• Menu
  • Menu

Akwaaba! – Kulturschock Ghana

Akwaaba! Gestern bin ich von meinem sechswöchigen Praktikum im Holy Family Hospital in Nkawkaw in Ghana zurückgekehrt und möchte gerne meine Erfahrungen mit euch teilen. Ihr fragt euch sicher, wieso ich Ghana als Zielland ausgewählt habe. Das westafrikanische Ghana gilt zwar als sogenanntes Entwicklungsland, hat aber
den Ruf, eines der friedlichsten, sichersten und stabilsten Länder Afrikas zu sein. Den
Ghanaern sagt man Offenheit, Gastfreundschaft und eine freundliche Zugewandtheit auch
Europäern gegenüber nach, weshalb ich mich mit der Entscheidung für dieses Land sehr wohl gefühlt habe.

 

Mein Praktikum habe ich über die Organisation “You4Ghana” organisiert. Diese wird geleitet durch Torben, der vor einigen Jahren dauerhaft nach Ghana gezogen ist. Er übernimmt vor Beginn des Praktikums die Kommunikation mit dem Krankenhaus und stellt den Freiwilligen Unterkünfte und Verpflegung zur Verfügung. Die Organisation lief reibungslos (was für ghanaische Verhältnisse fast ein Wunder ist!) und ich hatte durch ihn die ganze Zeit einen guten Ansprechpartner vor Ort. Das Schöne ist außerdem, dass meist zeitgleich viele andere Freiwillige vor Ort sind, die sich an verschiedensten Projekten von You4Ghana beteiligen. Neben Praktika in Krankenhäusern der Umgebung bietet sich nämlich auch die Möglichkeit, im Jugendzentrum auszuhelfen oder als Lehramtsstudent an einer Schule zu unterrichten. Ich habe unglaublich viele neue Freunde gefunden und bin super dankbar für die Zeit dort.

Bevor man ein Praktikum in Ghana plant sollte man sich allerdings bewusst sein, dass das Leben in Ghana kaum mit dem in Deutschland zu vergleichen ist und einen – ob man es will oder nicht – mit größter Sicherheit ein riesiger Kulturschock erwartet. Obwohl ich sehr offen und ohne Klischee-Vorstellungen oder besondere Erwartungen angereist bin, haben mich viele Aspekte Ghanas überrascht und herausgefordert.

Ghana – erste Eindrücke

Ich möchte euch daher meine Ankunft und meinen ersten Tag in Ghana schildern: Ich landete abends in Accra, der Hauptstadt Ghanas. Bereits in den ersten Stunden musste ich lernen, dass Zeit in Ghana anders funktioniert. Die Erwartung an deutsche Pünktlichkeit und Effizienz muss man hier ganz schnell ablegen und dafür umso mehr Geduld mitbringen. Nachdem ich also über 1,5h am Gepäckband stand und schon fast die Hoffnung auf meinen Koffer aufgegeben hatte, war es dann endlich so weit und ich machte mich auf die Suche nach meinem Fahrer, den Torben zur Abholung geschickt hatte. Mit dem ersten Schritt aus dem Flughafen schlug mir die heiße benzingetränkte Luft entgegen und meine Augen mussten sich erstmal an die staubige Luft gewöhnen. Es war laut und ich war plötzlich umzingelt von Taxifahrern, die alle hektisch “Obruni, Obruni” riefen. Dunkel erinnerte ich mich an die wenigen Wörter, die ich mir auf Twi (neben Englisch die meistgesprochenste Sprache Ghanas) bereits angeeignet hatte. “Europäer, Europäer” riefen sie also. Etwas panisch fand ich schließlich das “You4Ghana”-Schild und drängelte mich an den Menschen vorbei.
Über Transportmittel und Verkehr hatte ich mir im Vorfeld keine Gedanken gemacht, daher war die Fahrt zu unserer Unterkunft in Obomeng, einem kleinen Dorf im Kwahu-Hochland, umso abenteuerlicher. In dem kleinen Toyota fehlten die Anschnallgurte, sämtliche  Warnleuchten blinkten und über die Lautsprecher schäpperte der Bass mit Afro-Beats, von denen mir kein einziges Lied bekannt war. Gehupt wurde bei jeder Gelegenheit – zur Begrüßung, zum Überholen, als Warnung, wenn plötzlich eine Ziege auf die Straße lief oder halt einfach so ohne mir erkennbaren Grund. Durch das offene Fenster beobachtete ich Menschen, die ihre Ware auf den Köpfen transportierten und zwischen den Autos herliefen, um im Stau stehende potentielle Käufer zu finden. Es dauerte nicht lange, bis die Verkäufer den “Obruni” im Auto erblickten und mir Getränke, Bananenchips, Yam-Pommes, Nüsse und Hähnchenkeulen durch das Fenster entgegengestreckten. Sehr schnell wurde der Asphalt ersetzt durch staubige Wege voller Schlaglöcher. Fahrspuren gibt es nicht, jeder fährt einfach dort wo gerade Platz ist. Überholt wird sehr knapp und wahlweise von rechts oder links, gerne auch auf dem Seitenstreifen. An Schlaf war bei dem Geschaukel also nicht zu denken. Als wir Accra endlich verlassen hatten, wurde die Luft klarer und auch meine Reiseübelkeit etwas besser. Statt der angekündigten 2 Stunden Fahrt galt auch hier “Ghana-Time” und wir kamen nach etwa 4 Stunden und mitten in der Nacht in Obomeng an. “Nur noch schnell zur Toilette und Zähne putzen”, dachte ich mir. Aber wie macht man das eigentlich ohne fließendes Wasser? Zu meiner Erleichterung wurde eine der anderen Freiwilligen durch meine Ankunft wach und erklärte mir, wie in der Unterkunft alles funktionierte. Wasser bekommt man aus einem großen Regenwasser-Tank. Um die Toilette zu spülen, füllt man also einen Eimer mit dem Wasser und kippt es in die Toilette. Diese teilt man sich zu Hochzeiten übrigens mit bis zu 12 Leuten. Geduscht wird ebenfalls mit einem Eimer Regenwasser und einer Kelle. Zu meiner eigenen Überraschung perfektionierte ich die Dusch-Technik so, dass ich zum Ende der 6 Wochen mit nur einem Eimer Wasser zum Duschen auskam. Mein Zimmer war dürftig eingerichtet, drei Betten und ein Regal standen dort. Eine sterbende Kakerlake litt in der Ecke, aber ich beschloss sie – vor lauter Erschöpfung – bis zum nächsten Morgen zu ignorieren. Es roch etwas muffig – ein Vorbote auf die hohe Luftfeuchtigkeit, die mir in den nächsten Wochen noch zu schaffen machen und meine Kleidung zum schimmeln bringen würde. Um etwa sieben Uhr wurde ich durch den Ruf eines Hahns wach und mein erster richtiger Tag begann. Torben und die anderen fuhren mit mir zum Markt im Nachbarort Mpraeso. Für die Fahrt teilten wir uns zu sechst ein winziges Taxi – zwei Leute auf dem Beifahrersitz, vier hinten auf der Rückbank. Anschnallgurte fehlten auch hier, die Warnleuchten blinkten und der Tacho funktionierte nicht. Auf dem Markt erwartete mich ein reges Gewusel von Menschen, die ihre Waren größtenteils auf dem Boden auslegten. Ich sah Gemüse, das ich noch nie vorher gesehen hatte und roch Gerüche, die ich noch nie gerochen hatte. Kleidung und Schuhe lagen dort in riesigen Haufen und ich fragte mich wie man dort jemals das finden sollte, wonach man sucht. Die Kinder grinsten uns an und riefen “Obruni”, oft wollten sie unsere weiße Haut berühren.

