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Ein Tag im Leben des Marius S.

4:45 Uhr. Die Phrase “Der Wecker klingelt erbarmungslos” wird meinem allmorgendlichen Empfinden nicht gerecht.

Bombenhagelunwetterabgrundregentrommelschlägepistoleglatteis. So schon eher.

Ich werde hier zum Spießer…

Abends schmiere ich mir meine zwei Brötchen. Packe sie in meine blaue Butterbrotsdose. Drapiere mein Trinkpäckchen, eine Packung Oreo, ein Müsliriegel und eine Banane daneben. Kühlschrank zu. Danach falte ich meine Hose auf meiner Kommode, hole ein frisches Hemd aus dem Schrank und lege es obendrauf. Die Schuhe stelle ich davor. Dann dusche ich und gehe schlafen, wenn meine Haare trocken sind. Morgens zählt jede Minute. Nacht. Inzwischen ist es 4:53 Uhr und es wird Zeit. In Usain-Bolt-Tempo arbeite ich die Sachen ab, die ich am Abend zuvor vorbereitet habe und sehe mich um 5:10 Uhr vor meiner Haustür in Bairro Alto stehen. Vereinzelt kommen mir betrunkene Menschen entgegen, hier und da stützt ein junger Mann in Hemd eine schöne Portugiesin auf High Heels. Wahrscheinlich hofft er auf seine Belohnung.

Ich erreiche die Avenida da Liberdade und jetzt beginnt mein Aufstieg zu Marques de Pombal. Ich komme an Armani, Hugo Boss, Gucci und Prada Flagshipstores vorbei. Unter den Bäumen davor suchen Obdachlose ein bisschen Schlaf auf den harten Bänken. Jeden Morgen ein merkwürdiges Bild. Ich habe jedoch keine Zeit, um darüber nachzudenken. Mein Bus fährt gleich. Mein Busfahrer lässt sich wie folgt beschreiben: Er hupt bereits, wenn es noch rot ist.

Gegen 6:30 Uhr komme ich bei Volkswagen Autoeuropa an. Hier mache ich ein sechsmonatiges Praktikum im Project Management. Wie immer bin ich mit Nuno zusammen der erste im Büro. Er bringt mir mein tägliches portugiesisches Schimpfwort des Tages bei. Heute ist es ‘fraco’, was so viel wie Schwächling bedeutet. Ich trinke nämlich keinen Kaffee, was hier als Staatsbeleidigung gilt. Folgerichtig bin ich also der größte fraco der Abteilung.

Ich beginne mit meiner Arbeit. Da meine Abteilung ausschließlich mit neuen Projekten (sprich: neuen Autos) zu tun hat, musste ich vor Praktikumsbeginn eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Für manche klingt das übertrieben, ich finde es vor allem eines: spannend.

Wenn die Portugiesen eines können, dann ist es pünktlich Mittag machen. Da wir ein bisschen außerhalb des Werksgeländes sitzen, fahren wir immer mit einem großen Auto zur Kantine. Zehn Leute bei sieben Sitzen ist dabei natürlich auch kein Problem. Heute hänge ich halb in Franciscos Achsel, während bei Susana links von mir das Handy klingelt. Es gibt Situationen, in denen kann man einfach nicht ans Telefon gehen.

Gegen 16 Uhr endet mein Arbeitstag. Wenn ich auf dem Weg nach Hause die Ponte 25 de Abril überquere, spüre ich schon jetzt ein bisschen Heimat. Und ein starkes Gefühl von Zuneigung. Wieder steige ich bei Marques de Pombal aus und gehe dieses Mal bergab. Ehe es dann wieder bergauf geht. Und bergab. So richtig entscheiden kann sich diese Stadt nicht. Und das mag ich. Aus den obdachlosen Menschen auf den Bänken sind inzwischen gut angezogene Frauen mit Smartphone geworden. Ich bin zwar erschöpft, widerstehe aber dem Drang und versuche noch etwas zu erleben. Heute entscheide ich mich für Takeaway bei “Casa da India”, einem guten und günstigen Restaurant am Rande des Bairro Alto. Hier gibt es ein Schaufenster, in dem Fisch und Chicken gegrillt und dann mit der Gartenzange zurechtgeknipst werden.  Es ist also offensichtlich, dass ich das Ganze schon an meinem ersten Tag ausprobieren musste und seitdem gerne zurückkomme. Um allen Klischees zu entsprechen, entscheide ich mich für Bacalhau, den portugiesischen Nationalfisch.

Während ich entspannt bei mir Zuhause am Tisch sitze, Musik höre und dabei mein Essen genieße, überlege ich meine Abendplanung. Denn quasi mit meinem ersten Arbeitstag habe ich entschieden, dass Schlaf für die nächsten Monate am unteren Ende meiner Prioritätenliste steht. Zu viele gute Restaurants, zu viele interessante Bars, eine einfach zu schöne Stadt mit einfach zu schönen und zu interessanten Menschen. Mein Handy klingelt und ich treffe mich bald mit den Architekten, die ich hier in meinen ersten Tagen kennengelernt habe. Um es in Hape-Kerkeling-Manier zu sagen: “Ich bin dann mal weg”.

Bis zum nächsten Mal. Ich bleibe dran!

 

Marius

Hallo und bom dia.

Mein Name ist Marius und ich darf 6 Monate in Lissabon verbringen.
Ich mache ein Praktikum im Project Management von Volkswagen Autoeuropa, wofür ich täglich um 5 Uhr aufstehe, um zur Arbeit zu kommen. Ich wohne in Bairro Alto über 3 verschiedenen Bars, die um 2 Uhr schließen. Ich bin gerade also noch in der "Lebensrhythmus-findungsphase". Ich hoffe ich kann den ein oder anderen mit meinen Berichten erfreuen und/oder dazu ermutigen selbst den Schritt ins Ausland zu wagen.

Viele Grüße aus Portugal,

euer Marius

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