„Wollen Sie mein Freund sein?“ ist eine Frage, mit der man in Usbekistan rechnen muss und man wird mit ihr nicht etwa wie bei uns in Deutschland von Kindern überfallen, sondern von erwachsenen Studenten im Alter von rund 20 Jahren. Gerne wird diese Frage auch bereits beim ersten Treffen gestellt, so dass man sich mit der heiklen Situation konfrontiert sieht, den anderen nicht vor den Kopf stoßen zu wollen, während man sich als Deutscher denkt, dass man den anderen doch noch gar nicht ausreichend kennt, um diese Frage tatsächlich beantworten zu können – vorausgesetzt, man brächte es überhaupt über sich, dem erwartungsvoll lächelnden Studenten einen negative Antwort zu geben.
Dann bleibt natürlich immer noch der Punkt der expliziten Freundschaftsbekundung an sich, etwas, das wir als Deutsche nur aus Kindestagen kennen, während wir später einfach zusammen rumhängen und uns verabreden, daraus dann eine Freundschaft im stillschweigenden Einvernehmen aller Beteiligten entsteht, was jedoch nie explizit verbalisiert wird. Dieses Phänomen der expliziten Freundschaftsbekundung begegnet einem jedoch nicht nur bei Usbeken, sondern auch bei Russen und Chinesen im Land habe ich dies beobachtet. Schnell wird man hier zu „best friends“ oder ist „wie eine Familie“ (diese Aussage kam immerhin erst nach knapp fünf Wochen).
Es ist noch darauf hinzuweisen, dass nur deutsche Männer im Kontakt mit Männern in Usbekistan diesem Phänomen begegnen werden; mir ist diese Frage mehrfach gestellt worden, aber niemals von einer Frau, ebenso wenig ist den Praktikantinnen, mit denen ich nach Usbekistan gereist bin, diese Frage gestellt worden. Es scheint sich also um ein rein männliches Phänomen zu handeln (weswegen die bisherige Verwendung maskuliner Formen nicht das generalisierende Maskulinum bezeichnet).
Über die Gründe, warum dies ein exklusiv männliches Phänomen zu sein scheint, lässt sich nur spekulieren; möglicherweise hat es etwas damit zu tun, dass in der noch immer stark patriarchalen usbekischen Gesellschaft der engere Kontakt zwischen Männern und Frauen auf die Zeit nach der durch die Eltern arrangierten Hochzeit beschränkt ist. Zwar haben sie (natürlich) auch schon vorher Kontakt miteinander, da beispielsweise die Gruppen an der Universität gemischt-geschlechtlich sind, jedoch findet man auch hier eine klare Geschlechtertrennung: auf der einen Seite des Raumes sitzen die Frauen, auf der anderen die Männer. Es kommt nicht vor, dass Frauen und Männer im Unterricht zusammen an einem Tisch sitzen. Dies kann man bereits in der Schule bei den Kindern beobachten und es zieht sich durch bis an die Universität.
Dies ist natürlich nur ein möglicher, spekulativer Erklärungsansatz und ebenso gut kann es möglich sein, dass es diese expliziten Freundschaftsbekundungen auch zwischen Frauen und Männern sowie zwischen Frauen gibt, es uns nur noch nicht begegnet ist.
