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Es droht der Gau beim Urheberrecht

Gesetzentwurf schränkt Rechte der Nutzer empfindlich ein

Die klassische Fernleihe wird oftmals die einzige Alternative für Studierende wie Thomas Sevenheck sein, wenn die Refom des Urheberrechts umgesetzt wird.

Foto: Peter Sauer

Wenn Studierende wie der angehende Jurist Thomas Sevenheck oder der künftige Kommunikationswissenschaftler Thomas Raulf wichtige Texte für ihr Studium brauchen, dann ist die Fernleihe der ULB eine große Hilfe. Dank der Errungenschaften des Informationszeitalters erhalten sie Aufsätze oder Inhaltsverzeichnisse mittlerweile auch als E-Mail am heimischen PC zuhause. Außerdem können sie bislang an jedem Rechner der Uni digitale Zeitschriften einsehen und wichtige Stellen ausdrucken. Studierende, Dozenten und Bibliothekare sparen durch die digitalen Recherchen Zeit und Geld.

Doch das soll jetzt anders werden. Denn Bundesjustizministerin Brigitte Zypries plant eine weitere Reform des "Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte" (UrhG). Wird der neue Entwurf umgesetzt, erwartet die Leiterin der ULB, Dr. Beate Tröger, dass "der freie und ungehinderte Zugang zu Informationen und wissenschaftlichen Erkenntnissen eingeschränkt wird – zu Lasten von Bildung, Forschung und E-Learning an den Universitäten". Deshalb hat sich jetzt die Hochschulrektorenkonferenz mit dem Fraunhofer Institut, der Max-Planck-Gesellschaft, der Leibniz Gemeinschaft, dem Wissenschaftsrat und weiteren 135 Institutionen zum einem Bündnis zusammengeschlossen, um mit der so genannten "Göttinger Erklärung" den bisherigen Gesetzentwurf abzuwenden beziehungsweise in seinen wesentlichen Punkten zu modifizieren. Ihr Sprecher Prof. Thomas Hoeren vom Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht macht den Ernst der Lage deutlich: "Es droht uns der Urheberrechtsgau!"

So soll der elektronische Versand von Artikeln künftig nur noch gestattet sein, wenn die Verlage die Publikationen nicht selbst in elektronischer Form anbieten. Das heißt konkret: Die Bibliothek müsste in Zukunft prüfen, ob der Aufsatz vom Verlag digital angeboten wird. Wenn ja, müssten die Mitarbeiter vom Aufsatz Papierkopien erstellen, die dann als Fernleihe per Fax oder auf dem Postweg verschickt werden dürften, nicht aber elektronisch als Grafikdatei. Ein Vorgang, der im Internetzeitalter anachronistisch anmutet, zumal dieses Verfahren länger dauert, mehr Verwaltungsaufwand mit sich bringt und die spätere Forschungsarbeit nicht gerade erleichtert. Der Gesetzentwurf sieht auch eine Alternative vor: Wissenschaftler und Studierende können demnach die benötigte Literatur direkt beim Verlag bestellen. Die Preise pro Aufsatz dürften nach ULB-Schätzungen dann aber zwischen 20 und 50 Euro liegen. Das sind nicht nur für Studierende wie die angehende Kunsthistorikern Yvonne Stüwing "Unsummen", sondern auch für den knappen Etat der Lehrenden. Geschichtsstudent Philipp Klaas sieht die Gefahr eines "überteuerten Studiums", wenn das neue Gesetz Realität werden sollte.

Rote Karte für die Gesetzesnovelle

Auch die Nutzung von CD-ROMs soll eingeschränkt werden. Bislang können die Nutzer an verschiedenen Stellen der Universität unbegrenzt auf elektronische Daten per PC zugreifen. Der Gesetzentwurf fordert jedoch, dass die Hochschule künftig diese Datenrecherche nur an eigens eingerichteten elektronischen Leseplätzen anbieten und dann auch nur so viel Exemplare eines Werkes gleichzeitig zugänglich machen darf wie der Bestand umfasst. Eines der zu erwartenden Probleme dürften dann lange Schlangen an deutlich weniger Arbeitsplätzen sein, meint Dr. Stephanie Klötgen von der ULB. Für Hoeren werden die Chancen des elektronischen Zeitalters durch diese Schrankenregelung ad absurdum geführt: "Die digitalen Versionen der Verlage können Sperren enthalten. Die Folge wäre, dass man in Zukunft gar keine Kopien mehr zu wissenschaftlichen Zwecken machen kann oder nur drei oder vier."

Des weiteren sieht der neue Gesetzentwurf Einschränkungen bei digitalen und analogen Kopien vor. Diese sollen bei jenen Veröffentlichungen verboten werden, die teilweise oder vollständig aus Drittmitteln der Industrie finanziert worden sind. Das ist für das Bundesjustizministerium ein "mittelbar gewerblicher Zweck", der Kopien deshalb verbietet. Auch digitale Seminarapparate von Professoren sollen künftig nicht mehr möglich sein, da die Verleger Einbußen bei ihren Buchverkäufen befürchten.

Für Jurastudent Thomas Sevenheck ist dies eine massive Behinderung des Studiums, die nicht nachzuvollziehen ist. Hoeren wird deutlicher: "Das sind ganz wirre Beschränkungen. Der Entwurf ist eine Katastrophe, der von mir ganz klar eine rote Karte bekommt." Der Rechtsexperte erinnert daran, dass mit dem neuen Gesetz den wirtschaftlichen Interessen der Verleger eine größere Bedeutung zugemessen wird als dem gesellschaftlichen Bildungsauftrag. Doch letzterer wird doch, darin sind sich die Reformgegner einig, nicht nur wegen der Pisa-Studie gerade von der Bundesregierung vehement eingefordert.

Was übrigens immer noch legal ist, ist das Abschreiben ganzer Bücher wie im Mittelalter. Das ist auch "urheberrechtlich unproblematisch" und wird auch so bleiben, macht Professor Hoeren ein wenig Hoffnung. Und mit Blick auf die befürchteten digitalen Sperren: "Es wird dann eben Hacker geben, die sich die Mühe machen, diese Sperren zu umgehen." Anfang Februar will das Bundesjustizministerium den Gesetzentwurf vorstellen.

Peter Sauer