Macht meine Stimme das mit?
Hand aufs Herz: Ist die Stimme gut genug für eine Lehrerin? Thorsten Rother gibt Juliane Glettenberg Tipps.
Foto: Peter Grewer
Das Studium hat Juliane Glettenberg fast beendet, jetzt fehlt nur noch die Masterarbeit. Praktische Erfahrungen hat sie während des Studiums an verschiedenen Schulen gesammelt – die Noten und das Feedback sind gut. Juliane Glettenberg hat einen klaren Berufswunsch: Grundschullehrerin. Doch eine Frage beschäftigt sie: "Macht meine Stimme auf Dauer den stressigen Schulalltag mit?"
Denn Lehrerin zu sein bedeutet nicht nur, Verantwortung für Schüler zu tragen, Wissen zu vermitteln und vor allem immer wieder neue Strategien zu entwickeln, um die Kinder zu motivieren. Es bedeutet auch, sich stimmlich gegen 20 bis 30 unermüdliche Kinderkehlen durchzusetzen und das stundenlang. Deshalb sitzt sie jetzt in der Stimmsprechstunde. "Ich befürchte, dass ich mich in der Klasse nicht durchsetzen kann, weil meine Stimme manchmal sehr hoch wird, wenn ich lauter spreche", erzählt sie. "Ich habe das Gefühl, dass ich zu wenig Nachdruck in der Stimme habe und mich die Schüler dadurch weniger ernst nehmen könnten."
Torsten Rother vom Germanistischen Institut kennt diese Probleme. Seit 2007 gibt der 31-Jährige im Centrum für Rhetorik Seminare zur Stimmpraxis. Außerdem berät er seit Anfang des Jahres unter anderem Studierende, die – wie Juliane Glettenberg – kurz vor ihrem Studienabschluss stehen, bei Fragen der Stimmgesundheit und vor allem der Stimmwirkung. "Lehrer sind in großem Maße auf ihre Stimme angewiesen. Um Informationen zu vermitteln, aber auch um paraverbale Botschaften zu senden. Deshalb machen sich viele angehenden Lehrer, aber auch andere Studierende, Gedanken um die Wirkung ihrer Stimme", weiß er.
Juliane Glettenberg steht in der Mitte von Torsten Rothers Büro. Beim tiefen Einatmen heben sich Schultern und Brustkorb. "Ssssss" klingt es durch den Raum, der stetige Ton hört sich wie das leise Summen eines Bienenschwarms an. Nach 15 Sekunden wird er dünner, die Mundwinkel zucken, nach weiteren fünf Sekunden verklingt der Laut. Die Selbstsicherheit, mit der sie über ihr Studium und das anstehende Referendariat gesprochen hat, ist einer leichten Anspannung gewichen, aber in den braunen Augen blitzt Neugier. Geduldig tönt – so nennt es Thorsten Rother – Juliane Glettenberg dann auch den stimmlosen "ß"-Laut, solange sie kann. Das schlangenähnliche Säuseln verklingt schneller als der Ton der ersten Übung. "Kein Problem", beruhigt Torsten Rother und klärt auf, wozu die Übungen dienen. "Sie zeigen, ob das Atemvolumen ausgeschöpft wird und die Atemmuskulatur richtig eingesetzt wird. Alles über 15 Sekunden ist gesund, die Grundvoraussetzungen stimmen und auch der erste Höreindruck ist gut."
Tatsächlich hat ein signifikanter Anteil der Studierenden, die zu Torsten Rother in die Sprechstunde kommen, Probleme. "Zwei Drittel sind stimmlich auffällig", sagt er. Das kann eine zu hohe Muskelspannung sein, die in der Überanstrengung des Kehlkopfes mündet. "Dann klingt die Stimme gerade bei einer großen Umgebungslautstärke hoch und manchmal sogar hysterisch", sagt Torsten Rother. Aber auch Atemprobleme können zu Auffälligkeiten führen: "Wer zuviel Luft ausatmet, klingt hauchig." Aber nicht nur Studierende können die Hilfe von Torsten Rother und seinen Kollegen in Anspruch nehmen. Jeder Uni-Angehörige, ob Professor, Studierender oder Doktorand, kann zu ihnen kommen und sich beraten lassen.