Puh, warum sollte man denn nach so einem ersten Tag noch bleiben wollen? Es gibt unglaublich viele Gründe, die für dieses wunderschöne Land sprechen. Ghana bietet unglaublich viel und ich möchte euch hier die Vor- und Nachteile einiger Facetten dieses Landes vorstellen:

Reisen in Ghana

Während große Städte wie Accra und Kumasi für mich nicht sehenswert waren, war die Natur umso beeindruckender. Wenn du also ein Natur-Mensch bist, ist Ghana einfach nur toll und super vielfältig.
Die Wochenenden habe ich zum Reisen genutzt und unter anderem eine Safari im Mole-Nationalpark gemacht, Wanderungen an den Wli-Waterfalls, Bootsfahrten über den Volta-See und Bade- und Surf-Urlaub an den Stränden von Cape-Coast.
Die Natur ist beinahe komplett unberührt vom Tourismus, sodass man auf die Einheimischen angewiesen ist, um Trampelpfade überhaupt als Wanderroute zu erkennen. In Hotels ist man oft alleine und auch kulturreiche Sehenswürdigkeiten wie die “Cape Coast Castle” an der Küste sind oft nur von wenigen Touristen gleichzeitig besucht.
Der einzige Nachteil: Man muss oft lange Fahrten auf sich nehmen und – wie oben schon beschrieben – das auf teilweise katastrophalen Straßen und in gewöhnungsbedürftigen und unsicheren Autos. Das erschwert manchmal die Planung, die holprigen Anreisen haben sich aber jedes Mal gelohnt.
Außerdem ist Ghana ein sehr günstiges Reiseland, sodass man auch mit kleinerem Geldbeutel viel sehen kann.

