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Gedanken zum Schulalltag in England

Im meinem dreimonatigen Praktikum an einer englischen Gesamtschule habe ich Englisch als Zweitsprache, Deutsch und Französisch unterrichtet. In diesem Beitrag reflektiere ich meine Erfahrungen – danke für dein Interesse!

Technische Ausstattung top!

Anders als in Deutschland haben in England nicht die Schüler einen Klassenraum, sondern die Lehrer haben ihre eigenen Räume, in denen sie den ganzen Tag bleiben. In den meisten Räumen gibt es etwa 10 PCs für die Schüler und einen PC für die Lehrkraft, der mit einem Beamer und einem Smartboard verbunden ist. OHPs, nicht digitale Tafeln und Kreide werden an meiner Praktikumsschule nicht mehr verwendet. Die Lehrer haben ihre Räume nach ihren eigenen Vorlieben eingerichtet und alle ihre Materialien immer vor Ort, was sehr praktisch ist. Andererseits bietet das System der “Lehrerräume” weniger Gelegenheit, den Schülern Verantwortung für reguläre Klassendienste wie Fegen oder Blumengießen zu geben. An meiner Schule habe ich keine Klassendienste gesehen. Die Raumgestaltung liegt komplett bei den Lehrern. Und die toben sich dabei so richtig aus. Manchmal sind die Räume so voll von Lernpostern, dass selbst ich als Praktikantin komplett davon überwältigt bin.

Der Stellenwert von Fremdsprachen an meiner Praktikumsschule…

ist niedrig. Besonders im Vergleich zu den sogenannten “Core Subjects” so wie Mathe und Englisch. Das äußert sich darin, dass Fremdsprachen bereits in Year 7 (der ersten Klasse an der Secondary School) weniger Wochenstunden haben. In ihrer GCSE, den Abschlussprüfungen in der 11. Klasse, werden die Schüler nur in vier Fächern geprüft, die sie sich selber ausgesucht haben – Fremdsprachen gehören in der Regel nicht dazu, weil es vergleichsweise schwierig ist, hier gute Noten zu bekommen. Da die meisten Schüler Fremdsprachen sowieso bald wieder abwählen, geht es im Sprachunterricht in den unteren Klassen – so scheint es mir – nicht darum, solide sprachliche Grundlagen zu vermitteln, sondern die Schüler nicht durch zu viel Grammatik und Vokabelpauken abzuschrecken. Häufige Aktivitäten im Sprachunterricht sind Match-ups von französischen bzw. deutschen und englischen Wörtern – meist Cognates – also Wörter, die in beiden Sprachen gleich sind, das Auswendiglernen von Chunks wie “J’aime le foot/ j’aime la natation” und Translation Challenges als Wettbewerb zwischen Gruppen in der Klasse. Grammatik wird oft nur kurz thematisiert. Als ich die Schüler fragte, was “(to) love” auf Französisch heiße, sagten sie “j’aime”, weil sie das Verb nicht an sich, sondern nur den Chunk “j’aime” kannten. Übersetzung und der Rückbezug aufs Englische sind sehr häufig, auch Selbstevaluation der eigenen Leistung hat einen hohen Stellenwert.

Teaching to the Test

In England hängt das Gehalt der Lehrer davon ab, wie ihre Schüler in Prüfungen abschneiden. Einerseits steigert das die Motivation der Lehrer, ihre Schüler gut auf Prüfungen vorzubereiten. Lehrer, die jede Stunde das Gleiche unterrichten, habe ich an meiner Schule nicht gesehen. Andererseits kritisieren viele englische Lehrer dieses System als unfair, weil sie sich nicht in der Lage sehen, durch ihren Unterricht soziale Unterschiede aus den Familien ihrer Schüler auszugleichen. Darüber hinaus sorgt die Abhängigkeit des Lehrergehalts von den Prüfungsergebnissen der Schüler dafür, dass die Lehrer ihre Schüler oftmals nur genau auf das vorbereiten, was in der Prüfung von ihnen verlangt wird, anstatt breiter und langfristiger zu unterrichten. Das krasseste Beispiel hierfür habe ich im Zusammenhang mit einer Year 10 mündlichen Deutschprüfung mitbekommen, wo die Schüler ihre vorher geschriebenen Text von der Lehrerin Korrektur gelesen bekommen haben und in der mündlichen Prüfung einfach vorgelesen haben. Die Noten waren zum Großteil in Ordnung – mit Sprechen hatte das aber überhaupt nichts zu tun!

