• Menu
  • Menu

Education Attention – Ein Forschungsprojekt in Cotacachi, Ecuador

Eine Grundannahme des Projektes, welches ich für die nächsten zwei Monate begleiten werde, ist es, dass die Art und Weise, wie Eltern die Aufmerksamkeit ihrer Kinder lenken, Einfluss darauf hat, welche Wahrnehmungsgewohnheiten ihre Kinder ausbilden.

Das Projekt ist eine Kooperation der Universität Münster mit der Universidad de Otavalo in Ecuador. In früheren Studien konnte gezeigt werden, dass sich die Wahrnehmungsstile bei Teilnehmenden ab ca. 4 bis 6 Jahren je nach Kultur unterscheiden. Während in der euroamerikanischen und europäischen Mittelschicht vor allem ein analytischer Stil vorherrscht, bei dem der Wahrnehmungsfokus überwiegend auf dem Objekt und seinen Eigenschaften liegt, findet man in ostasiatischen und indigenen amerikanischen Kulturen den holistischen Wahrnehmungsstil, bei dem neben dem Objekt auch die Hintergrundobjekte und deren Eigenschaften wahrgenommen werden.

Mittels einer Haupt- und zwei ergänzenden Studien soll die Entwicklung kulturspezifischer Wahrnehmungsstile von 4- bis 9-jährigen Kinder der gebildeten Mittelschicht aus Münster und Kyoto (Japan) und indigenen Familien in Ecuador beschrieben und die dahinterliegenden Wirkmechanismen untersucht werden. In allen drei Studien werden drei Aufgaben verwendet. Erstens, eine Bildbeschreibungsaufgabe, in der kodiert wird, wie sehr das Kind die relative Betonung auf das Objekt legt. Zweitens, eine Wiedererkennungsaufgabe, bei der die relative Erinnerungsleistung für das fokale Objekt gegenüber dem Hintergrund erfasst wird. Und drittens eine Eye-Tracking Aufgabe, bei der die relative Blickdauer auf das Objekt gemessen wird. Die erste Ergänzungsstudie beschäftigt sich damit, wie man den Wahrnehmungsstil der Kinder kurzfristig durch Sprache beeinflussen kann, die andere ist eine Trainingsstudie über mehrere Tage und wird lediglich in Deutschland durchgeführt.

Die Durchführung von wissenschaftlichen Studien in einem Land wie Ecuador, dazu noch mit der indigenen, ländlichen Bevölkerung, gestaltet sich als herausfordernd. Die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung Ecuadors lässt sich nur schlecht in Kategorien abgrenzen, die markantesten sind jedoch die Indigenas, die Mestizen (Nachfahren indigener und europäisch stammender Menschen), die europäisch abstammende Bevölkerung und die Afroecuadorianer (Nachfahren ehemaliger Sklaven). Die indigene Bevölkerung, mit der wir die Studie durchführen wollen, verhält sich sehr vorsichtig gegenüber Europäern sowie gegenüber Ecuadorianern europäischer Abstammung. Die sprachlichen und kulturellen Barrieren sind oftmals groß, sodass die Kontaktaufnahme schwierig ist. Deshalb hilft uns eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung. Nancy ist selber indigener Abstammung und gewinnt dadurch schnell das Vertrauen der Landbevölkerung. Um Versuchspersonen zu rekrutieren, geht Nancy von Tür zu Tür in den kleinen Comunidades rund um Cotacachi und Otavalo herum und fragt, ob die Familien Kinder zwischen 4 und 9 Jahren haben und ob sie Interesse hätten, an der Studie teilzunehmen. Wenn die Familien zustimmen, schreibt Nancy ihre Kontaktdaten auf und vereinbart einen Termin.

