Über Umwege zum Film
Von Tim Zemlicka
Wenn Sofia Ose auf ihre Studienzeit zurückblickt, ergibt sich ein Bild, das wohl die Laufbahn vieler Studierender beschreibt: Es ist oft ein langer Weg, der über viele Umwege und Ideen letztendlich zum Ziel führt. Die 30-Jährige ist heute als Filmemacherin tätig, ihre Filme laufen auf diversen Festivals, sie hat bereits den einen oder anderen Preis „abgesahnt“. So gewann sie beispielsweise mit ihrem Experimentalfilm „Ein kleiner Kreis“ im November 2023 beim Copenhagen Film Festival in der Kategorie „Bester kurzer Dokumentarfilm“. Darin arbeitet sie die Geschichte ihrer selbst erfahrenen Fehlgeburt in einem „visuellen Tagebuch“ auf.
Generell scheut sie nicht vor Themen zurück, die häufig tabuisiert werden, ihre Filme behandeln beispielsweise Scham, Trauer, Verletzlichkeit oder weibliche Selbstbefriedigung. „Bei vielen Themen frage ich mich: Warum sind sie eigentlich ein Tabu? Was ist das Problem dabei, darüber zu sprechen? Ich komme häufig zum Ergebnis, dass diese Tabus ungerechtfertigt sind“, erklärt die Kölnerin. Ein besonderes Interesse hat sie am menschlichen und insbesondere am weiblichen Körper, aktuell plant sie beispielsweise einen Dokumentarfilm zur Entsexualisierung der weiblichen Brust.
Sofia Ose hatte schon immer eine Leidenschaft für die Kunst und nahm nach ihrem Abitur ein Vorstudium an einer Mappen- und Vorbereitungsschule für Kunsthochschulen wahr. „Ich hätte genug Material gehabt, um eine Bewerbungsmappe zu füllen, habe allerdings nie eine zu Ende gebracht“, erinnert sie sich. Eine Sehnsucht nach sozial und kulturell relevanten Themen habe sie letztendlich dazu bewegt, sich stattdessen an der Universität Münster für den Zwei-Fach-Bachelor Kultur- und Sozialanthropologie und Spanisch zu bewerben. Das Thema Film spielte dabei noch keine Rolle. „Ich kannte mich nicht mit Kameras oder Technik aus und hätte mir das Filmemachen auch nicht zugetraut“, erzählt sie. Dafür behält sie die Seminare im Institut für Ethnologie am münsterschen Studtplatz in guter Erinnerung. „Das Studium fand dort und am Aasee statt. Das Gebäude ist wunderschön, aber mit 20 Leuten konnte es schon kuschelig werden.“
Der erste Anstoß zum Thema Film kam für Sofia Ose nach den ersten drei Semestern ihres Studiums mit dem Seminar „Visuelle Anthropologie“. Darin wird vermittelt, wie audiovisuelle Medien soziale und kulturelle Praktiken festhalten können. „Während des Seminars sind wir zum Freiburger Filmforum gefahren. Das war mein erster Berührungspunkt mit der Arbeit des Filmemachens und hat sofort mein Interesse geweckt“, erinnert sie sich. „Wie schön und künstlerisch ansprechend auch der Dokumentarfilm sein konnte, war mir vorher nicht klar.“
Nach dem Abschluss ihres Bachelorstudiums verfolgte die gebürtige Bayreutherin ihre neue Begeisterung für das Filmemachen in ihrer weiteren Ausbildung. Den Master „Kultur, Ästhetik, Medien“ absolvierte sie in Düsseldorf und kehrte 2021 nach Münster zurück, um an der Masterschool Dokumentarfilm der Filmwerkstatt teilzunehmen. „Dort habe ich vor allem gelernt, wie Exposés zur Förderung gebracht werden und welche Dinge im Hintergrund beachtet werden müssen, um einen Film ins Rollen zu bringen.“ All diese Puzzleteile setzten sich letztendlich zu einem Ganzen zusammen und führten sie zu ihrem aktuellen Projekt.
Im Oktober 2023 wurden Sofia Ose und ihr Kollege Robert Summerfield von der Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen und der Wim-Wenders-Stiftung mit einem Stipendium zur Förderung innovativer filmischer Erzählkunst ausgezeichnet. Mit dieser Förderung wollen sie einen Film realisieren, der von traumatischen Erfahrungen von Kenianern erzählt, die an der Entwicklung der KI von ChatGPT arbeiteten. „Auch hier geht es um Menschen, die vor allem im Westen nicht gesehen werden und zu wenig Gehör bekommen“, erläutert die Filmemacherin. „Eine Outsourcing-Firma hat im Auftrag von OpenAI bis Ende 2021 kenianische Arbeitskräfte angestellt, um potenziell strafbare Inhalte zu kategorisieren. Neben schlechter Bezahlung, langen Schichten und mangelnder Absicherung sorgte diese Arbeit für Traumatisierung durch ungefilterte Inhalte.“ Sofia Ose und ihr Kollege standen bereits mit Betroffenen in Kontakt, seit Anfang Januar sind sie für eine Recherche und Stoffentwicklung vor Ort in dem ostafrikanischen Land.
Aktuell arbeitet sie in erster Linie für das Medienprojekt Wuppertal und dreht neben ihren Großprojekten sowohl kurze Experimental- und Dokumentarfilme als auch diverse Auftragsproduktionen oder gibt Workshops. Auch wenn sie derzeit keine berufliche Verbindung mehr nach Münster hat, kommt sie gern wieder hierher, um mit Freundinnen über den Markt zu schlendern. „Ich war schon an vielen Orten auf der Welt. Trotzdem fühle ich mich in Münster immer zuhause und geborgen.“
Was wird die Zukunft bringen? „Ich wünsche mir, dass ich häufiger die Chance haben werde, meine Projekte gefördert zu bekommen und diese vielleicht auch irgendwann ins reguläre Kinoprogramm zu bringen“, hofft Sofia Ose. „Ich glaube an die Kraft des künstlerischen Dokumentarfilms, der Menschen berührt und gesellschaftliche Veränderungen anstößt.“
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 1, 31. Januar 2024.