Integration

… wird super unterstützt an meiner Praktikumsschule. Zugewanderte Schüler, die noch Schwierigkeiten mit dem Englischen haben, bekommen hier Einzelunterricht bei einer erfahrenen und hochprofessionellen Lehrerin. Diese macht nicht nur ausgezeichneten Unterricht mit sehr guten, motivierenden Lehrmaterialien, sondern unterstützt auch die gesamten Familien der Zugewanderten in alltagspraktischen Fragen und organisiert zum Beispiel Feste, Treffen mit schon länger in England Wohnenden sowie Feriencamps und Ferienlehrer für die Zugewanderten.

Angemessene Kleidung…

ist sehr wichtig an meiner Praktikumsschule! Jeden Morgen vor Schulbeginn steht ein Lehrer am Schuleingang und überprüft, ob die Schüler ihre Uniformen auch richtig tragen. Sind die Schulschuhe sauber? Ist das Shirt auch in der Hose? Tragen die Schüler keinen Schmuck oder auffälliges Makeup? Falls etwas mit der Uniform nicht stimmt, gibt es in der Schule Ersatzuniformen. Die Schüler werden dann aufgefordert, sich umzuziehen, bevor sie in den Unterricht gehen. Im Büro der Sprachlehrer gibt es sogar Nagellackentferner für zu knalligen Nagellack. Es gab zudem einige Beschwerden über die angemessenen Schuhe von drei neuzugewanderten Geflüchteten, wobei sich herausstellte, dass sie sich die Schulschuhe schlicht und einfach nicht leisten konnten. Auch von den Lehrern wird erwartet, sich elegant zu kleiden. Das hieß für mich: Keine Jeans, sondern Röcke tragen! An meiner Praktikumsschule wird argumentiert, Schuluniformen und elegante Kleidung seien zentral für eine professionelle Atmosphäre und würden soziale Unterschiede kaschieren. Ich persönlich halte Schuluniformen gerade bei jüngeren Schülern für gekünstelt und finde nicht, dass sie soziale Unterschiede weniger sichtbar machen. Schüler aus schwierigen Familien fallen an meiner Praktikumsschule oft so oder so auf, weil sie häufig in schmutzigen oder zerrissenen Uniformen zur Schule kommen und ihre Kleidung noch mehr zum Thema wird, wenn die Lehrer sie auffordern, sich umzuziehen. Übrigens gibt es auch “Non-Uniform-Days”, die bei allen Schülern sehr beliebt sind! Hier lassen die meisten Schüler so richtig die Sau raus und kleiden sich übertrieben cool oder freizügig.

Feedback culture/ blaming culture

Eltern, Lehrer, aber auch Schüler an meiner Praktikumsschule sind Meister im Feedback geben! In meiner Praktikumszeit kam es häufig vor, dass der Schuldirektor im Lehrerzimmer E-Mails von Eltern vorgelesen hat, die die Schule entweder loben, sich bedanken oder beschweren wollten. Bei Dankes-E-Mails war der Direktor stolz auf seine Schule. Bei Beschwerde-E-Mails musste sichergestellt werden, dass die Schule keinerlei  Angriffsfläche für weitere Beschwerden bietet. Die Beschwerde von einer Mutter, ihr Kind sei in eine Rangelei auf dem Schulhof geraten, weil ein Lehrer seine Pausenaufsicht vernachlässigt habe, wurde im Lehrerzimmer sehr ernst genommen. Es scheint, als stehe meine Praktikumsschule unter enormen Druck, keinerlei Fehler zu machen und in kritischen Fällen alles zu dokumentieren, um rechtlich abgesichert zu sein. So werden selbst die kleinsten Vorfälle verschriftlicht und per E-Mail geteilt, um sicherzustellen, dass alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen wurden.

Insgesamt

… wurde ich in England – besonders beim Französisch unterrichten – oft ins kalte Wasser geschmissen, habe dadurch aber viel gelernt. Besonders das, was ich bei der Vermittlung von Englisch als Zweitsprache gesehen und gelernt habe, werde ich nach Deutschland mitnehmen und auf Deutsch als Zweitsprache übertragen, wenn ich die Gelegenheit dazu bekomme. Gerade, was den regulären Fremdsprachenunterricht angeht, habe ich das deutsche Schulsystem schätzen gelernt und freue mich, nach meinem Praktikum in Deutschland Lehrerin zu werden.

Solveig

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