"Wir wollen versuchen, mit dem natürlichen Potenzial Ihrer Stimme zu arbeiten", erklärt Torsten Rother. Ein Auszug aus Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" soll dabei helfen. Wieder steht sie in der Mitte des Raumes, in der leicht zitternden rechten Hand hält Juliane Glettenberg den Textzettel. Ihre Stimme ist leise und ein wenig unsicher, als sie die ersten Zeilen wiedergibt: "Sie sehen bezaubernd aus. Sie sehen berückend aus". Ihre linke Hand möchte die Worte unterstützen, hebt sich, will etwas zeigen und sinkt dann wieder. "Aber Sie sind nicht abendfüllend", liest sie weiter – ihre Stimme wird dabei tiefer, klingt aber immer noch zurückhaltend. Zu zurückhaltend für Torsten Rother, er unterbricht und stoppt das Tonbandgerät. "Bevor Sie den Text noch einmal lesen und wir uns die Ergebnisse anhören, machen wir noch eine Übung zur Lockerung", schlägt er vor. Er habe den Eindruck, dass die 23-Jährige im Hals- und Kieferbereich zu angespannt sei.
"Stellen Sie sich vor, Sie haben großen Hunger auf Ihr Leibgericht", beginnt Torsten Rother. Imaginär nehmen beide den ersten Bissen und kauen ihn mit großen Kieferbewegungen durch. Bei jedem Ausatmen soll die angehende Lehrerin nun zusätzlich die Silbenfolge "mmh – me – lo – ne – mmh" tönen. "Eine Kaubewegung des Kiefers oder auch Gähnen gleicht die Muskelspannung aus", erklärt der 31-Jährige. "Beides zu koordinieren ist schwierig", sagt Juliane Glettenberg und lacht.
"Wichtig ist, dass man sich bewusst macht, dass man selbst eingreifen kann."
"Sie sind kein hübscher Einfall. Sie ermüden", setzt die 23-Jährige, diesmal mit deutlich lauterer Stimme, ein. Die Studentin verlagert beim Sprechen ihr Gewicht von einem Bein aufs andere. "Sie sind kein dankbares Thema", ihre Augen, die sie jetzt öfter vom Blatt hebt, funkeln ein nicht anwesendes Publikum an, wandern hin und her. "Versuchen Sie, sich auf eine imaginäre Person zu fixieren und fest, aber entspannt, auf beiden Beinen zu stehen", rät Torsten Rother. Juliane Glettenberg holt tief Luft, lockert ihre Schulter, setzt erneut ein und endet mit "Sie sprechen nicht den Menschen an. Sie lassen uns kalt." Für wenige Sekunden ist es still im Raum. "Huh – super", stößt der Stimmtrainer hervor, er ist zufrieden mit der Entwicklung der Studentin.
"Ein bisschen langweilig klingt meine Stimme, aber sie ist tiefer als ich es erwartet hätte", resümiert Juliane Glettenberg, nachdem sie das Tonband angehört hat, und klingt zufrieden. "Wenn Sie lauter werden", sagt Torsten Rother, "wird Ihre Stimme auch höher und angespannter." Sie solle sich darauf konzentrieren, in der selben Stimmlage zu bleiben, auch wenn sie beispielsweise in der Schule lauter sprechen muss. Das Bewusstsein für die Kiefer- und allgemeine Körperspannung sei wichtig. "Wie angespannt und eng die Stimme ist, erkennt man gut an den Vokalen. Durch starke Spannung in Kehlkopf und Rachenraum klingen sie gequetscht", analysiert er. "Ich bin froh, dass ich es jetzt selbst gehört habe und weiß, woran es liegt. Da werde ich in Zukunft mehr drauf achten", meint Juliane Glettenberg. Für Torsten Rother sind das nur kleine Baustellen, die kein Grund zur Besorgnis sind. "Wichtig ist, dass man sich bewusst macht, dass man selbst eingreifen kann. Die Stimme ist trainierbar und lernt mit ein bisschen Übung dazu."
Hanna Dieckmann
Die Stimmsprechstunde ist kostenlos. Weiterführender Einzelunterricht wird von Sprecherziehern und Studierenden angeboten. Nicht nur Studierende können sich beraten lassen, sondern alle Angehörigen der Universität. Bei ernsteren Problemen wie organischen Leiden verweisen die Mitarbeiter am Centrum für Rhetorik auf Fachärzte. www.uni-muenster.de/Rhetorik/projekte/stimmsprechstunde.html |