Der Reiz des Archivs

Methodenworkshop im Wintersemester 2015/16

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Die Arbeit mit Archivquellen gehört ohne Frage zum Einmaleins der Geschichtswissenschaft. Auch 200 Jahre umfangreicher Editionstätigkeit haben daran nichts geändert. Moderne Quelleneditionen füllen zwar Regale über Regale, sie repräsentieren aber nur einen winzigen Bruchteil der mittelalterlichen und neuzeitlichen Überlieferung. Gleichzeitig sind Archivquellen dank umfangreicher Digitalisierungen noch niemals so leicht verfügbar gewesen wie heute.

Der Workshop bietet eine praktische Einführung in die Arbeit mit den archivalischen Quellen des Mittelalters und der Neuzeit. Die Teilnehmer setzen sich in wechselnden Kleingruppen intensiv mit verschiedenen Quellen auseinander. Im Vordergrund stehen einerseits handwerkliche Fertigkeiten wie Transkription und Aktenkunde. Andererseits geht es um grundsätzliche Fragen der Arbeit am ‚Original‘ (Normalisierung, Überlieferung, Materialität u.a.).

Wann? 16. bis 18. Februar 2016 (Anmeldeschluss ist Dienstag, der 19. Januar 2015)

Wo? Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen (Bohlweg 2, 48167 Münster)

Ablauf?
Neun Historiker, Rechtshistoriker und Archivare, bieten über drei Tage hinweg einen bunten Strauß an Themen. Vormittags und nachmittags setzen sich die Teilnehmer in kleinen Gruppen zusammen und arbeiten sich unter Anleitung in das themenspezifischen Quellenmaterial ein. Eingerahmt werden diese Arbeitsphasen durch Impulsreferate und Plenumsdiskussionen zu übergreifenden Fragen (Transkription & Normalisierung, Archivierung & Überlieferung, Lesetechniken, Aspekte der Materialität, Quellenwert bestimmen).

Verbuchung? Als Übung, Allgemeine Studien, Schlüsselqualifikation und mit Zusatzleistungen (u.a. Hausarbeit) auch als Seminar

Anmeldung? Über die Geschäftsführung des ZeTeK.
Bitte senden Sie eine Email an Herrn Jonas Stephan, jonas.stephan@uni-muenster.de.
Geben Sie nach Möglichkeit drei der unten aufgeführten Themen an, die Sie besonders interessieren.

Zum Jahresende findet eine Vorbesprechung statt. Der Termin wird demnächst hier bekanntgegeben.

Die Dozenten:

Dr. Mechthild Black-Veldtrup (Landesarchiv NRW Abt. Westfalen)
Prof. Dr. Ralf-Peter Fuchs (Universität Duisburg-Essen)
Dr. Georg Jostkleigrewe (WWU Münster)
Prof. Dr. Jan Keupp (WWU Münster)
Prof. Dr. Peter Oestmann (WWU Münster)
Dr. Christine Schedensack (Münster)
Jun. Prof. Sita Steckel (WWU Münster)
Dr. Gunnar Teske (LWL-Archivamt für Westfalen)
Dr. Bastian Walter-Bogedain (Bergische Universität Wuppertal)

Die Themen:

1. Die Tagebücher des Oberpräsidenten Ludwig Freiherr Vincke (Mechthild Black-Veldtrup & Christine Schedensack)
2. Fehde vor Gericht. Schriftgut aus den zentralen Verwaltungs- und Gerichtsinstitutionen des spätmittelalterlichen französischen Königreichs (Georg Jostkleigrewe)
3. Ein westfälischer Viehraub oder: Verschollen im Instanzendschungel (Jan Keupp)
4. Die Arbeit mit frühneuzeitlichen Prozessakten. Quellenwert und Bearbeitungshürden am Beispiel des Reichskammergerichts (Ralf-Peter Fuchs & Peter Oestmann)
5. Die Familienchronik des Sweder Schele zu Weleveld und Welbergn (1569-1639) (Gunnar Teske)
6. „...Und nennt meinen Namen mit keinem Wort!“ Transkription ausgewählter Quellen zur Spionage im Spätmittelalter (Bastian Walter-Bogedain)
7. Finden vor Google. Anordnung, Verzeichnung und Indexierung in administrativen und gelehrten Handschriften des Spätmittelalters (Sita Steckel)

