argentinischen Nationalgetränk wieder – Mate. Es handelt sich hierbei um ein Aufgussgetränk, welches mit vielen verschiedenen getrockneten Kräutern zubereitet wird und nie fehlen darf. Auch nicht bei einem Supermarktbesuch. Dies dürfte wohl auch ein Erklärungsversuch darstellen, weshalb die Argentinier immer so ruhig und unberührt bleiben, egal wie lange man in irgendeiner Schlange steht.
Eine weitere witzige Kuriosität, die mich hier immer wieder des Neuen aufsucht, bezieht sich auf den Fußball. Bis heute ist den Argentiniern natürlich das Weltmeisterschaftsfinale 2014 im Kopf geblieben. Es stellt für diese jedoch natürlich keine freudige Erinnerung dar (Deutschland hat Argentinien damals nach Verlängerung 1:0 besiegt). Wenn ich im Gespräch meine Nationalität preisgebe, bekomme ich dann in aller Regel dieselbe Antwort: „Wir können uns über alles unterhalten, aber nicht über Fußball, sonst muss ich weinen!“. So findet das Gespräch aber schnell einen humorvollen Einstieg und man kann Sympathien sammeln, wenn man ihnen versichert, dass es bereits in diesem Jahr ganz anders enden kann.
Neben diesem Alltag, der sich größtenteils auf Buenos Aires bezieht, hatte ich die Möglichkeit, den Süden Argentiniens zu bereisen. Die Region Patagonien hat mich verzaubert. Man lernt unendliche Landschaften, Tiere, die es so nicht in Europa gibt und ein ländlich geprägtes Leben, kennen. Diese Region stellt für mich ein positives Kontrastprogramm zum hektischen Großstadtalltag dar. Um in Patagonien von einer Stadt/ einem Ort zur/m nächsten zu reisen, benötigt man Stunden. Und auch wenn man sich in einer Stadt befindet, ist die Natur nie fern – man riecht sie, spürt sie und man hat in aller Regel auch die Möglichkeit, Berge zu sehen. Letztbenanntes fehlt mir in der Metropole Buenos Aires, in deren Großraum rund 15 Millionen Menschen leben, sehr – von Natur gibt es hier keine Spur, man hat hier nicht die Möglichkeit „mal eben“ für einen Spaziergang im Grünen das Haus zu verlassen.
Im Großen und Ganzen lassen sich die benannten und die auch vielen weiteren Besonderheiten sicherlich als positive und interessante neue Eindrücke zusammenfassen. Letztlich fühlt man sich von den Argentiniern willkommen geheißen. Sicherlich darf man trotz aller Freundlichkeit nicht jedem trauen und sollte auf der Straße immer ein Auge auf seine Umgebung werfen und vor allem die eigene Tasche fest in der Hand behalten. Denn letztlich befinde ich mich hier in einem Land, in dem das alltägliche Leben eine (finanzielle) Herausforderung darstellt, in dem Armut und Drogen zum Alltag gehören und in dem eine politische und wirtschaftliche Unzufriedenheit den Alltag begleiten. All diese Probleme und vor allem auch die autoritäre Vergangenheit des Landes, lassen die Menschen jedoch stark erscheinen. Hier wird gesagt, was man denkt, die Leute treten selbstbewusst auf, gehen auf die Straßen zum Protest und erheben ihre Stimmen. All dies bestärkt meine Bewunderung für diese Menschen und lassen auch mir Selbstbewusstsein zukommen und umso glücklicher bin ich auch, Teil dieses „Protests“ zu sein und für die bereits angesprochene Menschenrechtsorganisation CELS arbeiten zu dürfen. Über meinen Arbeitsalltag beim Centro de Estudios Legales y Sociales werde ich dann in einem weiteren Beitrag ausführlich berichten.
Hola Jennifer,
vielen Dank für diesen kleinen Einblick in das alltägliche Leben der Menschen in Buenos Aires. Es ist für mich um so mehr von Interesse, da ich in einigen Monaten selbst in Argentinien und natürlich auch in der Hauptstadt unterwegs sein werde. Es ist somit ein kleiner Vorgeschmack auf das was mich erwarten könnte.
Viele liebe Grüße aus dem verregneten und nasskalten Münster sendet Dir
Thomas