Der Schultag beginnt in Schweden erst um 08:30, also etwas später als in deutschen Schulen. Den halbstündigen Weg zur Schule gehe ich zu Fuß, dafür ziehe ich mir meine Schneeschuhe an. Mit jedem Schritt muss man aufpassen, nicht auf dem glatten Eis auszurutschen, doch mit jeder Woche wird meine Balance besser!
Um 08:15 treffe ich mich mit Tabea im Lehrerbüro in der Gudmundråskolan, wo wir kurz besprechen, was heute ansteht und welche Materialien wird brauchen. Da Tabea die einzige Deutschlehrerin in der Gemeinde ist, arbeitet sie nicht nur an der Gudmundrå, sondern noch an drei weiteren Schulen. Dazu gehören die Kramforsskolan (Klasse 4-6), in welcher wir die sechste Klasse in ihrem ersten Jahr in Deutsch unterrichten, die Bollstaskolan im Nachbarort, auf welcher wir ebenfalls die sechste Klasse unterrichten, die eben schon erwähnte Gudmundråskolan (Klasse 7-9), in welcher wir in jedem Jahrgang einen Kurs haben, und zu guter Letzt das Gymnasium Ådalsskolan, hier hat die 11. Klasse drei Mal in der Woche Deutschunterricht auf A2-/B1-Niveau.
Die erste Stunde findet heute in der sechsten Klasse in der Kramforsskolan statt, und wir beginnen mit einem neuen Thema. Nach einem Vokabeltest, mit dem Tabea zu Beginn jeder Unterrichtsstunde die neuen Vokabeln überprüft, hören die SchülerInnen ein Hörverstehen zu den Kleidungsstücken auf Deutsch. Wir arbeiten hauptsächlich mit dem Deutschbuch, die SchülerInnen haben ein Text- und ein Übungsbuch, welches sie innerhalb eines Jahres durcharbeiten und dann zum nächsten Level übergehen. Während Tabea den SchülerInnen die Aufgabenstellungen auf Schwedisch erklärt, korrigiere ich die Vokabeltests. Das kann ich schnell erledigen und es macht mir Spaß, den SchülerInnen ein kleines Feedback zu geben und nebenbei meine Schwedischkenntnisse zu verbessern. Die Noten trage ich direkt in das digitale Klassenbuch ein, wodurch die Eltern direkt eine Benachrichtigung mit der Punktzahl per Mail erhalten. Hier in Schweden habe ich gelernt, dass die Digitalisierung in Schulen nicht nur zu Problemen führen muss, sondern mit den richtigen Programmen und einem geschulten Umgang den Schulalltag bereichern und den LehrerInnen Aufgaben von den Schultern nehmen kann.
Am Ende der Unterrichtsstunde spielen die SchülerInnen ein Quizlet, in welchem die neuen Vokabeln für die nächste Woche spielerisch abgefragt werden, sie arbeiten dabei in Gruppen und haben schnell Erfolgserlebnisse.
Nach der ersten Stunde laufen Tabea, ich und die anderen FremdsprachenlehrerInnen wieder zurück zur Gudmundrå, das ist ein ungefähr zehnminütiger Weg. Auch die Französischlehrerin ist die einzige in der gesamten Gemeinde und die Spanischlehrerinnen sind zu zweit. Generell herrscht in Schweden ein großer Mangel an Lehrkräften für Fremdsprachen, die nicht Englisch sind. Jedes Kind, dessen Muttersprache nicht Schwedisch ist, hat Anspruch auf eine Unterrichtsstunde in der Woche in der Muttersprache. Für diesen Zweck werden viele Quereinsteiger beschäftigt, die häufig nur ein Kind in der Muttersprache unterrichten, wie es zum Beispiel in Türkisch der Fall ist.