Mechthild Black-Veldtrup & Christine Schedensack
Die Tagebücher des Oberpräsidenten Ludwig Freiherr Vincke
Ludwig Vincke schrieb von seinem 15. Lebensjahr, dem Jahr der Französischen Revolution 1789, bis zu seinem Tod mit knapp 70 Jahren 1844 fast täglich in sein Tagebuch. Als liberal denkender Adliger, der im preußischen Staatsdienst eine Karriere vom Landrat in Minden bis zum ersten Oberpräsidenten der Provinz Westfalen absolvierte, der sich für alle Belange seiner Provinz bis in die Details interessierte, der vom Chausseebau bis zur „Irrenanstalt“ den Ausbau der Infrastruktur maßgeblich vorantrieb und der in Berlin ein gefragter Ratgeber war, führte Vincke ein rastloses, intensives Leben als Verwaltungsfachmann und Repräsentant des Königs in der Provinz. Die Themen, die ihn beschäftigten, die Begegnungen, aber auch sein Familienleben spiegeln sich hautnah in den Tagebüchern, die er nie zur Veröffentlichung bestimmt hatte. Die im Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen überlieferten 23 Tagebuchbände werden seit einigen Jahren sukzessive ediert, um weitere Forschungen zu Vincke zu erleichtern. Vincke schreibt deutsch. Die Schwierigkeiten liegen in der kleinen Schrift, die mit den Jahren immer flüchtiger wird, und in der Identifikation der Fülle der Personen, die er nennt. Im Panel wird ein noch nicht publizierter Tagebuchtext aus der Zeit des „jüngeren Vincke“ behandelt.
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Georg Jostkleigrewe
Fehde vor Gericht. Schriftgut aus den zentralen Verwaltungs- und Gerichtsinstitutionen des spätmittelalterlichen französischen Königreichs
Die französische Adelsgesellschaft des Spätmittelalters steckte voller Konflikte, die in Form lokaler (Privat)Kriege gerne auch gewalttätig ausgetragen wurden. Für uns werden diese Auseinandersetzungen in den Archiven der monarchischen Zentralverwaltung und des ‚Parlement’, des königlichen Obergerichtes, greifbar. Anhand unedierter Quellen aus den Archives Nationales bietet das Panel die Gelegenheit, einen einschlägigen Fall genauer zu untersuchen. Nach einer knappen Einführung in die Struktur der königlichen Verwaltung und des dort erzeugten Archivguts werden unterschiedliche Möglichkeiten der Annäherung an die Quellen geboten: Transkription und Übersetzung eines zentralen Stückes, kursorische Lektüre eines größeren Quellenkonvoluts, Auseinandersetzung mit einem Fall von Textkorruptel. Über den genuin hilfswissenschaftlichen Kompetenzerwerb hinaus führt das Panel zu einem vertieften Verständnis der Erkenntnismöglichkeiten wie auch der Probleme, die mit der Auswertung dieser Form administrativen Schriftgutes verbunden sind.
Die im Panel behandelten Quellen sind in mittelalterlichem Latein verfasst; auf Wunsch können auch französischsprachige Stücke bereitgestellt werden. Die Schrift ist relativ leicht lesbar.
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Jan Keupp
Ein westfälischer Viehraub oder: Verschollen im Instanzendschungel
"Zum Räuber und Mörder" habe der Rosshändler Michael Kohlhaas werden müssen, nachdem er für den Verlust zweier Pferde auf dem Gerichtsweg keinerlei Gerechtigkeit erfahren konnte. Dass derartige Fälle auch einen anderen Verlauf als in der Novelle Heinrichs von Kleist nehmen konnten, zeigt indes der Fall des Münsteraner Bürgers Hinrich uppen Orde. Seine stolzen, über das Jahr gut gemästeten Ochsen wurden am Martinsabend 1448 sozusagen zum Kollateralschaden der Soester Fehde (1444-1449). Der Viehraub geschah fast in Sichtweite der Dortmunder Stadtmauer. Gestützt auf den Bischof und den Rat von Münster verlangte Hinrich daraufhin Genugtuung. Doch die Dortmunder beteuerten vehement ihre Unschuld und gingen schließlich zum juristischen Gegenangriff über. Der Fall beschäftigte bis 1477 mehrere Instanzen und endete allen Anstrengungen zum Trotz ergebnislos mit  dem Tod des Klägers. Über das finale Schicksal der entwendeten Mastochsen erfahren wir aus den zahlreich überlieferten Briefen und Urkunden nichts. Dafür gewähren sie uns die deutschsprachigen und in unterschiedlicher Schriftqualität niedergeschriebenen Dokumente instruktive Einblicke in die Rechts- und Machtverhältnisse der Region und die Praktiken der schriftlichen Fernkommuni­kation zwischen den Gerichtsparteien. Das Panel wird ausgewählte Stücke transkribieren und historisch einordnen.
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Ralf-Peter Fuchs & Peter Oestmann
Die Arbeit mit frühneuzeitlichen Prozessakten. Quellenwert und Bearbeitungshürden am Beispiel des Reichskammergerichts
Prozessakten bieten einen tiefen Fundus an Erkenntnismöglichkeiten. Jenseits von rechtshistorischen Fragen nach den Argumenten und Techniken juristischer Praxis lassen sich anhand dieses Quellentyps ganz unterschiedliche Facetten der Frühen Neuzeit beleuchten (Sozialstruktur, Alltagsgeschichte, Herrschaft zwischen Konsens und Konflikt, Werte und Mentalitäten). Die Akten des Reichskammergerichts (1495–1806) gehören zu den umfangreichsten Überlieferungen dieser Art, ja frühneuzeitlicher Quellen überhaupt. Dank der unermüdlichen Verzeichnisarbeit der letzten Jahrzehnte sind die 77.000 erhaltenen, auf 48 Archive verteilten Akten durch moderne Findbücher erschlossen. Die Arbeit mit diesen Quellen stellt den Benutzer allerdings vor einige Hürden. Das beginnt schon bei der Aktenbestellung. Denn bei der Überführung des Gerichtsarchivs im 19. Jahrhundert wurden die heutigen Partikularbestände in Abhängigkeit vom Wohnort bzw. dem Gerichtsstand des Beklagten oder der Vorinstanz gebildet. Deshalb können Verfahren mit mehreren Beteiligten durchaus auf mehrere Archive verteilt sein. Nicht weniger vertrackt stellt sich die eigentliche Arbeit mit den Quellen dar. Prozessakten wurden auch schon in der Frühen Neuzeit von Juristen für Juristen gestaltet. Deshalb gilt es, jedenfalls in groben Zügen, deren Struktur und die wichtigsten Merkmale des rechtsgelehrten Jargons der Frühen Neuzeit zu kennen. Hierbei versteht sich das Panel als praktische Einführung.
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Gunnar Teske
Die Familienchronik des Sweder Schele zu Weleveld und Welbergn (1569-1639)

