Brüssel – eine Achterbahnfahrt

Münster – Brüssel, etwas mehr als 300 Kilometer voneinander entfernt, sagt Google Maps.
Berlin zählt fast das Doppelte der Distanz. Doch auch abseits meines Praktikums im Europabüro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brüssel war mein Leben für sechs Monate ein komplett anderes.

Die Großstadt wartet auf keinen, schon gar nicht am berühmt berüchtigten Gare du Nord. Es ist der erste von den großen drei Brüsseler Bahnhöfen, wenn man aus Deutschland anreist. Und schon die Fahrt mit dem ICE International nach Brüssel liefert den unüberhörbaren Hinweis für die Vielsprachigkeit dieser Stadt. Im Zug sind alle Ansagen in vierfacher Ausführung: Deutsch, Englisch, Französisch und Flämisch. In Brüssel angekommen dominiert eindeutig das Französische. Nur vereinzelt wird auf Flämisch gesprochen. Englisch ist oft der kleinste gemeinsame Nenner. Der nächste Halt des Zuges ist der Gare Central, widererwartend nicht der Hauptbahnhof, auf ihn folgt der Gare du Midi. Letzterer ist Endstation und Anschluss, um direkt nach Paris oder London reisen zu können. Zusammen mit dem Brüsseler Airport bietet die Hauptstadt Belgiens eine ideale Lage für Weltenbummler. Doch selbst eine Reise in diese Stadt gleicht einer Weltreise auf kleinsten Raum. Matonge, das afrikanische Quartier, ist geprägt von Kongolesen und erzählt viel von der belgischen Kolonialgeschichte. Im Norden der Stadt liegt Molenbeek. Mit seinem sehr marokkanisch, arabischen Einschlag ist es als Terrornest verrufen, erfährt derzeit aber seine ersehnte Neugestaltung. Das Europaviertel mit den oft grauen, großen Bürobauten und Häuserfluchten ist an Wochenenden nahezu ausgestorben, es grenzt an Ixelles, mit seinem schönen lebenswerten französischen Flair. Auf kleinsten Raum kreiert Brüssel einen bunten, zuweilen chaotischen und deshalb niemals langweiligen Mikrokosmos.

Ein Belgier auf der Fahrt von Köln nach Brüssel gab mir den Tipp so oft wie nur möglich aus der Stadt zu fliehen. Irritiert von seiner Aussage habe ich mich versucht gegen seinen Ratschlag zu wehren, aber manchmal wurde auch mir dieser Melting Pot zu viel. Die typischen Symptome einer Großstadt – der krasse Kontrast zwischen Armut und Reichtum, weite Distanzen, viel Verkehr, Smog, Kriminalität und überteuerte Mietpreise mit geringen Standards (Mäuse sind in vielen Apartments keine gern, aber oft gesehenen Gäste) erfährt man auch hier. Doch die Flucht wird einem erleichtert, denn innerhalb Belgiens lässt es sich an Wochenenden immer zur Hälfte des Fahrpreises reisen. Ausflüge nach Ghent und Antwerpen sind innerhalb von 30 Minuten bis zu einer Stunde von Brüssel zu schaffen und waren manchmal eine ersehnte, kurze Auszeit inklusive frischer Luft.

Zurück in Brüssel habe ich die Lebensart als sehr französisch empfunden. Viele Straßencafés und Bistros ziehen sich durch die Stadt. Auf einen Apérol nach der Arbeit wurde sich gerne spontan verabredet.

Das omnipräsente Militär auf den Straßen, in den Metros und den Bahnhöfen gehört schnell zum Alltag, obwohl es immer einen befremdlichen Touch für mich behielt.
Brüssel hat viele Probleme, aber sie versucht nicht einmal sie zu verbergen. Diese Ehrlichkeit habe ich sehr zu schätzen gelernt. In ihr verdichten sich die europäische Idee und die Hoffnung, die mit ihr verknüpft ist und viele nach Europa zieht – jede und jeden auf unterschiedlichste Art und Weise. Dem Terror stellt man sich, statt mit Angst und Panik, vielmehr mit Jazz als Lebensgefühl. Schon während des Frühlings und im Sommer schafft die Stadt viel Raum für Kreative – von Musik bis Kunst. So bleibt Brüssel für viele eine Stadt auf Zeit, aber sobald man sie verlässt, vermisst man sie.

Zum Abschluss folgen hier meine Überlebens-Links für Brüssel:
Abschied aus einer verrückten Stadt ein Artikel von Mathias Krupa, erschienen in der „Zeit“/06.10.2016/No.42
Use-it – Map for young travellers
Kulinarisch empfehle ich Frituur Steve im Stadtteil Laeken
& das Bozar für Kunst und Kultur

Grand Place
Metro
Palais Justice

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.