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Alter Schwede!

Hejsan!

Ich bin nun seit mehr als 8 Wochen in Schweden, mache dort ein Praktikum bei der Haman Group in Stockholm. Diese 8 Wochen gingen wahnsinnig schnell vorbei und jetzt wird es endlich mal Zeit einen Beitrag für Hinterm Horizont zu schreiben.

Södermalm, Stockholm
Södermalm, Stockholm
Gamla Stan, Stockholm, Oktober 2015
Gamla Stan, Stockholm

Mein Gastland durfte ich schon im Rahmen eines Auslandssemester an der Linnaeus Universität in Växjö kennenlernen. Dass ich auch mein Auslandspraktikum in Schweden absolviere liegt nahe, da ich Skandinavistik studiert habe und mein Studium vor kurzem mit dem Master abgeschlossen habe.

Nun wohne ich seit Mitte August in der Nähe von Stockholm, einer sogenannten Satellitenstadt nahe des Flughafens Arlanda und pendele unter der Woche nach Nacka, einem Stadtteil Stockholms. Das nimmt ca. 3 Stunden meines Tages in Anspruch und war für mich eine große Umstellung. Ich vermisse es schon ziemlich wie in Münster überall mit dem Fahrrad hinfahren zu können, aber leider ist in Stockholm bezahlbarer Wohnraum noch rarer gesät als in den deutschen Uni-Städten.

Das Pendeln war am Anfang schon sehr anstrengend, da es mit frühem Aufstehen, spätem Heimkommen und dem Verbringen von viel ungenutzter Zeit im öffentlichen Nahverkehr verbunden ist. Mittlerweile aber habe ich mich einigermaßen daran gewöhnt und habe meine Routinen entwickelt. Man merkt plötzlich wie wertvoll Zeit ist und nutzt diese auf andere Weise. Die Zeit im Zug nutze ich beispielsweise um mir Hörbücher anzuhören oder zu lesen, wozu ich sonst nicht komme.

Die viele Zeit in Zügen, Bussen und U-Bahnen habe ich aber auch genutzt, um einige Beobachtungen anzustellen und mir über Unterschiede zwischen Deutschland und Schweden Gedanken zu machen. Im Folgenden möchte ich Zugang zu einigen meiner Erkenntnisse gewähren.

Auf den ersten Blick erscheinen Schweden und Deutschland sehr ähnlich, Schweden vielleicht etwas utopischer und idyllischer, als Traumland vieler Deutscher (Stichwort Bullerbü-Syndrom). Einige Blicke später aber sieht man die vielen kleinen und großen Unterschiede, die das Leben in Schweden als Deutsche(r) manchmal anstrengend, manchmal extrem spannend machen.

Der größte Unterschied, meiner Ansicht nach, liegt in der Mentalität. Dank des Schwedischen Modells eines Wohlfahrtsstaates herrscht in Schweden eine hohe soziale Absicherung, finanziert durch hohe Steuern und Sozialabgaben. Dies ist aber nur möglich, wenn der Einzelne sich zugunsten des Kollektivs zurücknimmt und das egoistische Erfolgsstreben ausgeschaltet wird (Stichwort Jantelagen). 

Diese Haltung ist in den skandinavischen Gesellschaften tief verankert, wird aber auch sehr ambivalent aufgefasst. Positiv interpretiert bedeutet diese Gleichheit, dass jeder Mensch gleich viel wert ist und jeder Mensch die gleichen Chancen haben soll. Der Effekt dessen sind flache Hierarchien und eine bessere gesellschaftliche Durchlässigkeit.

Wenn aber jeder gleich ist, darf man als Individuum nicht auffallen, man darf sich nicht von den anderen abheben. Negativ interpretiert bedeutet dies die Unterdrückung der eigenen Individualität und Persönlichkeit sowie der Freiheit des Einzelnen. Meine Vermieterin, eine nicht ganz typische Schwedin, meinte, dass aber durch diese Gleichmacherei Neid nicht verhindert werde, sondern erst entstehe. So sind die Schweden beispielsweise neidisch auf diejenigen, die sich über das Jantelagen hinwegsetzen und ihren eigenen Weg gehen. Ein Beispiel hierfür ist Ingvar Kamprad, der Gründer von IKEA.

