Islam In Deutschland: Gestern-Heute-Morgen. Historische, theologische und gesellschaftliche Perspektiven
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Spätestens seit den 60er Jahren ist das Thema „Islam in Deutschland“ nicht nur im medialen Diskurs, sondern auch in der gesellschaftlichen Realität angekommen. Zunächst im Zuge der Arbeitsmigration, später in den 80er Jahren mit dem Fokus „Ausländer“ bzw. „Türken“, scheint sich der mediale Diskurs seit dem 11. September endgültig auf die Religion gerichtet zu haben. Wie sieht er jedoch wirklich aus, der „Islam in Deutschland“?
Die gemeinsame Jahrestagung des Zentrums für Islamische Theologie Münster/Osnabrück mit dem gleichnamigen Titel, die am 6. und 7. Dezember in Münster stattfand, hatte sich zum Ziel gesetzt, aus historischer, theologischer und gesellschaftlicher Perspektive einen Blick auf den Islam in Deutschland zu eröffnen und ein Forum für die Betrachtung vergangener und aktueller Entwicklungen zu bieten. Verschiedene Panels mit Vertretern unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen, der Politik und der Gesellschaft beteiligten sich an diesem Diskussionsforum, dem ca. 70 interessierte Besucherinnen und Besucher mit großer Aufmerksamkeit folgten. Neben dem Blick auf Deutschland wurde dabei auch ein grenzübergreifender Vergleich zu Österreich und der Schweiz angestellt.
Insgesamt erfreute sich die Tagung überaus großen Interesses, gerade auch aus der Bevölkerung. Immer wieder fiel dabei das Stichwort „voneinander lernen“. „Wo sind wir? Und wo wollen wir hin“ – Diese Fragen griffen sowohl Prof. Dr. Mouhanad Khorchide als auch Dr. Martin Kellner im Namen des gemeinsamen Zentrums bei ihren jeweiligen Grußworten auf. Auch Dr. Rolf Geserick, Vertreter des Projektträgers des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sprach davon, dass „Zuhören und Fragen“ der einzig gangbare Weg bei dieser „einzigartigen Zukunftsgestaltung“, und das „Miteinander und Füreinander“ unabdingbar seien. Sowohl er als auch Ministerialrat Michael Oberkötter vom Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, stellten sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich hinter die noch jungen Entwicklungen im Bereich islamische Theologie und betonten die Wichtigkeit von Akzeptanz und Toleranz, gerade auch im Hinblick auf die Heterogenität der muslimischen Community in Deutschland.
"Deutschland ist längst unsere gemeinsame Heimat, und der Islam ist nicht länger ein Fremdkörper. Er prägt Deutschland“, so drückte es Dr. Milad Karimi, stellvertretender Leiter am Zentrum für Islamische Theologie in Münster aus. Es gelte, die „eigene Vielfalt“ anzunehmen und sich gleichzeitig nicht auf mediale Schlagworte wie „Reformislam“ oder „liberaler Islam“ zu versteifen. Der bekenntnisorientierte Aspekt islamischer Theologie sei mehr denn je unabdingbar, „um die Verbindung zur Basis zu gewährleisten“.Zu den Referenten gehörten u. a. Dr. Naika Foroutan, Leiterin des Projektes „Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle“ an der HU Berlin, die zum Thema muslimische Identitäten in Deutschland referierte, der Politikwissenschaftler Dr. Farid Hafez, ein renommierter Experte zum Thema Islamophobie sowie Dr. Tim Karis, Koordinator der interdisziplinären Nachwuchsgruppe „Religiöse Pluralität als Herausforderung für Religionen und Gesellschaften“, der die mediale Berichterstattung über den Islam untersucht hat.