Die Menschen in Ghana

In Ghana Freunde zu finden, ist nicht schwierig. Die Ghanaer sind unglaublich offen und oft sehr interessiert an Gesprächen mit Europäern. Anfangs hat mich diese Offenheit oft überfordert und auch etwas eingeschüchtert. Teilweise sind Leute aus ihren Autos ausgestiegen, um mit uns zu reden. Manchmal wurde ich ungefragt angefasst, was mir etwas unangenehm war. Gerade Kinder wollten oft die weiße Haut oder manchmal auch die Haare berühren. Die Offenheit der Ghanaer ist wohl der größte kulturelle Unterschied zu Deutschland gewesen. Gerade als Frau habe ich manche Situationen zu Anfang nur schwer einschätzen können. So wurde ich oft von fremden Männern nach meiner Nummer gefragt und sie waren dabei sehr hartnäckig. Im Verlauf der sechs Wochen habe ich aber gemerkt, dass das einfach die Art der Ghanaer ist und ich keine Angst davor haben muss. Ich konnte lockerer darauf reagieren und habe mir Sprüche einfallen lassen, die den Leuten meist freundlich und humorvoll vermittelt haben, dass ich zwar gerne mit ihnen quatsche, aber ihnen nicht meine Kontaktdaten geben werde. Meist wurde ich dann auch in Ruhe gelassen.
Generell sind die Menschen in Ghana unglaublich lebensfroh. Ständig läuft Musik und es wird viel getanzt und gelacht. Ich habe dort viele Leute kennengelernt, die mir wirklich ans Herz gewachsen sind.

Das Essen

Ich hatte mich schon vorher etwas über das ghanaische Essen informiert, habe aber schnell gemerkt dass es doch ganz anders schmeckte, als ich es mir vorgestellt hatte.
Das ghanaische Essen ist verhältnismäßig fettig und fisch- und fleischreich. Meist gibt es als Basis Reis, Yam (die “ghanaische Kartoffel”), Fufu (ein Brei aus Maniok oder Yam und Kochbananen) oder Banku (ein Teigkloß aus gesäuertem Maismehl). Gegessen wird meist mit den Händen, auch wenn uns Europäern netterweise Besteck zur Verfügung gestellt wurde. Es dauert eine Weile, um sich an das Essen zu gewöhnen und man sollte auch auf den ein oder anderen Magen-Darm-Infekt eingestellt sein, da die hygienischen Verhältnisse in Ghana einfach nicht mit denen in Deutschland vergleichbar sind. Sich vegetarisch zu ernähren ist möglich, aber nicht einfach.
Insgesamt war es aber super spannend, da Gewürze und Lebensmittel verwendet wurden, die mir komplett neu waren und die ich in Deutschland noch nie vorher gesehen hatte. Dass mir nicht immer alles geschmeckt hat, war nicht schlimm, denn das Team von “You4Ghana” ist darauf eingestellt und kocht im Notfall auch Spaghetti mit Tomatensoße… 😉

Sicherheit in Ghana

Insgesamt gilt Ghana als sicheres Reiseland, wenn man auf ein paar Dinge achtet.
In Obomeng, dem kleinen Dorf in dem unsere Unterkunft war, habe ich mich sehr wohl gefühlt und konnte mich auch alleine oder bei Dunkelheit frei bewegen.
Wie schon oben erwähnt, gab es in den größeren Städten aber auch Situationen, in denen ich mich als Frau nicht so wohl gefühlt habe. Oft wurde man von manchen Männern erst dann in Ruhe gelassen, wenn man vorgab, verheiratet zu sein. Viele der Mädels kauften sich daher auf dem Markt einen Ring, um Diskussionen zu vermeiden. In größeren Städten wie Kumasi und Accra würde ich nur in Gruppen reisen. In Accra sollte man auch keine Taxis verwenden, sondern stattdessen mit Uber reisen. Wenn man sich vorher informiert, dann kann man unangenehme Situationen aber gut umgehen.
Das größte Sicherheits-Manko ist aber wohl der Verkehr. Die Autos sind oft sehr alt und haben keine funktionierenden Anschnallgurte oder Airbags. Auch die Fahrweise der Ghanaer ist sehr abenteuerlich. Man gewöhnt sich zwar daran, der Gefahr sollte man sich vor einer Reise nach Ghana aber dennoch bewusst sein.

Ghana und die Sache mit dem Weltschmerz

Während einer Reise nach Ghana wird man zwangsläufig auf Situationen und Leid treffen, das man nur aus dem TV kennt. Klar, jeder hat schon Bilder von hungernden und dreckigen Kindern mit zerrissenen Kleidern gesehen. Aber es mit eigenen Augen zu sehen, ist etwas ganz anderes. Ich habe mich oft hilflos gefühlt, da viele Kinder betteln und einen nach Geld fragen. Man kann nicht jedem helfen und mit der Einstellung darf man auf keinen Fall nach Ghana gehen – oder man wird enttäuscht. Auch einige Wochen Freiwilligenarbeit sind dort nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ich war sehr froh um das Team von You4Ghana und den Austausch mit den anderen Freiwilligen. So konnten wir zusammen diese Eindrücke verarbeiten und besprechen, wie man am besten auf verschiedene Situationen reagiert.
Ghana relativiert viele westliche Probleme und hat mir gezeigt, wie privilegiert wir in Deutschland sind.

Zusammenfassend waren die letzten sechs Wochen wohl die aufregendste Zeit meines Lebens. Es wäre gelogen zu sagen, dass sie mich nicht auch zwischendurch an meine Grenzen gebracht haben. Dennoch habe ich Ghana lieben gelernt mit all seinen Eigenheiten und würde es jederzeit wieder als Ziel für mein Praktikum wählen.
Meda w’ase, Ghana, für diese tolle Erfahrung!

Marie

Lassen Sie einen Kommentar da

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

1 comment