Bunte Wände, Schuluniform, Waldspaziergänge: Schule in Irland

Rechtzeitig vor meinem dritten Roadtrip (dieses Mal geht es nach Nordirland) und nach einer langen, arbeitsintensiven Woche, melde ich mich, um euch ein wenig von meinem Arbeitsalltag hier in Tuam zu berichten. Besonders interessant wird dieser Beitrag für angehende Lehrkräfte wie mich sein, die überlegen, ein Praktikum am High Cross College zu verbringen. Los geht’s!

Die Schule beginnt hier in Tuam (für deutsche Verhältnisse) recht spät: um 08:50 Uhr strömen die Schüler:innen in das Gebäude. Wobei; die Gebäude. Denn das High Cross College ist ein Amalgam aus dem ehem. Presentation College Currylea und dem Mercy College. Erst seit September 2023 existiert das College als Zusammenschluss. Somit gibt es aktuell noch zwei Campi, wobei auf dem Gelände des Südcampus in den nächsten Jahren ein komplett neues Schulgebäude errichtet wird, indem die Schüler:innen dann nicht nur auf dem Papier, sondern auch lebensweltlich gemeinsam lernen sollen. Auf dem Weg ins Klassenzimmer fällt einem auf: die Schüler:innen gestalten ihren Lernraum aktiv mit. Überall an den Wänden sind Malereien zu bestaunen, teils auf großen Leinwänden, teils aber auch direkt auf den Putz gemalt. So haben sich schon Generationen von Schüler:innen verewigt. Wer nun an Kritzeleien denkt, die jede:r aus deutschen Schultoiletten kennt, der irrt: es sind kleine und große Kunstwerke. In der Galerie könnt ihr euch einen Eindruck verschaffen. Ich selbst bin immer wieder begeistert und freue mich, wenn ich ein neues Bild entdecke, das mir bisher entgangen ist – oder, weil es gerade neu an die Wand gemalt wird!

In den Klassen selbst geht es dann – im Kontrast zu der Kreativität im Korridor – recht uniform zu. Im wahrsten Sinne des Wortes: in Irland herrscht Schuluniformpflicht! Entgegen meiner Erwartungen berichteten mir aber viele Schüler:innen, dass sie die Uniform mögen, ganz einfach, weil es ihnen jeden Morgen das Nachdenken über das richtige Outfit erspart.

Der Unterricht selbst gestaltet sich erstaunlich ähnlich zu deutschen Gepflogenheiten: die Lehrkraft hat (leider) auch hier (noch immer) den größten Teil der Redezeit inne, aber positiv fällt auf, dass man einen anderen Umgang mit den Schüler:innen pflegt. Es wird deutlich mehr gelacht und gescherzt und die Fehlerkultur ist deutlich positiver. Eine Konstante über Fächer- und Personengrenzen hinweg ist allerdings, dass man sich sehr gern an die Lehrbücher hält und wenig eigenes Material erstellt. Und das, obwohl so ziemlich jeder Klassenraum mit einem modernen Smartboard ausgestattet ist, mit dem man auch toll digitales Lernen in den Unterricht integrieren könnte. Die Anwesenheit wird hier in jeder Stunde überprüft – und der Konrektor sorgt mehrmals die Woche mit einer Durchsage während des Unterrichts dafür, dass das auch so bleibt. Hausaufgaben werden hier trotz langer Schultage, die in der Regel erst um 15:40 Uhr enden, nicht zu knapp aufgegeben. Manche Lehrkraft ermutigte mich schon, dass ich ruhig ‚loads of homework‘ für die Schüler:innen bereithalten solle. Zumindest sieht es ansonsten beim Thema Bildungsgerechtigkeit gut aus: in Irland gibt es nur Gesamtschulen und wenige Privatschulen. Kinder aller Klassen, Nationalitäten, Religionen, Ethnien kommen so zusammen. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden immer mehr integriert (Inklusion ist nochmal ein anderes Thema…), was mich auf meinen Teaser im letzten Post zurückkommen lässt: wie ich über den St Patrick’s Day lernte. Dass St Patrick eigentlich gar kein Ire, sondern Waliser war und zunächst als Sklave von irischen Piraten verschleppt wurde, sich dann aber später befreien konnte und mithilfe des dreiblättrigen Kleeblattes (irisches, inoffizielles aber viel beliebteres Nationalsymbol – neben der Harfe) die Dreifaltigkeit Gottes erklärte; all das durfte ich im Unterricht im sog. ‚Hub‘ lernen, einem Klassenraum, in dem zu unterschiedlichen zeitlichen Anteilen aktuell acht Schüler:innen gemeinsam lernen. Auch diesen gibt es erst seit dem Zusammenschluss der Schulen im September 2023.  Er regt zum Nachdenken an: die Schüler:innen werden sehr individuell betreut und haben großes Vertrauen zu Ihren Lehrkräften und dem Assistenzpersonal. Sie lernen in Ihrem Tempo und manchmal entscheidet die Lehrkraft auch, dass es heute einfach Zeit für einen Waldspaziergang ist – ein Curriculum mit viel Druck gibt es in dem Sinne nicht. Die Schüler:innen sollen „auf ein eigenständiges Leben“ vorbereitet werden, so die Lehrkräfte. Das heißt hier, dass sie bspw. selbst einkaufen, kochen und putzen lernen. Immer wieder gibt es aber auch kognitive Einheiten wie die genannte Stunde zu St Patrick.

