Jetzt bin ich also angekommen. In Lissabon. A cidade das sete colinas – die Stadt der sieben Hügel. Ganz ehrlich: Ich glaube, es gibt hier deutlich mehr als sieben Hügel, aber wahrscheinlich fühlt sich das bei Erkundungsgängen und Busfahrten nur nach mehr an und ich will den Lisboetas diese Verbindung zur ewigen Stadt auch gar nicht absprechen.
Mein Name ist Andreas und ich studiere Chemie im dritten Mastersemester. Bis Weihnachten absolviere ich hier ein Forschungspraktikum am Instituto Superior Técnico da Universidade de Lisboa. Nachdem ich jetzt gut zwei Wochen in Lissabon verbracht habe, möchte ich euch meine ersten Eindrücke schildern.
Untergekommen bin ich in einer 2-Personen-WG in Campo de Ourique. Anders als Bairro Alto, Bica, Baixa und die anderen Downtown-Viertel ist Campo de Ourique ein ruhiger Stadtteil ohne reges Nachtleben und mit nur wenig Touristen und Sehenswürdigkeiten, u.a. die Endhaltestelle der legendären Eléctrico 28 am Friedhof der Freuden und den Cemitério dos Prazeres selbst. Nur am Westrand, wo ich wohne, ist es nicht ganz so ruhig, da hier die Einflugschneise des Aeroporto de Lisboa liegt. Die Flugzeuge fliegen hier jedoch noch vergleichsweise hoch und nachts wird der Flugbetrieb eingestellt.
Campo de Ourique wird auch als Dorf in der Stadt bezeichnet und ist überwiegend von Einheimischen bewohnt. Wie überall in Lissabon gibt es hier zahlreiche Cafés, aber auch diverse Läden für alles mögliche. Angefangen mit den beiden Supermarktketten “Pingo Doce” und “Minipreço”, über die Kleinmarkthalle “Mercado de Campo de Ourique”, diverse Bäckereien (padaria) und Konditoreien (pastelaria), von denen natürlich jede die besten “Pastel de Nata” anpreist, bis hin zu Schuhgeschäften, Teppichläden, Beauty-Shops und Läden nur für Babykleidung ist alles vorhanden. Immer wieder trifft man kleine, kiosk-ähnliche Supermärkte und Obstläden (frutaria) an und es gibt viele Restaurants. Man sagt, wer es in Campo de Ourique zum Koch schafft, der schafft es überall in der Welt. Im Nordosten des Stadteils liegt das imposante Amoreiras Shopping Center. Auf einem der drei Türme befindet sich eine Aussichtsplattform, die einen 360° Blick über Lissabon erlaubt. Der Eintritt kostet jedoch 5 € und Lissabon bietet durch seine natürliche Beschaffenheit auch viele kostenlose Aussichten auf das Stadtpanorama. Die 5 € habe ich mir also fürs Erste gespart, zumal ich bereits einen wunderschönen Blick auf Lissabon von meinem Arbeitsplatz im obersten Stockwerk des Torre de Sul vom Técnico habe (siehe Titelbild).
Am schönsten ist Lissabon im Licht der auf- oder untergehenden Sonne. Deswegen am besten am Abend (oder für Frühaufsteher am Morgen) einen der vielen Aussichtspunkte (miradouro) ansteuern und mit einem Pastel de Nata in der Hand die Stadt bewundern. Das Stadtbild ist geprägt von vier- bis sechsstöckigen Häusern, die entweder bunt gestrichen oder mit Azulejos, den berühmten portugiesischen Kacheln, verziert sind. Die meisten Häuser sind alt und von jedem vierten Haus blättert bereits die Farbe ab. Zwischendurch sind auch immer wieder verlassene und halb verfallene Häuser anzutreffen. Aber genau das scheint den Charme dieser Stadt auszumachen. Eine europäische Hauptstadt, in der an manchen Orten mitten in der Stadt die Zeit still steht. Genauso plätschert abseits der Straßen in den vielen, über die Stadt verteilten, Gärten das Leben dahin. Hier lässt man sich nicht hetzen, sondern legt sich einfach in die Sonne, feiert Kindergeburtstage, oder spielt Karten.
Auf den Straßen geht es allerdings chaotisch zu. Insbesondere in der Rush Hour (morgens 8:00 – 9:00 und abends 18:00 – 19:00) sind selbst kleine Nebenstraßen häufig verstopft. Ein Grund dafür ist, dass die Portugiesen einfach in die Kreuzungen einfahren, auch wenn es vorne nicht weiter geht. Dadurch ist dann auch die Durchfahrt für die kreuzenden Straßen blockiert und der Verkehr staut sich bis zur nächsten Kreuzung, wo das gleiche Spiel von vorne beginnt. Auch werden die Vorfahrtsregeln teilweise sehr locker ausgelegt. Ein schuldbewusster Blick mit erhobener Hand besänftigt die Ausgebremsten aber meistens wieder. Gelegentlich bahnt sich das portugiesische Temperament aber auch in wilden Hupkonzerten seinen Weg. Die Straßenränder sind vielerorts so dicht zugeparkt, dass ein Überqueren der Straße kaum noch möglich ist. Auch Parken in der zweiten Reihe kommt gelegentlich vor. Wie die Portugiesen es dabei schaffen, wieder auszuparken, bleibt ihr Geheimnis. Fahrradfahrer sind hier nur selten anzutreffen, was an der hügeligen Beschaffenheit der Stadt und dem Nicht-Vorhandensein von Radwegen liegen dürfte. Sie werden hier durch Roller- und Mofafahrer ersetzt, die sich wild durch den Verkehr schlängeln. Für Fußgänger sind die Ampelfarben eher eine Empfehlung als ein Gebot zum Anhalten und Gehen. Wenn die Ampel grün ist, kann man gehen und abbiegende Autos müssen anhalten. Wenn die Ampel rot zeigt, kann man ebenfalls gehen, muss dann aber umgekehrt den Autos Vorfahrt gewähren.