Mit der Freundschaft in Usbekistan ist auch die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, bisweilen auch Distanzlosigkeit der usbekischen Bevölkerung anzusprechen. Es ist leicht, hier Kontakte zu knüpfen – es ist geradezu schwierig, wollte man sie vermeiden! Von den Studierenden werden uns einige zur Seite gestellt, die uns bei einigen wichtigen Angelegenheiten helfen (wie dem Umtauschen von Euro in Sum in der Bank oder – noch viel wichtiger – dem Erlangen unserer usbekischen SIM-Karte) und uns Taschkent zeigen. Außerhalb des geplanten Programms treffen wir uns auch mit den Studierenden, werden auch zu ihnen nach Hause eingeladen und verbringen eine angenehme Zeit mit ihnen. Wir können sie um Hilfe bei verschiedenen Angelegenheiten bitten wie beim Buchen unserer Flugtickets nach Urgench, treffen aber auch unterwegs hilfsbereite Usbeken wie am Bahnhof, als wir Zugtickets buchen wollten, wo wir das Glück hatten, eine Usbekin zu treffen, die Deutsch spricht, und einen Usbeken, der Englisch spricht, (ähnlich wie bei Flügen muss man die Tickets vorher buchen und rechtzeitig zum Einchecken und den Sicherheitskontrollen am Bahnhof erscheinen). Wir hätten es sicherlich auch ohne sie geschafft, aber mit ihrer Hilfe ging es schneller – was immer noch bedeutete, dass wir eine Stunde am Bahnhof verbracht haben, Wartezeit in der Schlange vor dem Schalter inklusive, doch die Usbeken scheint so etwas nicht zu stören, vielleicht, weil sie es gewohnt sind, vielleicht, weil sie Ausländer kennen lernen und sich auf Deutsch oder Englisch mit ihnen unterhalten können. Auch bei anderen Gelegenheiten treffen wir Usbeken, freunden uns mit ihnen an und sehen sie später wieder, teilweise auch in den großen Reisestädten auf der Seidenstraße (Chiwa, Samarkand, Buchara), und sie zeigen uns dann ihre Heimatstädte – bei denen es sich natürlich um die schönsten Orte in Usbekistan handelt, wie man gerne betont. Insgesamt ist man uns Fremden gegenüber aufgeschlossener, als man es in Deutschland gegenüber Fremden wäre, was für uns aufgrund unseres kulturellen Hintergrunds etwas ungewöhnlich gewesen ist, wird mittlerweile aber als angenehm empfinden. Dass viele der Usbeken, mit denen wir uns anfreunden und die uns hilfsbereit zur Seite stehen, dann auch bei der einen oder der anderen Gelegenheit unsere Hilfe erfragen, ist kaum der Anmerkung wert – es ist eben gut, viele Leute zu kennen, die einem bei verschiedenen Anlässen weiterhelfen können.
Etwas anstrengend kann die für uns Deutsche empfundene Distanzlosigkeit der Usbeken sein. Einige der ersten Fragen beim Kennenlernen sind stets „Wie alt sind Sie?“ und „Sind sie verheiratet?“ Sagt man, wie in meinem Fall, dass man 28 und ledig ist, muss man mit einem mitleidigen „Oh“ rechnen, gefolgt von der Frage nach den Gründen für den eigenen Singlestatus (es macht allerdings sehr viel Spaß, diesen Spieß irgendwann umzudrehen, wenn man einen 25-jährigen Usbeken trifft, der noch unverheiratet ist, und ihm die gleiche Frage stellt). Während man bei uns eher nach dem Beruf oder der Ausbildung fragt, fragt man hier nach Alter und Beziehungsstatus. Dies kann insbesondere bei Familienfesten sowohl eine Herausforderung als auch einen Spaß darstellen, denn dann bekommt man gleich Einblicke in das Arrangieren von Ehen, da immer jemand jemanden kennt, der noch eine Tochter oder einen Sohn zu verheiraten hat und dann anfragt, ob man Interesse hätte. Schwierig kann es bisweilen auch sein, sich aus Gesprächen mit Usbeken zu lösen oder einfach einmal etwas Zeit für sich alleine zu finden, da dieses Konzept in Usbekistan fremd zu sein scheint, da man hier immer mit der Familie oder den Freunden zusammen ist. Ebenso strapaziös kann es sein, wenn man unterwegs ungewollt neue Bekanntschaften knüpft, denn alleine schon weil wir Ausländer sind – blonde Europäer fallen eben auf –, werden wir immer mal wieder angesprochen.
Abschließend lässt sich noch ein weiterer Grund anführen, warum man in Usbekistan gerne Freundschaften knüpft und neue Leute kennenlernt – und diese Information stammt von einem Usbeken selbst: um Kontakte zu haben. Vitamin B. Es ist wichtig, die richtigen Leute zu kennen. Nicht so sehr mit Geld kann man bessere Angebote bekommen, Vorgänge beschleunigen oder zu seinen Gunsten neigen, sondern dadurch, dass man die richtigen Leute kennt, gleiche Bekannte und Freunde hat. Entsprechend ist eine der ersten Fragen im Geschäftlichen, wen man kennt.
Insgesamt habe ich mich in Usbekistan sehr gut aufgehoben gefühlt. Die Menschen habe ich als freundlich und hilfsbereit erlebt, man findet schnell Anschluss und lernt neue Leute kennen, mit denen man Zeit verbringen kann, die einem bei vielen Dingen, die einem Westeuropäer fremd sein mögen, weiterhelfen können, so dass man sich trotz der tausende Kilometer Entfernung zur Heimat nie einsam oder alleine gelassen fühlt.
Lassen Sie einen Kommentar da