Vom Journalisten zum „Zirkusdirektor“
Von Norbert Robers
Gerne wäre Dr. Thomas Bellut an diesem sonnigen Nachmittag auch zum Aasee gegangen oder durchs Kuhviertel spaziert – also dorthin, wo er sich auch während seiner Studienzeit an der Universität Münster gerne aufhielt. Aber dafür ist heute keine Zeit. Am Abend referiert der 68-Jährige auf Einladung der Universitätsgesellschaft Münster über die aktuelle Relevanz von Medien und über den Kampf gegen gezielt gestreute Falschmeldungen, also „Fake News“; somit bleiben nur zwei Stunden für einen Rundgang von seinem Hotel in der Nähe des Hauptbahnhofs zu den Instituten, an denen der ehemalige Intendant des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) von 1975 bis 1982 studiert hat. War er auch seinerzeit so strebsam, wie es die steile Karriere vermuten lässt? Thomas Bellut setzt sich auf die Eingangsstufen des großen Gebäudes am Bispinghof, wo unter anderem die Erziehungs- und Kommunikationswissenschaftler lernen und lehren, und denkt einen Moment lang nach. „Ganz ehrlich? Nach vier Semestern bin ich aufgewacht und habe gemerkt, dass ich kaum Prüfungsscheine hatte“, sagt er und lacht. „Aber danach habe ich mich ins Zeug gelegt.“
Der gebürtige Osnabrücker wohnt seit vielen Jahren in Mainz, und das ausgesprochen gerne. Aber beim Spaziergang durch die münstersche Innen- und Altstadt weist Thomas Bellut gleich mehrfach darauf hin, dass Münster „dank des perfekten Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg noch eine Spur schöner und attraktiver“ als die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt sei. „Der Domplatz, der Prinzipalmarkt, die Bögen – einfach klasse.“ Nicht zuletzt deswegen habe er sich auch zu seinen Studienzeiten sehr wohl in Münster gefühlt, als er anfangs in einer Kellerwohnung in der Nähe der Wolbecker Straße und später in der Siverdesstraße gewohnt habe, als er täglich mit dem Rad zur Universität gefahren sei und seine Zeit im Ruderclub am Kanal genossen habe. Als wir die Promenade passieren, erinnert er sich an seine Touren über die münstersche „Fahrrad-Autobahn“. „Einer der schönsten Radwege, die ich kenne“, betont er.
Sein (Lebens-)Weg von Nord nach Süd begann in Neuenkirchen-Vörden, wo Thomas Bellut aufwuchs. Nach dem Abitur am Vechtaer Gymnasium Antonianum im Jahr 1974 war es der gute Ruf der Publizistik, der ihn zum Magisterstudium an die Universität Münster zog – als Nebenfächer wählte er Politikwissenschaft und Geschichte. „Intensiv und anspruchsvoll“ sei es zugegangen, betont der Publizist und Journalist, der Ende 1982 mit einer quantitativen und qualitativen Analyse über das Bild der DDR in den Nachrichtenmedien der Bundesrepublik Deutschland bei Prof. Dr. Winfried Schulz promovierte. Um sich direkt danach dem Warendorfer Karneval und der dortigen Hengstparade zu widmen – Thomas Bellut nahm erste Termine als freier Mitarbeiter der „Westfälischen Nachrichten“ wahr. Eine „klasse Schule“ seien diese Erfahrungen gewesen, unterstreicht er – bei Fehlern hätten sich die Leser sofort gemeldet. Und zwar „zu Recht“. Und so waren es weniger Unzufriedenheit oder Langeweile, sondern vielmehr eine Art innerer Unruhe und Neugier, die ihn dazu brachten, sich um ein Volontariat beim ZDF zu bewerben.
Eine gute Entscheidung, denn von nun an ging es stetig und steil bergauf. 38 Jahre lang. Redakteur beim „Länderspiegel“, Korrespondent in Berlin, Redaktionsleiter für Sondersendungen, ab 1997 Moderator von unzähligen Sonder- und Wahlsendungen, von 2002 bis 2012 Programmdirektor, in dessen Funktion er beispielsweise die Einführung der populären „heute-show“ absegnete – von 2012 bis 2022 stand er schließlich als fünfter Intendant an der Spitze des Fernsehsenders, dessen rund 3.500 festangestellte Mitarbeiter in der Zentrale in Mainz, im Hauptstadtstudio Berlin sowie in 16 Inlands- und 18 Auslandsstudios für reichlich Unterhaltung und Programm sorgen.
Die Phase als „klassischer Journalist“ seien die spannendsten Jahre gewesen, resümiert der heutige Pensionär. Die zig Parteitage als sein „Spezialgebiet“, das Interview mit dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl über die CDU-Spendenaffäre und vieles mehr – „ich habe all das genossen“. Die folgenden Jobs habe er dagegen weitgehend vom Schreibtisch aus und als Teil der Verwaltung wahrgenommen, nicht selten habe er sich „mehr als Zirkusdirektor denn als Manager“ verstanden. Im Rückblick erkenne er so manchen Fehler, den er mitverantwortet habe: die allzu positive Berichterstattung über Russland beispielsweise oder die schleichende Aufhebung der journalistisch gebotenen Trennung von Berichten und Kommentaren. Die Berichterstattung habe damals wie heute „zu viel Belehrendes und Kommentierendes“.
Noch ist der zweifache Vater Thomas Bellut, der mit der Fernsehmoderatorin Hülya Özkan verheiratet ist, nicht komplett raus aus dem Geschäft. Er nimmt noch das eine oder andere Aufsichtsratsmandat wahr, beispielsweise bei der Bavaria Fiktion und den ZDF-Studios. Man darf getrost davon ausgehen, dass Thomas Bellut auch in dieser Phase und vor allem in Zukunft seinem bewährten Lebensmotto folgt: Geduld, Gelassenheit und so wenig wie möglich dem Zufall überlassen.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 7. Juni 2023.