Dr. Foroutan wurde die Frage gestellt, wie Deutschland und Europa plural gedacht angesichts verschiedener Identitäten. Es sei wichtig, sich nicht an die Angst eines Identitätsverlustes zu klammern, sondern zu akzeptieren, dass jeder Einzelne mehrere Identitäten in sich birgt. Ein Problem sei, dass Eindeutigkeit als Stärke wahrgenommen werde, Vielheit dagegen als Schwäche. Es ginge aber darum in Deutschland eine gemeinsame Narration der verschiedenen Identitäten zu schaffen und dies nicht auf Kosten einzelner Identitäten.
Welche Rolle die neu gegründeten Zentren für Islamische Theologie in Deutschland für das Selbstverständnis und die Entwicklung muslimischen Lebens hierzulande zu bedeuten haben, wurde im Abschnitt über Politik, Recht und Gesellschaft behandelt. Felix Engelhardt, Koordinator des Graduiertenkollegs Mercator, fasste in einem wohl sortierten Überblick die noch junge Entstehungsgeschichte der Islamischen Zentren zusammen und diskutierte im Anschluss daran die damit zusammenhängenden Ziele und Intentionen. Dr. Mohammed Nekroumi aus Münster demonstrierte dann anhand der islamischen Rechtsethik, wie sich die Ausgestaltung der Islamischen Theologie im fachlich-wissenschaftlichen Diskurs konkret artikulieren kann. Dass die Verortung von Lehrstühlen für Islamische Theologie an Universitäten ein grundlegend positiver und deshalb äußerst zu begrüßender Schritt gewesen ist – für die gesamte Gesellschaft, darin waren sich alle Beobachter einig.
Darüber hinaus bot ein umfangreiches Panel über die islamische Religionspädagogik einen Einblick in den Stand der schulischen und universitären Entwicklungen bzgl. der Etablierung islamischer Theologie in Deutschland, Österreich und der Schweiz.. Als deutsche Vertreter referierten Dr. Michael Kiefer aus Osnabrück und Prof. Dr. Mouhanad Khorchide aus Münster. Darüber hinaus präsentierte Mag. Khalid El Abdaoui von der Universität Wien die österreichische Perspektive, während Prof. Dr. Antonio Loprieno, Rektor der Universität Basel, die noch junge Entwicklung der islamischen Religionspädagogik in der Schweiz erläuterte. Prof. Dr. Loprieno erklärte, dass das Schweizer Universitäts- und Schulsystem auf kantonaler Ebene verwaltet und bestimmt wird. Über Lehrinhalte sowie einzelne Vertreter der Religionsgemeinschaften, in mit Deutschland vergleichbaren Beiräten, entscheiden in der Schweiz die Vertreter der Kantone und der Universitäten. Während in der Schweiz der Staat die maßgebende Instanz ist, sieht es in Österreich ähnlich aus, wie in Deutschland. Mag. Khalid El Abdaoui gewährte einen Blick auf die fast 100-jährige Geschichte der Muslime in Österreich und die damit verbundene Notwendigkeit eines islamischen Religionsunterrichts für muslimische Schülerinnen und Schüler. Während der Diskussion auf dem Podium im Anschluss an die Referate wurde deutlich, dass man in allen drei Ländern mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert ist und länderübergreifend voneinander lernen kann.
Auch 2013 gelang es dem gemeinsamen Zentrum also, eine spannende und gleichzeitig zum Weiterdenken anregende Tagung auf die Beine zu stellen, und man darf bereits auf den Auftritt im nächsten Jahr gespannt sein, dann wieder in Osnabrück.
Rede des Ministerialrats Michael Oberkötter vom Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen anlässlich der Jahrestagung des ZIT am 6.12.2013
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich freue mich, heute als Vertreter der Landesregierung Ihnen allen für die heute und morgen stattfindende Veranstaltung viel Erfolg zu wünschen.
Das Land Nordrhein-Westfalen ist mit geschätzt mehr als einer Million muslimischer Mitbürger das Bundesland, in dem Integration und Diversity ganz oben auf der landespolitischen Agenda stehen. Nordrhein-Westfalen setzt damit Zeichen: wir leben Miteinander und Füreinander, wir schätzen Akzeptanz und Respekt, bloße Toleranz reicht uns bei weitem nicht.
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