Ab hier beginnt meine und Isabels Aufgabe. Jeden Abend bekommen wir von Nancy eine Liste mit den “citas” (Termine für die Erhebungen) geschickt. Die Kinder werden entweder der Hauptstudie 1 zugeordnet oder der Ergänzungsstudie 2. Wir müssen darauf achten, dass Alter und Geschlecht ausbalanciert werden, also in jeder Studie gleich oft vorkommen. Wir machen uns auf den Weg zur Comunidad, in der wir aktuell erheben. Momentan ist die Comunidad mit dem Namen “El Batán” zu Fuß erreichbar über einen holprigen Weg aus in den Boden gedrückten Steinen, vorbei an Steinhütten, vor denen Ziegen und Kühe grasen.

Weg nach El Batán

Jede Comunidad wird von einem oder einer “Presidente” geleitet, die uns die Erlaubnis erteilt, in der Comunidad zu erheben. Bei dieser Person bekommen wir auch den Schlüssel für das “Casa Comunal”, eine Art Gemeindehaus der Comunidad, in der wir unsere Technik aufstellen.

In einem mit einer Plane abgedunkelten Raum, bauen wir einen Erhebungslaptop, einen externen Monitor und den Eye-Tracker auf. Hier werden später die Aufgaben mit den Kindern durchgeführt. Im Hauptraum stellen wir Brot und Cola bereit, damit die Familien immer etwas zu essen und zu trinken haben. In einem dritten Raum werden die Interviews mit den Müttern durchgeführt. Jetzt sollte es losgehen, doch Pünktlichkeit wird in Ecuador, anders verstanden. Nicht immer kommen die Familien von alleine, manchmal müssen wir sie anrufen oder uns im Dorf durchfragen, wo die Familie wohnt, denn nicht alle haben ein Telefon. Selbst, wenn wir dann das Haus gefunden haben, heißt das nicht, dass die Familien dann auch da sind. Dadurch kommen von vier geplanten “citas” am Tag ab und zu nur eine oder zwei Familien. Für uns Deutsche mag das schwierig zu verstehen sein, doch hier prallen einfach zwei so verschiedene Kulturen aufeinander, dass es zu Missverständnissen kommt. Niemand meint hier etwas böse, und es zeigt mir nur noch mehr, dass wir öfter einen Schritt zurücktreten sollten, wenn wir mit unserer Kulturbrille auf andere Menschen schauen.

Versuchsaufbau in El Batán

Bei den Studien unterstützen uns zwei Assistentinnen von der Universidad de Otavalo. Jede von ihnen ist für eine der Studien zuständig und führt während der Erhebung die Aufgaben mit den Kindern durch. Gleichzeitig machen Isabel und ich das Interview mit den Müttern. Einige der Mütter können nicht lesen, sprechen nur schlecht Spanisch, da sie Zuhause die indigene Sprache Kichwa sprechen, oder verstehen aufgrund der Kulturunterschiede die Fragen nicht.  Unsere Erhebungsmethoden orientieren sich stark an unserem westlichen Blickwinkel und die Fragen sind manchmal einfach nicht gut angepasst. Auf keinen Fall liegt es vorrangig an den Müttern, dass nicht alle Dinge funktionieren. Das ist vielmehr eine längerfristige Aufgabe, an der die kulturvergleichende Forschung arbeiten muss.

Die Arbeit ist also eine große Herausforderung für alle Beteiligten, doch genau das macht sie auch so spannend. Wenig ist planbar, kein Tag ist wie der andere und Eigeninitiative und Organisation sind absolut notwendig. Besonders anfangs fragte ich mich, auf was ich mich da eingelassen hatte, und wie ich all das schaffen sollte, die Sprachbarriere zu überwinden, dabei den Überblick über die korrekte Durchführung der Studie zu behalten und nicht die Nerven zu verlieren. Doch ich weiß, dass ich an dieser Herausforderung wachsen und mit unbezahlbaren neuen Erfahrungen nach Hause zurückkehren werde.

Franziska Sophie

Lassen Sie einen Kommentar da

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

1 comment