Ob man will oder nicht: Als nicht-asiatischer Ausländer fällt man in Japan jenseits der großen Städte auf. Da ist es zunächst ungewohnt und seltsam, dass man ständig beobachtet wird und nicht selten im Mittelpunkt steht, aber eine Kuriosität, mit der man zumindest bei einem Aufenthalt in ländlichen Gebieten lernen muss umzugehen.
Da rechtliche Bestimmungen die Immigration für gaikokujin, Menschen aus anderen Ländern, ausgesprochen schwierig und gerade im Bereich der Medizin nahezu unmöglich machen, findet man abseits der großen Städte immer noch wenige Pioniere, die den Schritt in das fernostasiatische Land gewagt haben.
Dennoch hatte ich während der Zeit meines Aufenthalts in Japan auch Gelegenheit, bei von den Universitäten in Utsunomiya organisierten Ausflügen zum Erdbeerpflücken, zu Erdbebensimulationszentren oder bei Ausflügen zum gemeinsamen Reisanpflanzen Kontakte mit internationalen Studierenden von anderen Universitäten in der Präfektur Tochigi zu schließen. Einen besonderen Einblick in das Leben der Japaner in ihren eigenen vier Wänden konnte ich dabei im Rahmen eines Homestays in Nakagawa in Tochigi bei einer japanischen Familie gewinnen. Auch wenn dort keiner Englisch gesprochen hat und es auch keinen Internetempfang gab, habe ich selten so unfassbar herzliche Menschen kennenlernen dürfen, die keine Kosten und Mühen gescheut haben, mir ihre Art zu leben und Kultur näherzubringen.
Ob ich mir vorstellen könnte, für immer im medizinischen Bereich in Japan zu arbeiten, muss ich dies trotzdem in Frage stellen. Ärzte in Japan haben eine besonders hohe Arbeitsbelastung und teilweise nur drei bis vier Tage im Monat frei, weil selbst sonntags Patienten vom betreuenden Arzt gesehen werden müssen oder Besuche bei Kongressen verpflichtend sind. Darüber hinaus kann oder zumindest sollte der wenige Urlaub im Jahr nicht vollständig genommen werden, weil es gesellschaftlich eben nicht angesehen ist, seine Arbeit nicht in das Zentrum seines Lebens zu stellen. Und selbst bei Eintritt in das Rentenalter mit 65 Jahren hört nur ein Bruchteil auf, wöchentlich regelmäßig zu arbeiten – zum einen, weil man es nie anders gemacht hat und zum anderen, weil die geringe Rente nur selten zum Leben reicht. So gibt es in einer scheinbar perfekt funktionierenden Gesellschaft etliche soziale Probleme, die man im öffentlichen Leben häufig versucht zu verschleiern.
Dennoch steht für mich fest: Viele Klischees entstammen oft bestimmten Gruppen und vermitteln ein in der westlichen Welt eindimensionales Bild von Japan. Trotz eines harten Arbeitssystems macht man in der Freizeit Pläne mit Freunden und Familie, trotz geringer Geburtsraten führen auch junge Japaner Beziehungen, trotz Anime und Manga sind die Interessen mit Snowboarding im Winter, Erdbeerpflücken im Frühling und Musikfestivals im Sommer mindestens genauso vielfältig wie bei uns. Außerdem fiebert bereits das ganze Land auf die olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio hin.
Was nehme ich also mit? Neben vielen schönen Ausflügen mit neuen Freunden wie eine Reise in die Edo-Zeit Japans im Edowonderland, zum Töpfern in eine Kleinstadt oder in sogenannte Onsens, japanische Bäder mit natürlichen heißen Quellen, sehe ich in meiner Zeit in Japan neben einer fachlichen und beruflichen aber vor allem eine persönliche Weiterentwicklung. Darüber hinaus hat der Einblick in den chirurgischen Arbeitsalltag für mich selbst Gewissheit und Bestätigung für meinen weiteren Lebensweg und beruflichen Werdegang gebracht.
So geht eine unfassbar spannende, lehrreiche und wundervolle Zeit im Land der aufgehenden Sonne mit den mitunter gastfreundlichsten Menschen zu Ende, denen ich je auf meinen Reisen begegnet bin. Ob gesellige Abende mit japanischem biru und edamame, japanischen Bohnen, im Biergarten auf den Hochhäusern der Städte, Mittwochabenden, an denen man mit Studierenden und Lehrerinnen und Lehrern Fußball spielt, oder an den zahllosen Karaokeabenden mit Freunden: Ich kann nur jeden dazu ermutigen, einen Auslandsaufenthalt abseits der Komfortzone zu absolvieren und seine persönlichen Grenzen zu überwinden. Ich habe es sicher nicht bereut, die Reise hierher angetreten zu haben. So bleibt mir am Ende einer ereignisreichen Zeit nur eins zu sagen: どうもありがとうございました。Vielen Dank für die wundervolle Zeit, Japan.
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