Der niederländisch-deutsche Adelige Sweder Schele, geb. in Borne bei Enschede, später auf Haus Welbergen bei Ochtrup, hat Ende des 16. Jahrhunderts eine  Geschichte seiner Familie von den sagenhaften römischen Anfängen bis auf seine Zeit geschrieben. Parallel hat er sie von 1591 bis 1623 und von 1629 bis 1635 mit zeitgenössischen Nachrichten fortgesetzt. Dabei nehmen ab 1619 persönliche Reflexionen breiten Raum ein. Zentrale Themen sind adeliges Selbstbewusstsein, lutherischer Glaube sowie 80-jähriger und 30-jähriger Krieg, darin insbesondere das Auftreten Gustav Adolphs von Schweden. Daneben enthält die Chronik viele Anekdoten und Beobachtungen.
Die Chronik ist auf Hochdeutsch,  im deutsch-niederländischen Grenzdialekt und auf Humanistenlatein verfasst. Persönlich ausgeprägte Schrift des 16./17. Jhdts.
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Bastian Walter-Bogedain
„...Und nennt meinen Namen mit keinem Wort!“ Transkription ausgewählter Quellen zur Spionage im Spätmittelalter
Jüngst sorgten die Enthüllungen von WikiLeaks und die etwaige Industriespionage der Amerikaner bei deutschen Unternehmen für große Aufregung in der Bevölkerung. Doch  vielleicht anders als gemeinhin angenommen, war Spionage bereits im Mittelalter ein probates Instrumentarium zur Beschaffung von Informationen, die man auf offiziellen Kanälen nur äußerst schwierig erhalten hätte. Neben einer als okkasionell zu bezeichnenden Informationsbeschaffung, die beispielsweise die gezielte Befragung von Wirten, Geistlichen und Kaufleuten beinhaltete, lassen sich mit den so genannten Kundschaftern professionelle agierende Personen ausmachen, die man heute mit Spionen gleichsetzen würde. Sie und ihre Tätigkeitsbereiche sollen in der auf zwei Sitzungen ausgelegten Transkriptionsübung im Vordergrund stehen. Zu diesem Zweck werden gemeinsam Berichte dieser Kundschafter transkribiert und ihre Verwendungskontexte untersucht  und mögliche Formen ihrer Übermittlung vorgestellt. Die in diesem Panel gelesenen Texte sind frühneuhochdeutsch; die Schrift ist gut zu lesen.
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Sita Steckel
Finden vor Google. Anordnung, Verzeichnung und Indexierung in administrativen und gelehrten Handschriften des Spätmittelalters
Wie findet man ein bestimmtes Dokument, oder eine Stelle darin? Seit der Umstellung auf digitale Datenspeicherung braucht es kaum mehr als einen Tastendruck, um aus Tausenden von Dateien die richtige auszuwählen oder in einem langen Dokument eine bestimmte Passage zu finden. Aus den Tiefen des Internet holen Suchdienste wie Google relativ zuverlässig bestimmte Informationen. Wie aber organisierte und handhabte man Wissen im Zeitalter der Handschrift?
Im Panel sollen anhand von konkreten Beispielen zunächst verschiedene Anordnungs-, Ordnungs- und Erschließungsprinzipien mittelalterlicher schriftlicher Wissensbestände erarbeitet werden, wobei der Schwerpunkt auf gelehrten und administrativen Schriften liegt. Von den Studierenden sollen dann Teile zweier Verzeichnisse (Amtsbuch von St. Mauritz, gelehrter Text N.N.) transkribiert und auf ihre Aussagen zu Wissensorganisation, -verzeichnung und Nutzung befragt werden. Anliegen des Panels ist, ein Bewusstsein für Benutzerorientierung mittelalterlicher Handschriften (u.a. Layout) zu schaffen und durch Verständnis typischer Anordnungs- und Verzeichnistechniken die Orientierung innerhalb von längeren, komplexen Handschriftenkonvoluten zu üben. Die Texte sind auf Latein, die Schrift ist gut lesbar.
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