Klischees von beiden Seiten

Besonders aktuell werden natürlich alle Fahnen gehisst, die sich auftreiben lassen.

Die ersten vier Schulwochen sind verflogen. Leider wären Fotos von der Schule einfach enttäuschend, die Zusammenstückelung von Betonklötzen und sandigen Spielplätzen, umrandet von einer hohen Hecke tragen weniger zum Charme der Schule bei, als die Menschen innendrin es tun.

Tatsächlich hat die Schule für uns Praktikantinnen ein breites Angebot (?) an vielfältigen Aufgaben bereitgehalten. Auch wenn die Tätigkeiten komplett von meinen vorherigen Erwartungen abweichen, kann ich doch nicht meckern. Während meines letzten Praktikums in einer Schule in Münster hatte ich das Gefühl, teils lästiger Ballast für die temporären Kollegen zu sein und gleichzeitig fehlte mir die Möglichkeit eigene Entscheidungen zu treffen und aktiv alltäglichen Unterricht zu gestalten. Zu meiner Überaschung übernehme ich nun selbstständig vielfältige Aufgaben, die mit viel Verantwortung einhergehen. Das beste daran: Es fühlt sich so realistisch an. Es ist wie ein kleiner Spiegel in eine mögliche Zukunft für mich. Im Förderunterricht bringe ich auf Spanisch „Quereinsteigern“ auf Niveau A1/A2 Deutsch bei. So trainiere ich selbst lockeres Reden auf Spanisch und wiederhole Grammatikgrundlagen. Zum Glück sind meine nicht vorhandenen Erfahrungen in Deutsch als Fremdsprache überhaupt kein Nachteil. Die KollegInnen aus der Fachschaft planen fest mit der Zuverlässigkeit und Eigeninitiative der PraktikantInnen. Vor drei Tagen fand ein Projekttag zum Tag der Deutschen Einheit statt, fragwürdigerweise „Deutschlandtag“ genannt. In der Vorbereitung konnte ich viele Ideen einbringen und war dann am Dienstag froh, dass die SchülerInnen erstaunlich motiviert waren. Leider klingt das jetzt so, als wäre ich schon sehr alt: Das „schwierige Alter“ ist manchmal wirklich sehr schwierig für alle Beteiligten. Zusammengefasst sollten sie sich am Vormittag über vielfältige Themen in Deutschland informieren, einen Rap schreiben und vor Videokameras inszenieren. Ab 12 Uhr dann Entspannung mit Brezeln und Würstchen, beinahe Oktoberfest-Stimmung. Bisher habe ich mitbekommen, dass die üblichen Klischees über Deutschland unter der Schülerschaft wirklich wie Tatsachen behandelt werden – ich versuche immer einzuschreiten und zu sagen: „Nein, nicht alle lieben das Oktoberfest und nein, es gibt keine Mauer mehr.“ Allerdings ist sowas kein Wunder, wenn das DaF-Lehrbuch mit „Grüß Gott, wie geht’s?“ beginnt.

Mit meinem Leben abseits der Schule bin ich glücklich, wenn ich den Fahrradweg von einer halben Stunde erstmal bewältigt habe… ist doch alles entspannt. Immer diese Verwöhnung in Münster! Dank meiner großen und internationalen WG gibt es immer Pläne und gute Gespräche. Allerdings hatte ich mir auch erhofft, an Sportangeboten der Uni in Sevilla oder Erasmusveranstaltungen teilzunehmen. Es scheint so, als wäre alles nur auf einen Erasmus-Student-Typ ausgelegt.

Für jeden, der sich nicht am von Studierenden gefüllten Strand wie am Ballermann mit Sangria betrinken will oder der nicht jeden Abend bei einem „legendären“ Bierpongturnier mit Nationalflagge erscheinen will, bietet das ESN Sevilla wenig. So wenig, dass die Website unter „sportliche und kulturelle Aktivitäten“ bisher nur gähnende Leere vorweisen kann. Schade! Allerdings ist Sevilla wirklich ein guter Ausgangspunkt um nach Cordoba, Cádiz, die Sierra Norte oder einfach an den Strand zu fahren. Besonders gut und günstig klappt das mit Blablacar oder Amovens.

Zum Beispiel war ich in Matalascanas, an sich ein furchtbar hässlicher Hotel-Ort, aber mit einem kleinen Spaziergang am Strand entlang ist man schnell allein und kann am sauberen, weiten Strand entspannen.

Was ich auf jeden Fall genieße, ist dieses unbeschwerte Gefühl und die gute Stimmung in den Straßen vom Stadtteil Macarena. Irgendwie surreal für mich, dass man im Oktober noch nachts darüber stöhnt, dass es so heiß ist.

Mittlerweile bin ich mir sicher, dass Sevilla kulturell noch viel mehr bietet als auf den ersten Blick sichtbar. So finden wöchentlich freie Open-Air Konzerte statt und ja, auch in Sevilla gibt es hippe Open-Stage-Abende. Ich behaupte also aus verschiedenen Gründen, dass sich eine münsteraner Seele hier schon sehr wohlfühlen kann. Warme Grüße aus Sevilla von Anne!

Kunst und Kultur in Sevilla, überall zu finden.

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