Alle Portugiesen, die ich bisher hier kennengelernt habe, sind äußerst hilfsbereit und weltoffen. Von vielen Seiten habe ich bereits ausführliche Informationen darüber bekommen, was ich mir hier in Lissabon und Umgebung unbedingt angucken muss. Ich habe schon die Befürchtung, dass ich das alles in den drei Monaten, die ich hier bin, gar nicht schaffe. Aber auch bei Fragen des alltäglichen Bedarfs, wie z.B. den Ort des nächstgelegenen Supermarkts, wird einem gerne weitergeholfen. Wenn man den Portugiesen eine Freude machen will, versucht man sich in ihrer Landessprache auszudrücken. Generell sind die Portugiesen, oder zumindest die Lisboetas, entspannter als wir Deutschen. Wenn die Schlange an der Supermarktkasse auch noch so lang ist: Zeit für ein Pläuschchen mit der Kassiererin bleibt allemal. Und auch die Mittagspause wird bei einem Tässchen Kaffee gerne mal etwas ausgedehnt.
Vielleicht liegt diese innere Gelassenheit auch am guten Wetter. Obwohl sich der September jetzt dem Ende neigt, hat es hier tagsüber angenehme 22-26 °C bei einer leichten Meeresbrise. Nachts sinken die Temperaturen momentan nicht unter 15 °C. Auch wenn man hier tagsüber in kurzer Hose und T-Shirt herumlaufen kann, sollte man sich für die Morgen- und Abendstunden etwas Langarmiges mitnehmen. Denn sobald die Sonne verschwindet, frischt der Wind auf. Geregnet hat es seit meiner Ankunft nur einmal kurz, im November und Dezember soll es jedoch mehr Regentage geben. Ich bin mal darauf gespannt, wie kalt es hier im Winter wird, denn das Haus, in dem wir leben, hat wie die meisten Häuser keine Heizung.
Abschließend möchte ich noch ein paar Tipps zur Wohnungssuche in Lissabon geben (soweit ich das nach zwei Wochen Aufenthalt hier überhaupt kann). Wer gerne jeden Abend feiern gehen möchte, ist im Bairro Alto oder in Bica bestens aufgehoben. Hier ist es jedoch bis tief in die Nacht hinein laut, da sich das Nachtleben nicht in den Lokalen, sondern auf der Straße abspielt (wie auch aus den Berichten von Marius zu entnehmen ist). Zum Schlafen sollte man sich also Ohropax besorgen. Ebenfalls laut kann es in der Einflugschneise des Flughafens werden. Wo diese verläuft, kann einfach in Google Maps durch Verlängerung der Start- und Landebahn zur Ponte 25 de Abril in Erfahrung gebracht werden. Die Flugzeuge machen nämlich einen großen Bogen um Lissabon und setzen dann vom Meer aus zur Landung an. Der Hinflug bietet also wirklich die allerbeste Möglichkeit für einen Blick auf die gesamte Stadt. Kulturfans sind sicherlich in Belém, dem Kulturzentrum Lissabons, am besten aufgehoben. Dies liegt jedoch schon etwas außerhalb vom Stadtzentrum und gehört in der Aufteilung des öffentlichen Personennahverkehrs zu den sogenannten suburbanen Zonen. Mit den Stadtzügen ist man jedoch vom Bahnhof Belém aus in 5 min am Cais do Sodré, von wo aus man Anschluss ans U-Bahn-Netz hat. In Baixa, Alfama und Mouraria wohnt man in den Touristenvierteln, jedoch sollte es hier nachts etwas ruhiger zugehen als im Bairro Alto und in Bica. Noch ruhiger, aber immer noch zentral gelegen sind die etwas nördlicheren Viertel Saldanha, Alameda und Areeiro, sowie im Südwesten das Diplomatenviertel Lapa. In Campolide dürfte man schon wieder in der Einflugschneise wohnen und über Campo de Ourique habe ich euch ja bereits ausführlich informiert. Auf der Karte scheint letzteres zunächst ein wenig abgelegen, aber über die Buslinien 742 und 712 und die U-Bahn-Station Rato hat man eine gute Anbindung zum Rest der Stadt. Natürlich habe ich hier nur ein paar Viertel genannt und insbesondere die östlichen Viertel Oriente, Beato, Chelas, etc. komplett ausgelassen, weil ich dort noch überhaupt nicht war. Ich hoffe, ich konnte euch trotzdem ein wenig helfen, falls ihr gerade auf Wohnungssuche in Lissabon seid.
In meinem nächsten Post werde ich versuchen, das ÖPNV-System in Lissabon ein wenig zu erläutern. Wer bisher nämlich bequem und ohne großes Nachdenken mit dem Semesterticket unterwegs war, hat eventuell seine Schwierigkeiten den Tarifdschungel (und dann auch noch in einer Fremdsprache) zu durchblicken. Bis dahin alles Gute, Andreas.
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