Um 10:30 Uhr gibt es hier schon Mittagessen, bis dahin haben Tabea und ich frei und bereiten in der Zeit weiteren Unterricht vor. Häufig hat Tabea in dieser Zeit auch Elterngespräche, die jedoch auf Schwedisch stattfinden, sodass ich mit meinen weniger als rudimentären Sprachkenntnissen leider nicht teilnehmen darf. Sie hat mir jedoch erzählt, dass die Eltern zwei Mal im Halbjahr über die Lernerfolge oder -misserfolge sowie das Sozialverhalten ihrer Kinder informiert werden. Häufig kommt es dabei zu Meinungsverschiedenheiten, viel Schuld wird den Lehrkräften zugeschoben. In Schweden herrscht ein zu Deutschland verschiedenes Bild von Kindern und ihren Bedürfnissen und Verpflichtungen. Sehr häufig wird den Lehrpersonen gesagt, dass die Kinder keine Lust auf das Lernen haben und lieber Videospiele spielen und sie als Eltern ihre Kinder zu nichts zwingen möchten, was ihnen keine Freude bereitet. Die Schuld liege bei den Lehrkräften, weil sie ihre SchülerInnen nicht ausreichend motivieren würden.
Zum Mittagessen gibt es jeden Tag ein großes Salatangebot, ein Gericht mit Schwein, eines mit Hühnchen oder Fisch und ein vegetarisches. Die SchülerInnen, die sich vegan ernähren oder eine Unverträglichkeit melden, bekommen separates Essen. Das Beste ist jedoch, dass das Mittagessen umsonst ist, damit alle Kinder aufgrund der Schulpflicht die Chance auf ein warmes Essen am Tag haben. Jeder kann sich so viel nehmen wie er oder sie mag und für einen Preis von 3,50 Euro können sie auch ihre selbstmitgebrachten Dosen füllen und noch etwas für das Abendessen mitnehmen. Das Angebot des Mittagessens nehmen jedoch nur ungefähr 50% der SchülerInnen an, die meisten essen außerhalb in der Stadt.
Nach der Mittagspause treffen sich Tabea und ich mit der Französischlehrerin, Arabischlehrerin und einer der Spanischlehrerinnen und gemeinsam fahren wir mit einem Auto, welches von der Gemeinde für diesen Zweck gestellt wird, 20 Minuten lang in den nächsten Ort zur Bollstaskolan. Hier unterrichten wir unsere zweite sechste Klasse in einer Doppelstunde. Der Inhalt ist der gleiche wie bei der Kramforsskolan, jedoch ist die Gruppe in Bollsta etwas unmotivierter und schwächer, weshalb beide Klassen auf ungefähr dem gleichen Stand sind.
Im Anschluss unterrichten wir die Muttersprachenkinder in der gleichen Schule. Es sind zwei Kinder, die jeweils sieben und neun Jahre alt sind. Beide tragen die Konsequenzen der Online-Schule durch Covid, da sie erst im Laufe letzten Jahres nach Schweden gezogen sind. Deswegen passen wir den Unterricht ihren Bedürfnissen an und unterrichten sie in den Grundlagen, indem wir uns aufteilen und jedem Kind eine 1:1-Betreuung ermöglichen. Es ist ein tolles Gefühl, wenn sie Erfolgserlebnisse haben und das Lesen und Schreiben immer besser klappt.
Um 15 Uhr endet der Unterricht in Bollsta und wir fahren gemeinsam wieder zurück. In Kramfors angekommen sitze ich meistens noch für ein bis zwei Stunden im Lehrerzimmer und trinke Kaffee. Dabei kann ich an meinen Abgaben für die Uni arbeiten oder selbst Unterricht vorbereiten. Eigenständig Unterricht durchzuführen ist aufgrund der Sprachbarriere etwas schwierig, in der 11. Klasse jedoch eigentlich kein Problem. Hier lese ich gerne mit den sechs SchülerInnen etwas anspruchsvollere Texte und unterhalte mich mit ihnen auf Deutsch.
In Kramfors passiert generell nicht viel, aber abends noch weniger. Meistens gehe ich nach der Schule in der Schwimmhalle, die unter der Woche bis 19:30 Uhr geöffnet hat, schwimmen und saunieren. Häufig gehe ich auch auf dem zugefrorenen See spazieren, um den Sonnenuntergang zu genießen. Um Geld zu sparen, esse ich mittags in der Schule immer eine große Portion, damit ich abends nur noch eine Kleinigkeit brauche, denn auch hier sind die Lebensmittel sehr teuer! Bevor ich schlafen gehe, telefoniere ich häufig noch mit Freunden aus Deutschland und habe endlich Zeit, all die Bücher zu lesen, die schon viel zu lange Zeit auf meinem Nachttisch lagen. Nach acht Wochen liegt mein Book Count bei 15 Büchern, so viel habe ich schon lange nicht mehr lesen können!
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