3.9.2016. Flugzeug. Irgendwo zwischen Moskau und Taschkent, irgendwann zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens, je nach Zeitzone, von der ich ja nicht weiß, welcher wir gerade zugehörig sind.
Im Flugzeug habe ich direkt eine usbekische Eigentümlichkeit, wie sie uns berichtet wurde und wie sie in den Reiseführern steht, bestätigt bekommen: Mein Sitznachbar hat in der Schule drei Jahre Deutsch gelernt. Ich ja zwei Jahre Russisch. Trotzdem haben wir große Verständigungsprobleme. Er erklärt mir, dass er sämtliche „türkischen Dialekte“ verstünde, also Usbekisch, Türkisch, Turkmenisch, Kirgisisch und wahrscheinlich noch Karakalpakisch, Tschetschenisch oder Tartarisch, aber da bin ich mir nicht sicher (von letzteren beiden nicht mal, ob sie Sprachen sind). Außerdem kann er natürlich Russisch und ist entsetzt, dass ich keine seiner sieben Sprache beherrsche. Auf meinen Verweis, dass ich ja immerhin Deutsch und Englisch fließend, ziemlich gut Italienisch und einigermaßen Spanisch könne, grinst er nur: „Ach ja, die europäischen Sprachen.“ Plötzlich kommt mir Europa sehr klein vor, gerade in Anbetracht der Weltkarte, die immer wieder vorne eingeblendet wird.
Aber ich wollte ja von der usbekischen Eigentümlichkeit berichten. Ich kenne den Mann nicht und habe aufgrund der Sprachbarriere auch keine Chance, ihn kennenzulernen. Trotzdem zieht er nach drei Sätzen sein Smartphone heraus und öffnet den Fotoordner: „Hier, das bin ich in Istanbul.“ Der Mann vor einem Kreuzfahrtschiff. „Hier, das ist mein Freund mit mir in Istanbul. Er ist Türke, ich bin Turkmene.“ (Wörtlich hat er das natürlich nicht so gesagt.) Weitere Fotos mit seinem Kumpel und von Schiffen. „Gut.“ und „Schön.“ kriege ich auf Russisch noch hin. Aber was soll ich sonst dazu sagen? Ich würde fragen wollen, wie lange der Istanbul-Urlaub her ist und was er dort noch so gesehen und gemacht hat, aber dazu reicht mein Russisch nicht. Dann Fotos von Kindern: „Hier, mein Sohn. Er feiert da Geburtstag.“ Wenigstens schaffe ich es, zu fragen, wie viele Kinder er denn hat, und zu bestätigen, dass ich auch das gut finde. Ich werde mir dringend und schnell die usbekischen und russischen Begriffe für „süß“ und „niedlich“ und „Oh, so alt schon?“ zurechtlegen müssen. Wie der Reiseführer, den ich gelesen habe, bis gerade das Licht im Flugzeug ausgemacht wurde, bestätigt, und wie uns Frau Schulze von der Germanistik auch schon mehrfach gesagt hat, ist eine frühe Familiengründung für die Usbeken sehr wichtig. Ich bin sehr gespannt, ob ich mir mit meinen 24 Jahren komische Blicke einfangen werde, wenn ich zugeben „muss“, dass ich noch nicht einmal verheiratet bin. Außerdem habe ich vergessen, da zu wenig daran gedacht, mir Familienfotos und Bilder von meinem Freundeskreis mitzunehmen, die ich im Austausch hätte präsentieren können. Meine syrisch-japanisch-deutsche WG wäre doch eigentlich spannend. Kinderfotos von mir oder Kindern aus dem Freundeskreis habe ich auch nicht angefragt für den Fall, dass mir das „Wie? Und du hast noch keine Kinder?“, das ich nun noch mehr erwarte, irgendwann zu sehr auf den Keks gehen sollte. Unsere Dozentin sagte zwar, man solle auf jeden Fall unterschiedliche Lebensmodelle in Deutschland und Usbekistan diskutieren, aber der Reisführer sagt, es gäbe wenig Verständnis dafür. Den Kulturschock-Reiseführer aus der Reise-Know How-Reihe, druckfrisch von April 2016, kann ich übrigens sehr empfehlen. Soweit jedenfalls. Vielleicht werden meine eigenen Erlebnisse den Reiseführer bzw. dessen Autorin Prof. Katja Koch ja noch Lügen strafen, aber bisher sind ihre Schilderungen bis auf die genannte Ausnahme deckungsgleich mit den Berichten unserer Dozentin und den Arte- und NDR-Dokumentationen, die ich bereits im vorigen Beitrag erwähnte.
Da die vermutlich die wenigsten Leser eine Idee haben, wo Usbekistan genau liegt und wie es dort aussieht, hier ein paar Basics: Usbekistan ist eines von weltweit zwei „Binnen-Binnenländern“. Der Reiseführer nennt sie zwar „Doppelte Binnenstaaten“, aber ich wollte den selbsterdachten Ausdruck von meinem Freund verwenden, um zu prüfen, ob er mitliest. Wir haben dann überlegt, ob das aus russischer Sicht, wo der Aralsee immerhin „Aralmeer“ heißt, auch gilt, aber laut Reiseführer ist die Definition von der Anfahrt zu einem Weltenmeer abhängig. Daher herrscht in Usbekistan ein chronischer Wassermangel. Das übermäßige Ableiten des Wassers aus den Flüssen Amudarja und Sydarja in den vergangenen Jahrzehnten haben dazu geführt, das der Aralsee aktuell nur noch 10% seiner ursprünglichen Fläche ausmacht: Die Region verwüstet, das Salz macht Landwirtschaft in weiten Teilen unmöglich. Das Klima ist entsprechend kontinental. Wir haben für 15–35 Grad gepackt, wobei wir die 15 Grad auch erst im Oktober und dann nur nachts erwarten.
Wo ich gerade dabei bin, kann Ich auch noch etwas zu unserem immerhin 30-minütigen Aufenthalt in Moskau sagen: Unser Aeroflot-Flug ist mit einer stolzen Stunde Verspätung in Düsseldorf gestartet, sodass wir in Moskau nur 60 min bis zur Schließung des Gates hatten. Zudem begann das Boarding früher, sodass wir recht schnell die gefühlten zwei Kilometer Flughafengänge durchlaufe mussten. Die Russen scheinen das Flughafenshopping sehr zu genießen. Oder eher die ganzen asiatischen Gäste, die Moskau als Transit nach Europa zu nutzen scheinen. Einen so großen Abstand zwischen den einzelnen Gates, gefüllt mit Geschäften, hat keiner von uns je gesehen. Und wir sind ein recht reiseerfahrenes Grüppchen, aber dazu vielleicht ein andermal mehr. Unser Gate-Eingang war sogar so zwischen Geschäften versteckt, dass wir ihn fast übersehen hätten
Ich warte gerade eigentlich nur auf die Durchsage, die mich auffordert, meinen Laptop auszuschalten, denn gefühlt sind wir schon im Landeanflug. Ortszeit Taschkent 2:23 Uhr. Nun geht auch das Licht im Gang wieder an und ich kann meinen Reiseführer weiterlesen. Vielen Dank dafür übrigens an meine großartige Chefin.
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