Das Jantelagen treibt aber auch komische Blüten. So ist eigentlich das Brechen von Regeln und Geboten nicht gerne gesehen und wird mit bösen Blicken kommentiert (aber nicht angesprochen), das kollektive Überqueren von Kreuzungen bei roter Ampel jedoch, selbst wenn die Polizei daneben steht, ist in Ordnung. Da kommt man sich als einzige Person, die stehen bleibt, eher als Regelbrecher vor.

Mir sind aber noch einige andere Dinge aufgefallen, die ich hier erwähnen möchte.

Da ich bei meinem Praktikum mit vielen Deutschen zusammenarbeite (tatsächlich sind die Schweden in der Minderheit), kann ich nicht so viel zu den spezifischen Unterschieden im Arbeitsalltag in schwedischen und deutschen Unternehmen sagen. Was allerdings typisch schwedisch ist und von allen Angestellten begeistert zelebriert wird, ist das Fredags fika (Freitags gibt’s Kaffee und Kuchen um 15 Uhr). Und jede Gelegenheit wird gerne genutzt aus dem Fredags fika auch mal das Unter-der-Woche fika zu machen.

Fika ist wohl das typischste schwedische Wort neben lagom (übersetzt ungefähr: „genau richtig“). In der Einführungswoche meines Auslandssemesters wurde Fika folgendermaßen erklärt: Fika bedeutet zunächst „Kaffee trinken“, in Gesellschaft anderer. Fika kann aber auch bedeuten Kaffee und Kuchen/Zimtschnecke/was auch immer man dazu essen möchte. Fika kann zu jeder Tageszeit stattfinden. Fika kann ein Date sein, muss es aber nicht.

Fika ist in Schweden eine Gelegenheit Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder zu treffen und sich auszutauschen und gehört zum schwedischen Kulturgut. Möchte man als Fremder in Schweden gerne zum Fika eingeladen werden, braucht man Geduld. Schweden sind freundliche, höfliche, aber auch extrem zurückhaltende Menschen, die neue Menschen in ihrer Umgebung oft nicht besonders schnell einbeziehen, was es extrem schwierig (und manchmal frustrierend) macht, Schweden überhaupt kennenzulernen. Ausnahmen gibt es natürlich auch, wie beispielsweise meine bereits erwähnte Vermieterin, aber die ist, wie ebenfalls erwähnt nach eigener Aussage keine richtige Schwedin. 

Diese zurückhaltende, vielleicht manchmal kalte Art verschwindet aber auf einen Schlag, wenn Alkohol ins Spiel kommt. Da die Schweden unter der Woche oft keinen Tropfen trinken (auch nicht zum Essen), weil es eben so teuer ist, können sie ihre Grenzen vielleicht schlechter einschätzen und trinken, wenn sie dann mal am Wochenende trinken, oft zu viel. Dann fallen Hemmungen und Zurückhaltung.

Für jemanden, der in Deutschland aufgewachsen ist, ist der Umgang mit Alkohol und die allgegenwärtige Beschäftigung damit auch in den Medien, zuweilen etwas seltsam zu betrachten. Es gibt Reportagen über Menschen, die sich vom Alkohol komplett losgesagt haben und nun berichten, wie gut sie damit leben. Werbeanzeigen für alkoholische Getränke werden mit Warnhinweisen versehen, wie wir sie von Zigarettenschachteln kennen. Dadurch wird einem aber auch vermittelt, dass Alkohol nur schlecht sei und man nicht vernünftig damit umgehen könne, egal wie sehr man sich anstrenge. Alkohol wird einerseits verteufelt und der Verkauf unterliegt Restriktionen, die abschrecken sollen, andererseits hat der Staat sehr wohl ein Interesse daran, dass viel Alkohol gekauft wird, da dieser das Monopol darauf hat und entsprechend daran verdient. Es ist, wie ihr vielleicht merkt, ein schwieriges Thema und für Deutsche vielleicht manchmal nicht ganz nachvollziehbar.

Jetzt habe ich schon eine ganze Menge geschrieben und doch fallen mir noch so viele Unterschiede zwischen Deutschland und Schweden ein, die ich aber erst mal sammeln muss und euch vielleicht noch in einem weiteren Blog-Eintrag darlegen werde.

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Djurgården, Stockholm

Ich hoffe, ihr hattet Spaß beim Lesen und sage: hej då, vi ses, ha det bra!

Jana

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