„Johanna, mein Vater hat eine Frage an dich.“ erwähnt Nunu, meine 28-jährige Gastschwester, während sie frisches Gemüse für das Abendessen schnibbelt. „Was wirst du in Deutschland über Georgien erzählen?“ übersetzt sie die georgischen Worte ihres Vaters Ramin. Ich schaue in die beruhigenden, braunen Augen meines Gastvaters und werfe ihm ein Lächeln zu. Entgegen seiner Erwartungen, antworte ich ohne zu zögern und mein Lächeln entwickelt sich zu einem breiten Grinsen:„Ich werde erzählen, dass bei euch viel, viel Essen und Massen Wein auf den Tisch kommen!“ Nunu lacht laut und übersetzt ins Georgische. Nun lacht auch Ramin und meine Gastmutter Lia gesellt sich zu uns an den Tisch. „Ich werde erzählen, dass ich in Georgien sehr herzliche, gastfreundliche und interessierte Menschen getroffen habe.“ Ich lege eine kurze Pause und fahre fort „Außerdem werde ich erzählen, dass ich euch, meine zweite Familie, gefunden habe.“ Nachdem Nunu das Gesagte übersetzt hat, schaue ich in drei zufriedene, geschmeichelte Gesichter und meine Gastmutter nimmt mich in den Arm.
Georgien oder engl. Georgia – ein bisher unentdecktes Land mit großem Potenzial, ein populäres Reiseziel zu werden. Vor meiner Abreise erfahre ich in Gesprächen mit Freunden und Bekannten zweierlei Reaktionen. Die meisten sind völlig überrumpelt und haben nie von diesem unscheinbar wirkenden Land (in etwa so groß wie Bayern) gehört oder verwechseln es gar mit dem südöstlichen Bundesstaat Amerikas. Ein paar wenige (vor allem Wanderfreunde) begegnen mir hingegen mit großer Begeisterung. Auch beim Check-In am Flughafen begegnen mir einige junge Leute mit großen Wanderrucksäcken im Gepäck.
Woher kommt diese Begeisterung?
Nach nun exakt vier Wochen in Georgien, genauer noch Batumi, fallen mir zahlreiche Gründe ein. Lasse ich die verstrichene Zeit und die vielen Erlebnisse revue passieren, empfinde ich große Zufriedenheit und Dankbarkeit.
Georgien – größtmögliche Vielfalt auf kleinstem Raum
…und das in vielerlei Hinsicht. Wenn Wanderer von Georgiens Vielfalt sprechen, meinen sie damit sicherlich das große Angebot verschiedenster Naturschauplätze – so bietet das Schwarze Meer Abkühlung von den sommerlichen Temperaturen, die sogar bis Oktober anhalten. Ganz besonders das Kaukasus-Gebirge zeichnet sich zudem durch sein großes Artenreichtum hinsichtlich Flora und Fauna aus. Von Leopard über Streifenhyäne über Wolf bis zu den europäischen Braunbären gibt es zahlreiche Tierarten, die zum Teil nur in Georgien anzutreffen sind. Ebendieser Naturreichtum lässt auf die verschiedenen Klimazonen Georgiens schließen, welche die schweißtreibende Entscheidung vieler Reiseplanenden, ob nun dieses Jahr Sommer- oder Winterurlaub gemacht wird, abnimmt. Schließlich ist Georgien kein „a oder b“, sondern vielmehr „a und b und sogar c“ – die Vereinigung von Entspannung in der Sonne am Meer und Abenteuerlust beim Wandern oder gar Skifahren in den Bergen. Übrigens befindet sich Ushguli, das höchste Dorf Europas in Georgien, hättest du‘s gewusst?
Als angehende Deutschlehrerin begeistert mich zusätzlich die ausgesprochene Vielfalt hinsichtlich der gesprochenen Sprachen. So haben die Georgier ihre eigene Sprache mit einmaligem Schriftsystem, die einen großen Bestandteil ihrer interessanten Kultur ausmacht. Wer gedacht hat, das Deutsche sei die einzig hart klingende Sprache, der hat die verschiedenen ch-Laute des Georgischen noch nicht gehört! Interessant ist weiterhin das Zusammentreffen von Georgisch mit Russisch und Türkisch, zwei weitere Sprachen, die viel gesprochen werden. Das Deutsche wird neben Englisch in öffentlichen sowie privaten Schulen unterrichtet und erfreut sich großer Beliebtheit. So habe ich in Georgien die wertvolle Chance, meine Muttersprache, das Deutsche, im Kontrast zu mehreren Fremdsprachen neu zu ordnen und zu verstehen.
Georgien – eine Kultur bittet zu Tisch
Wer nach Georgien kommt, sollte unbedingt mit leerem Magen kommen! Das gemeinsame Essen in Gestalt von prall gedeckten Tischen mit zum Teil mehrstöckig gestapelten Tellern voller georgischer Spezialitäten, sorgt regelmäßig für ein geselliges Zusammentreffen und überfüllte Bäuche. Hatte man eigentlich nur nach dem Weg gefragt, sitzt man plötzlich umgeben von Bienenstöcken in wunderschöner Natur und probiert hauseigenen Honig, selbst gebackenes Brot, typisch georgischen Käse und selbstgebrannten Chacha. Wäre das nicht schon genug, folgt schließlich die Einladung zum Angeln mit anschließendem Abendessen… und diese Ereignisse sind keine Seltenheit! Ich habe gelernt: Die Georgier benötigen kein Fest, um zu speisen, es ist ihnen vielmehr ein Fest zu speisen – das Essen selbst wird zum Fest, an dem alle (auch Fremde) teilhaben. So wird man überall und jederzeit herzlich mit viel Essen und Wein empfangen.
„Was du behältst ist verloren, was du weitergibst, ist gewonnen.“
(georgisches Sprichwort)
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