Die letzten drei Wochen meines Aufenthaltes in Madagaskar sind dem Reisen gewidmet. Als meine Reisebegleitung eine Woche vor Start in Antananarivo eintrifft, macht sich Vorfreude breit: sehr viele Madagass*innen hatten mir immer wieder versichert, wie wichtig es doch sei, im Land herumzukommen und die unterschiedlichen Lebensweisen der 18 Stämme zu entdecken.
Die Reiseroute habe ich lange im Voraus geplant: Erst in den Süden nach Fianarantsoa, von dort aus einige Tagestrips in die Umgebung. Dann die Fahrt mit dem legendären “Dschungelexpress”, einer der letzten, noch aus Kolonialzeiten übrig gebliebenen, Personenzüge Madagaskars. Diese Fahrt nach Manakara an der Ostküste ist zwar nur 160 km lang, dauert aber mindestens 10 Stunden. Von dort aus soll es schließlich noch für einige Tage auf die Trauminsel Sainte Marie zum Entspannen und Seele baumeln lassen gehen.
Ich erlebe unglaublich viel auf dieser 20-tägigen Tour, zu viel, um das hier im Detail aufzuschreiben. Deshalb im Folgenden nur ein paar Eindrücke: Ich bewundere die roten Ziegelsteinhäuser des Hochlandes und die schlichten Holzhütten an der Ostküste, jeweils an die unterschiedlichen Landschaftstypen angepasst. Ich laufe, auf den Spuren von Lemuren, staunend durch den Regenwald und bin sauer als ich erfahre, dass die dort einst ansässige Bevölkerung von internationalen Forschern und Umweltschützern für die Eröffnung von Nationalparks aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben wurde. Ich fahre an sehr vielen Buschbränden entlang und frage mich, inwiefern diese kontrolliert gelegt wurden. Ich komme mit einheimischen, jungen Akademiker*innen ins Gespräch, die recht hoffnungslos auf Arbeitssuche sind und die aktuelle Regierung dafür verantwortlich machen. Ich versuche zu verstehen, nach welcher Logik die madagassische Polizei Taxi-Brousse aus dem Verkehr zieht und wieviel Schmiergeld anschließend fließt, damit diese dann weiterfahren dürfen.
Ich beobachte einige französische Tourist*innen, an deren Umgang mit den Einheimischen abzulesen ist, dass sie die Zeit der Entkolonialisierung verschlafen haben. Ich bin entsetzt darüber, dass Tourist*innen Bonbons an sich darum schlagende Kinder verteilen. Dass manche madagassische Kinder wiederum in zielstrebiger Erwartung mit bettelnden Händen, ohne jegliche Begrüßung im Imperativ (“donne-moi…!”) nach Süßigkeiten verlangen, oder nach Stiften, Heften und Seife. Ich stelle fest, dass auf dem Land sogar leere Plastikflaschen als Gaben heiß begehrt sind, in reicheren Touristenorten jedoch nicht.
Ich teste verschiedenste köstliche Spezialitäten und exotische Früchte, deren Namen ich zuvor noch nie gehört und danach sofort wieder vergessen habe. Ich plantsche unter einem tropischen Wasserfall und komme an einem absolut paradiesischen Traumstrand zur Ruhe. Ich fange an, Schlaglöcher WIRKLICH zu hassen, und finde gleichzeitig eine sechsstündige Busfahrt einen Katzensprung. Ich betrachte ungläubig die Überbleibsel großer Brücken, die von Zyklonen weggefegt wurden und will mir gar nicht ausmalen, welche Folgen der Klimawandel noch für das Land haben wird. Ich lasse mich beim Schnorcheln von bunten Fischen verzaubern. Und immer und überall von freundlichen und humorvollen Madagass*innen bezaubern.
Es heißt, dass man keine Reise so aufhört, wie man sie begonnen hat. Das trifft auf diese Reise und mich besonders zu: Ich bin bei Reiseantritt schon so an Leute, Land, Lebensrhythmus und Klima gewöhnt, dass ich mich immer aufnahmefähig und fit fühle. Ich kann das Erlebte besser kontextualisieren, da ich nach drei Monaten einen guten Überblick über Kultur, Gesellschaft und Politik habe.
Ich bin dankbar für meine Reisezeit, denn selbst wenn ich nur den kleinsten Teil des riesigen Landes gesehen habe, so habe ich doch das Gefühl, sehr viel mehr verstanden zu haben, als zuvor.
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