Nach diesem Geplänkel fragen sich einige von euch vielleicht: ok, aber was machst du denn jetzt den ganzen Tag in der Schule? Sitzt du nur mit im Klassenzimmer? Die Antwort? Ein ganz klares ‚jein‘. Allerdings mit starker Tendenz zu einem ’nein‘. Es kommt selten vor, dass ich nur als Assistenz mit dabeisitze. Meist mache ich mittlerweile selbst Unterricht: zum Beispiel in einer Klasse für europäische Austauschschüler:innen, die hier ein Jahr verbringen. Mit Ihnen mache ich zusätzliche Englischstunden, bei denen ich komplett frei in der Gestaltung bin. So habe ich gestern bspw. „Frieden“ von K.I.Z. mit ihnen analysiert und mich heute mit ihnen auf ein Projekt zum Thema Kolonialismus geeinigt. Es geht hier vor allem darum, sie zum Sprechen zu bewegen und auch mal über knifflige Themen zu sprechen, die in der zone of proximal development liegen. Ich befürchte, dass dieser Unterricht sich als Rarität in meinem Berufsleben herausstellen wird: keinerlei Curriculum, alles komplett SuS-zentriert, lernen auf Augenhöhe. Hauptsache, es wird Englisch gesprochen. Außerdem betreue ich aktuell einen kleinen Grundkurs in Deutsch, den ich auf die Abiturprüfungen in fünf Wochen vorbereiten darf. Dann wären da noch die Schüler:innen aus dem Übergangsjahr, eine irische Sonderheit; das Jahr entspricht unserer 10. Klasse und hier geht es wenig um Leistung und vielmehr um Persönlichkeitsentwicklung – durch Projekte, Ausflüge, kreatives Arbeiten (bspw. eine Upcycling-Modenschau, Schultütenbasteln, Eurovision Song Contest). Hier bin ich zwar meist mit einer Lehrkraft zusammen in der Klasse, aber darf mittlerweile den Unterricht meist leiten. Ein paar Stunden jede Woche bleiben dann noch für die Assistenz im Deutschunterricht. Hier bin ich aber vor allem wegen der Aussprache von Relevanz. Ich lese vor, oder übe neue Worte mit den Schüler:innen. Es ist auch möglich, außerhalb der deutschen Abteilung zu hospitieren. Ich würde euch raten, die entsprechenden Lehrkräfte einfach selbst anzusprechen, da es schneller geht, als über die Betreuerin, die über das ZfL die Kooperation innehat.

Insgesamt kann euch mit auf den Weg geben, dass ihr hier viele Möglichkeiten habt, eure eigene Lehrer:innenpersönlichkeit zu entdecken. Ihr dürft häufig allein mit den Schüler:innen sein und durch das andere SuS-LK-Verhältnis könnt ihr Antinomien gut ausloten.

Im Lehrerzimmer ist die Stimmung hier immer ziemlich gut und es wird viel gelacht und laut geredet. Eine Stecknadel – wie in Deutschland – hört man hier auf jeden Fall nicht fallen.

Kommt nach Tuam, wenn ihr eine Herausforderung sucht und eure Spontaneität und Flexibilität üben wollt. Für später werdet ihr sie allemal brauchen!

Nun muss ich aber los, die Tasche für den Trip will gepackt werden 🙂

Bis zum nächsten Mal!

 

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